| # taz.de -- Sibel Schick über Hass im Netz: Autorin erhält Morddrohungen | |
| > Als feministische Autorin äußerte Sibel Schick auf der Plattform Twitter | |
| > Beobachtungen über Deutschland. Es folgt: ein Shitstorm. | |
| Bild: Die freie Autorin Sibel Schick sagt: „Auch 200 Kampagnen gegen Hass im … | |
| taz: Am Montagabend [1][schrieben Sie] auf Twitter: „Weiße Männer | |
| verbringen zwei Wochen im Mittleren Osten, erklären sich für Experten, | |
| schreiben Bücher, werden auf Talkshows eingeladen etc. Nach dem Maßstab | |
| qualifizieren mich meine zehn Jahre in Deutschland als Deutschlandexpertin. | |
| Ein Thread über die deutsche Gesellschaft.“ Was hat Sie zu diesem Post | |
| bewegt? | |
| Sibel Schick: Ich saß am Nachmittag mit meinen Freund*innen zusammen und | |
| wir sprachen darüber, das People of Color bei bestimmten Themen immer als | |
| parteiisch gesehen werden, während weiße Menschen als neutrale Experten | |
| gelten. Ich dachte, ich drehe den Spieß um und schreibe das auf. Es wurde | |
| ein lange Kette von Beobachtungen über Deutschland. | |
| Ihre Äußerungen wurden anschließend vielfach geteilt. Waren da bereits | |
| ablehnende Kommentare zu lesen? | |
| Anfangs kaum. Dienstag und Mittwoch fanden es viele gut und lustig, einige | |
| haben sich bedankt. Wieder andere haben sich angegriffen gefühlt. Die Welle | |
| an Hasskommentaren kam dann aber zwei Tage später. Zwei Youtuber*innen mit | |
| fünfstelligen Followerzahlen haben Aufrufe gestartet, damit ich gesperrt | |
| werde, weil sie sich durch meine Tweets angegriffen gefühlt haben. | |
| Ihre Follower haben dann wohl mein Twitterprofil gesehen, auf dem steht: | |
| „männerhassende Influencerin, migrantische cis-Mann-Zähmerin von Beruf | |
| her“, was allerdings eine Fremdbezeichnung ist. Aber das muss man erst | |
| einmal verstehen können. Für sie war die Rechnung einfach: Sie erklären | |
| sich meinen vermeintlichen Deutschenhass damit, dass ich Feministin bin. | |
| Das ist alles insofern interessant, als dass sie sich von mir diskriminiert | |
| fühlen. | |
| Und es passierte das, was man allgemein als einen [2][Shitstorm] | |
| bezeichnet: die Scheiße bricht sich Bahn und es folgen unzählige | |
| Nachrichten voller Hass. Sie stehen gerade mitten im Sturm. Wieviele | |
| Kommentare trudelten bei Ihnen heute schon ein? | |
| Ich bekomme derzeit etwa 100 Nachrichten pro Stunde. In den letzten Stunden | |
| habe ich Hunderte von Nachrichten gesehen, die ungefähr diesen Wortlaut | |
| haben: „Dann geh doch aus Deutschland weg, wenn du Deutschland so hasst.“ | |
| In meinen Tweets steht aber nirgendwo, dass ich Deutschland hasse. Die | |
| fühlen sich von ganz normalen Bemerkungen wie [3][meinem Tweet über die | |
| Mülltonne] („Für Deutsche sind Mülltonnen Eigentum, deshalb stehen diese | |
| immer hinter verschlossenen Türen.“) angegriffen. Wenn ich Deutschland | |
| hassen würde: Warum zahle ich dann so viele Steuern? | |
| Wie gehen Sie mit der aktuellen Situation um? | |
| Es ist soviel los, dass ich richtig schlimme Kommentare übersehe. Meine | |
| Follower machen Screenshots und schicken sie mir. Gewaltandrohungen und | |
| Mordaufrufe kommen von anonymen Accounts, deren Verfasser ich aber | |
| zurückverfolgen konnte. Ganz klare Gewaltaufrufe melde ich und habe vier | |
| Morddrohungen bei der Polizei angezeigt. (Die Mordrohungen liegen der | |
| Redaktion vor.) Ich habe auch schon früher einiges der Polizei gemeldet und | |
| verspreche mir nicht viel davon. | |
| Warum? | |
| Die Polizei ist mit Twitter und den sozialen Medien überfordert, sie | |
| versteht nicht, wie Rechte auf diesen Plattformen mobilisieren. Hey, meine | |
| Adresse wurde auf Twitter öffentlich gemacht. Das ist eine ständige | |
| Bedrohung. Es ist nicht so, dass ich das Handy ausmachen kann und dann ist | |
| es vorbei. | |
| Wurde Ihnen das etwa schon geraten? | |
| Ja, aus meinem Umfeld. „Dann mach doch einfach Pause“ höre ich oft oder | |
| auch „vielleicht solltest Du Dir überlegen, dich zurückzuziehen“. Das ist | |
| keine Lösung. Das Problem wird nicht gelöst, wenn ich meine Accounts, also | |
| meinen Zugang zu sozialen Medien, lösche. Das würde von Rechten als Erfolg | |
| gewertet werden, weil sie mich zum Schweigen gebracht hätten. Und das wäre | |
| ein fatales Zeichen für Nutzer*innen mit weniger Followern, die diese | |
| Öffentlichkeit brauchen. Meinen Account kann man nicht so einfach sperren | |
| lassen. Den Schutz, den ich über meinen blauen Haken (ein | |
| Verifizierungsmerkmal für Nutzer*innen, Anm. d.Red.) genieße, haben | |
| kleinere Accounts nicht. | |
| Warum genau sollte das Sperren eines Accounts ein Erfolg für Rechte sein? | |
| Das ist ein Krieg. Es geht um die Frage: Wem gehört der öffentliche Raum? | |
| Wer sagt was und kommt mit dem was er sagt in die Öffentlichkeit. | |
| Entscheidend dabei ist, wer etwas sagt. Manche missbrauchen diese Form der | |
| Kritik. Das Problem ist, dass es dann gar nicht mehr um die Sache geht. | |
| Hassrede in den sozialen Medien wird vielerorts diskutiert, es gibt etliche | |
| Kampagnen die gegen den Hass im Netz mobilisieren. Haben Sie das Gefühl, | |
| dass das hilft? | |
| Solange die Gesellschaft menschenfeindliche Äußerungen toleriert und sowohl | |
| in den sozialen Medien als auch im Offline-Leben solche Äußerungen | |
| keinerlei Konsequenzen haben, hilft das nicht. Und wenn irgendwelche Leute | |
| sagen, „das war doch bestimmt nicht so gemeint“, ohne das in Frage zu | |
| stellen, bleibt der Hass. Hasskappen in den sozialen Medien treffen wir | |
| auch auf der Straße, auf der Arbeit, in den Schulen. Das sind die gleichen | |
| Menschen wie im Netz. Wenn Hass unkommentiert gelassen wird, werden die | |
| Grenzen des Sagbaren ständig erweitert. Da können wir 200 Kampagnen gegen | |
| Hass im Netz starten, es würde nichts bringen. | |
| Das klingt sehr pessimistisch. | |
| Ja, in der Kombination von Migrantin, Autorin und Feministin ist das leider | |
| so. Die Nachricht ist: wer als Marginalisierte versucht, in den sozialen | |
| Netzwerken sichtbar zu werden, wird mit Gewalt konfrontiert. | |
| Warum tun Sie es trotzdem? | |
| Weil ich marginalisierte Menschen empowern möchte. Weil Menschen mit | |
| ähnlichen Erfahrungen eine Plattform zum Reden und Diskutieren brauchen. | |
| Weil ich Fragen stelle und meine Perspektive darstelle und diesen Austausch | |
| wichtig finde. | |
| Offenlegung: Sibel Schick ist auch als [4][Autorin für die taz] tätig. | |
| 26 Apr 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/sibelschick/status/1120398805210365952 | |
| [2] /Nazis-raus-trendet-auf-Twitter/!5561024 | |
| [3] https://twitter.com/sibelschick/status/1120399847016882178 | |
| [4] /Sibel-Schick/!a36871/ | |
| ## AUTOREN | |
| Ebru Tasdemir | |
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