| # taz.de -- Anne Wizorek über die Rolle von Hashtags: „Privilegien sind eine… | |
| > Rassismus und Sexismus stecken in der DNA des Landes, sagt Anne Wizorek. | |
| > Was bewirken da Kampagnen wie #aufschrei und #MeTwo? | |
| Bild: Protest gegen den AfD-“Marsch der Frauen“ am 17. Februar 2018 in Berl… | |
| taz: Frau Wizorek, Sie haben 2013 die Kampagne #aufschrei mit initiiert, | |
| heute haben wir #MeTwo. Wie nachhaltig sind solche Hashtags? | |
| Anne Wizorek: Wir müssen die jeweiligen Ebenen, auf denen die Debatten | |
| geführt werden, betrachten: also vor allem die mediale und die private. Die | |
| Nachhaltigkeit auf privater Ebene ist schwerer messbar. Wichtig ist, dass | |
| Medien immer den Kontext eines solchen Hashtags klarstellen und nicht jeden | |
| nur als neu verkaufen. Sie müssen darüber aufklären, dass es sich um große | |
| gesellschaftliche Zusammenhänge handelt. Twitter kann oft nur das Medium | |
| für die Initialzündung einer Debatte sein. Aber in all ihrer | |
| Ausführlichkeit und mit all ihren Facetten muss sie insbesondere auf | |
| anderen Plattformen geführt werden. | |
| Was müssen Medienmacher*innen beachten? | |
| Sie haben die wichtige Multiplikator*innenfunktion, das Thema nicht nur | |
| aufzugreifen, sondern auch zu lenken, wie darüber gesprochen wird. | |
| Rassismus und Sexismus gibt es nicht erst seit gestern, sie stecken in der | |
| DNA unseres Landes. Deshalb müssten wir eigentlich jeden Tag darüber reden, | |
| was wir dagegen tun können. Strukturelle Diskriminierung und Gewalt sind | |
| aber so normalisiert worden, dass die meisten von uns im Alltag, gerade | |
| wenn wir mit entsprechenden Privilegien einhergehen, nicht darüber | |
| nachdenken müssen. Aber solche Hashtags können den Finger in die Wunde | |
| legen. Einzelne Geschichten von echten Menschen, das kann uns oft besser | |
| erreichen als die nächste große Studie zu dem Thema. | |
| Andererseits werden Menschen, die ihre Erfahrungen teilen, als Opfer | |
| diffamiert. | |
| Allein die Tatsache, dass der Begriff „Opfer“ ein Schimpfwort ist, sagt | |
| alles über den Zustand unserer Gesellschaft aus. Betroffene werden Opfer | |
| rassistischer Gewalt, sie suchen sich das also keineswegs so aus. Beim | |
| Teilen solcher Erfahrungen geht es deshalb auch um Empowerment, es kann im | |
| besten Fall sogar bei der Verarbeitung der Traumata helfen. Das ist genau | |
| das Gegenteil von „Ich begebe mich in die Opferrolle“, vielmehr zeigen wir | |
| den jeweiligen Beleidigungen und Angriffen einen Mittelfinger und sagen: | |
| „Das hier? Will ich nicht!“ Es ist aber ein klassisches Muster von | |
| diskriminierenden Machtstrukturen, dass diejenigen, die auf das Problem | |
| hinweisen, als schlimmer empfunden werden als das eigentliche Problem. | |
| Zurück zur Verantwortung der Medien: Wie stellen Sie sich die | |
| Rassismusdiskussion langfristig vor? | |
| Die Verantwortung der Medien liegt nicht nur in der Verbreitung, sondern | |
| auch in der Vertiefung des Themas. Wir müssen vor allem über Lösungen | |
| sprechen: Was können wir alle jeden Tag tun? Was müssen wir dafür lernen? | |
| Aber vor allem auch: Was muss sich strukturell ändern? | |
| Wo kommt der Drang her, bei Hashtags wie #MeTwo die realen Erfahrungen von | |
| Menschen zu relativieren? | |
| Erfahrungen mit Diskriminierung und Gewalt werden eher einzeln betrachtet, | |
| statt sie als Ganzes zu sehen. Eine einzelne Erfahrung mag vielleicht auch | |
| nicht so schlimm klingen, aber in der Vielzahl können sie zum Trauma | |
| werden. Tausend Nadelstiche tun auch verdammt weh! Natürlich macht das was | |
| mit Menschen, wenn sie jeden Tag irgendeine Variante von „Du gehörst hier | |
| nicht her“ hören müssen. Das wegreden zu wollen ist naiv und absurd. Gerade | |
| wenn es aus gesellschaftlichen Kreisen kommt, die sich als progressiv | |
| verstehen, die aber gleichzeitig ihre verinnerlichten Verhaltensmuster | |
| nicht reflektieren. Viele verstehen Rassismus und Sexismus wie eine | |
| Erkältung. Sie denken: Entweder hast du sie, oder du hast sie nicht. | |
| Stattdessen funktioniert es eher wie Luftverschmutzung, und wir alle sind | |
| unterschiedlich stark von rassistischem, sexistischem und transfeindlichem | |
| Denken geprägt. | |
| Wie hat damals #aufschrei auf die Gesellschaft gewirkt? | |
| Die meisten Menschen berichteten mir, dass sie zum ersten Mal in ihrem | |
| Familienumfeld und Freundeskreis über Sexismus und vielleicht auch eigene | |
| Erfahrungen gesprochen haben. Allein das ist ein großer Erfolg. Außerdem | |
| sagt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass sie ein Drittel mehr | |
| Anfragen von Betroffenen bekam. Betroffenen wurde also auch klar, dass es | |
| Hilfsangebote gibt und dass sie diese in Anspruch nehmen dürfen. Zu merken, | |
| dass sie nicht schuld daran sind und nicht allein mit ihren Erfahrungen, | |
| ist äußerst wichtig. Sexualisierte Gewalt oder rassistische Übergriffe | |
| müssen uns nicht für den Rest unseres Lebens definieren. Wir sind auch zu | |
| sehr vom neoliberalen Denken geprägt, dass Schwäche etwas Negatives statt | |
| etwas Menschliches sei, dass wir alles allein schaffen müssen, weil wir | |
| sonst versagen. Hashtags wie #aufschrei, #MeToo und #MeTwo sind auch ein | |
| Widerstand gegen dieses Denken. | |
| Oft hängt strukturelle Diskriminierung auch mit dem derzeitigen System | |
| zusammen. | |
| Ja! Eine Frau mit Kopftuch wird zum Beispiel als Putzfrau gern gesehen, | |
| will sie aber Lehrerin werden, wird sie daran gehindert, und zugleich wird | |
| davon geredet, dass die Integration gescheitert ist. | |
| Was ist mit dem Cis-Mann, der bei Rassismus- und Sexismusdiskussionen um | |
| die Ecke kommt und schreit: „Das Problem ist das Kapital“? | |
| Als ob das alles nicht eng miteinander verwoben wäre! Gerechte Verteilung, | |
| Sexismus und Rassismus fein säuberlich zu trennen – das geht gar nicht. Wir | |
| neigen aber dazu, lieber in Schubladen zu denken und eine ultimative | |
| Einzellösung für alles zu sehen, um uns die Welt einfacher zu machen. | |
| Unsere Welt ist aber weitaus komplexer als das, das können wir nicht | |
| ignorieren. | |
| Seit #MeTwo sind viele erstaunt, dass Rassismus in den Schulen von den | |
| Lehrpersonen reproduziert wird und so Schüler*innen traumatisiert werden. | |
| Dieses Problem zeigte sich auch schon 2013 beim Hashtag #schauhin als | |
| dieser Alltagsrassismus thematisierte. Privilegien sind eben eine verdammt | |
| gute Beruhigungsdroge. Mitunter nimmst du nichts wahr oder stellst infrage, | |
| was aber eigentlich in deiner unmittelbaren Umgebung passiert. Für | |
| Betroffene ist wichtig sich vom gegenseitigen Mut anstecken zu lassen und | |
| in einer größeren Gruppe sichtbar zu werden. Scham ist bei | |
| Gewalterfahrungen ein zentraler Faktor, aber solche Hashtags können auch | |
| helfen, sich von dieser Scham frei zu machen. | |
| Gerade ist eine Studie des Hamburger Hans-Bredow-Instituts erschienen, die | |
| untersucht, inwieweit das Stimmungsbild auf Twitter dem der Bevölkerung | |
| ohne Twitter-Account entspricht. Dort heißt es, Themen und Meinungen, die | |
| auf Twitter kursieren, seien nicht repräsentativ für den Stand einer | |
| gesellschaftlichen Diskussion. Wie erreichen wir also diejenigen, die nicht | |
| auf Twitter sind? | |
| Ich denke, hierfür sollte mit Menschen zusammengearbeitet werden, die | |
| antirassistische Arbeit machen, sowie Dachverbänden, etablierten Vereinen | |
| und Migrant*innenselbstorganisationen, die schon bestehende Netzwerke | |
| haben. | |
| Ist es sinnvoll, Rassismus- und Sexismusdiskussionen zu trennen? | |
| Ich finde das schwierig zu beantworten. Allein für Frauen of Color ist es | |
| ja nicht trennbar. Egal um welchen Aspekt von Diskriminierung es geht, | |
| unsere Erfahrungen sind halt immer komplexer, als ein Beitrag unter einem | |
| Hashtag es wiedergeben kann. Das müssen wir mitbedenken. | |
| Kann man also nicht viel von einem Hashtag erwarten? | |
| Wenn ein einzelnes Hashtag das Patriarchat abschaffen könnte, hätte ich das | |
| längst in die Welt gesetzt. Generell sollten Hashtags am besten mit | |
| konkreten Forderungen nach gesellschaftlichen Verbesserungen verbunden | |
| werden. Und was wäre die Alternative zu einem Hashtag? Nicht über | |
| gesellschaftliche Probleme wie Rassismus zu sprechen? Das kann es nicht | |
| sein. | |
| 27 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Sibel Schick | |
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