# taz.de -- Attacken von rechten Trolls: Hass unter fast jedem Tweet | |
> Shitstorm im Netz, am Arbeitsplatz, zu Hause – und doch bleibt unsere | |
> Autorin online. Sie will sich den Platz nicht wegnehmen lassen. | |
Bild: Shitstorms kannte unsere Autorin schon. Doch jetzt nimmt die Hetze neue D… | |
Es ist März 2018, ich sitze am Schreibtisch in meinem WG-Zimmer in Berlin, | |
der Schreibtisch steht am Fenster, auf der Fensterbank stehen zwei Vasen | |
mit Blumen. Die Katzen werfen sie immer wieder um und knabbern an den | |
Blumen und Blättern. Die Abendsonne scheint herein. | |
Vor Kurzem habe ich endlich einen Job gefunden, ich bin froh, meine Mutter | |
freut sich. Ich arbeite drei Mal die Woche für einen feministischen | |
Migrantinnenverband, außerdem schreibe ich Texte als freiberufliche Autorin | |
und Journalistin. Ich habe keinen unbefristeten Vertrag, die Freude ist im | |
Rahmen, aber es ist okay. Es läuft. | |
Ich sitze an meinem Schreibtisch und die eine Katze springt auf den Stuhl. | |
Sie heißt Gisela und obwohl ich weiß, dass ich die eine nicht mehr als die | |
andere liebhaben darf, liebe ich sie mehr als die andere. Sie springt auf | |
meinen Stuhl, legt sich aber nicht auf meinen Schoß, sondern neben mich, | |
macht es mir so eng wie möglich, und fängt an zu schnurren. Ungefähr | |
zeitgleich beginnt ein [1][Shitstorm auf Twitter gegen mich]. | |
Shitstorms kenne ich schon von Zeiten, als ich nur auf Türkisch getwittert | |
habe. Als ich einst schrieb „Ihr findet Menstruationsblut eklig, aber esst | |
Hühnereier, was praktisch Hühnerperiode ist“, explodierte der türkische | |
Twitter. Ich habe wochenlang Tausende Beleidigungen bekommen. Manche waren | |
lustig, andere nur furchtbar. | |
## Anrufe im Büro | |
Meine Kommunikation beruht auf Provokation, es war schon immer so, auch als | |
Kind oder später in der Pubertät, schon immer. Als ich zwölf war, sagte ich | |
meinem Vater, ich sei Satanistin. Er sagte „Es gibt keinen Gott, warum soll | |
es seinen Gegner geben?“ Manchmal gelingt mir die Provokation nicht, ich | |
bleibe dann aber dran. | |
An jenem Wintertag im März bekomme ich vermehrt seltsame Nachrichten von | |
seltsamen Accounts: Trolle. Dieses Mal deutsche Trolle. Das ist neu. Ich | |
beobachte die Accounts mit Profilbildern, auf denen Pepe der Frosch oder | |
Trump zu sehen sind. Sie beleidigen mich, aber erst mal ist alles im | |
Rahmen. Auslöser ist einer meiner Tweets, in dem ich sage, dass cis-Männern | |
nicht mehr zustehe, als sie ohnehin haben. Was ich nicht wusste, ist, dass | |
ein Blogger, den Rechte kennen und mögen, einen Beitrag dazu geschrieben | |
hatte. Das erfahre ich erst am nächsten Tag. | |
Der Blogger, der ein reicher Erbe ist, widmet mir einen ganzen Artikel. Er, | |
der wahrscheinlich keinen einzigen Tag in seinem Leben arbeiten musste, | |
schreibt, dass es heterosexuelle cis-Männer gebe, die Arbeiter sind. Seine | |
Schlussfolgerung: Diese seien nicht privilegiert. In seinem Artikel erwähnt | |
er, wo ich arbeite und wie diese Arbeit finanziert wird, nämlich aus | |
öffentlichen Geldern, und schreibt mir Privilegiertheit zu. Ganz so, wie | |
aus der Gebrauchsanleitung zum Rechtspopulismus, wenn es eine gäbe. | |
Ein Tag nachdem der Blogartikel veröffentlicht wird, erzählen mir | |
Kolleginnen – wir sind nur Frauen –, dass ein paar Männer im Büro angeruf… | |
und gesagt haben: „Ist Sibel Schick da? Ich möchte mit ihr reden. Ich | |
möchte mich über sie beschweren.“ Meine Kollegin soll daraufhin gefragt | |
haben: „Möchten Sie mit Sibel Schick reden oder möchten Sie sich über sie | |
beschweren?“ | |
## „Wer von euch wohnte in einem Ghetto?“ | |
Natürlich wusste der Blogger, was sein Text verursachen könnte. Es wäre zu | |
gutgläubig, davon auszugehen, dass er die Konsequenzen nicht durchdacht | |
hat, mich fast in jedem Absatz namentlich zu nennen und öffentlich zu | |
machen, wo ich arbeite. Inzwischen explodiert mein Twitter-Account. Die | |
Beleidigungen werden innerhalb Stunden zu Gewaltandrohungen und -fantasien. | |
Jemand schreibt mir „Hitler hätte dich vergasen sollen“. Bevor ich ihn | |
anzeigen kann, verschwindet sein Account. Da lerne ich, dass es wichtig | |
ist, sofort Screenshots zu machen. | |
Da der Blogger behauptet, dass es keine Diskriminierung oder Privilegien | |
aufgrund der Identität gebe, sondern nur aufgrund der Klasse, schreibe ich: | |
„Erzählt mir nichts von Klasse. Wer von euch wohnte in einem Ghetto und | |
musste einen Apfel mit drei anderen Cousins teilen? Ich schon.“ | |
Damit sage ich, dass ich das Klassenproblem aus eigener Erfahrung kenne, im | |
Gegensatz zu dem Verfasser des Beitrags. Anstelle von Verständnis bekomme | |
ich mehr Beleidigungen: „Du Opfer!“ Ich lösche meinen Tweet, weil ich | |
merke, dass die Erklärung meiner persönlichen Erfahrung als Unterwürfigkeit | |
verstanden wird. Meine Erfahrung ist mir zu schade, um sie so konsumieren | |
zu lassen. Sie ist zu real. | |
Spätestens als Männer anfangen, die Ministerien anzurufen, die den Verein | |
finanzieren, bei dem ich arbeite, um sich dort über mich zu beschweren, | |
gewinnt das Ganze eine neue Dimension. Es ist kein virtueller Shitstorm | |
mehr. Jetzt geht es darum, mir materiell zu schaden. | |
## Dass öffentlich wurde, wo ich wohne, war zu viel | |
Die Veröffentlichung jenes Blogbeitrags im März 2018 war das Ende meines | |
Twitteraccounts, wie ich ihn vorher kannte. Alles, was ich seitdem | |
schreibe, zieht Trolle und Hater an. Sie posten Hass unter fast jedem | |
meiner Tweets. Ich weiß nicht, wie viele Selbstmordaufforderungen ich | |
bisher bekommen habe oder wie oft sie mir schrieben, dass ich vergewaltigt | |
werden sollte und dass ich dann selbst schuld sei. Kaum dachte ich, es | |
könne nicht schlimmer werden, wurden meine Adresse und Telefonnummer | |
veröffentlicht. | |
Dass sie wussten, wo ich gearbeitet habe, war das kleinere Übel. Im Büro | |
war ich nie allein, und meine Chefinnen und Kolleginnen waren solidarisch. | |
Aber dass jetzt öffentlich wurde, wo ich wohne, war zu viel. Meinen | |
Mitbewohner*innen hat das auch nicht geholfen. | |
Ich fing an, mit einem Add-on die Follows von größeren rechten Accounts zu | |
blocken und Blocklists anderer zu verwenden. Ich wusste nicht, wie ich die | |
Kontrolle über meinen Twitter-Account zurückgewinne, das war ein hilfloser | |
Versuch, der eher dazu führte, dass ich zusätzlich die Kontrolle über meine | |
Blocks verlor. Ich wollte Rechte blocken. Stattdessen habe ich geblockt: | |
Alle deutsch- und englischsprachigen Medien, deutsche und österreichische | |
politische Parteien, Hunderte Journalist*innen, Politiker*innen, | |
Aktivist*innen, Tausende Menschen und Institutionen, die nichts mit der | |
Hasskampagne zu tun hatten. 30.000 Accounts. Es hat nichts gebracht. Mein | |
Account wurde immer noch genauso attackiert wie davor. | |
## Ich weiß, das es nicht nur mir so geht. | |
Wie geht man mit Rechten um? Ich weiß nicht, ich glaube, es gibt kein | |
Rezept, keine Universallösung. Ich blocke sie, weil ich der Meinung bin, | |
dass ich sie eh nicht erreichen kann. Mit meiner wertvollen Zeit und Kraft | |
möchte ich lieber jene erreichen, die erreichbar sind. Jene, die zwar nicht | |
genauso denken wie ich, mir aber keine Abschiebung, Kündigung, | |
Vergewaltigung oder Vergasung wünschen. Soll nicht heißen, dass man mit den | |
„Gleichgesinnten“ immer derselben Meinung ist. Man kann auch von Linken mal | |
auf die Fresse bekommen. Als ich über den oben genannten Vergasungswunsch | |
schrieb, waren es Linke, die mir Holocaust-Verharmlosung vorwarfen. | |
Oft spielt es keine Rolle, was gesagt wird. Entscheidend ist: Wer sagt was? | |
Für dieselbe Aussage kann ein weißer Mann belohnt und eine migrantische | |
oder migrantisierte Frau bestraft werden. | |
Warum tut man sich das an? Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich tue mir | |
das an, weil ich diese Plattform einfach brauche. Sowohl als Migrantin als | |
auch als freie Autorin bin ich auf Social Media angewiesen. Als Ausländerin | |
ist es sehr schwierig, in deutschen Medien Fuß zu fassen und sich an | |
gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen. Auf Twitter habe ich die | |
Möglichkeit, mich über politische Themen zu äußern, von denen ich betroffen | |
bin. Ich mache mich dort hör- und sichtbar. Ich nehme mir Raum. Ich bleibe, | |
weil ich mir das alles nicht wegnehmen lassen will. Trotz der bitteren | |
Realität, dass ich mich so sehr an Gewaltdrohungen gewöhnt habe, dass sie | |
mich inzwischen nur noch kaltlassen. Und ich weiß, dass es nicht nur mir so | |
geht. | |
4 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Sibel Schick | |
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