| # taz.de -- Kolumne Die Couchreporter: Wenn „makaber“ es kaum noch trifft | |
| > Die Sky-Miniserie „Chernobyl“ über den Super-GAU von 1986 findet | |
| > angemessen grausame Bilder. Leichte Kost sieht anders aus. | |
| Bild: Die Katastrophe lässt sich nicht länger verschweigen, die Evakuierung n… | |
| Der arg verkrampfte, verhuschte, scheinbar stets korrekte Brite Lane Pryce, | |
| gespielt von Jared Harris, war eine der besten Nebenfiguren in der | |
| amerikanischen Über-Serie „Mad Men“. Es ging zu Herzen, als er sich in | |
| Folge 64 erhängte. Eine neue fünfteilige HBO/Sky-Miniserie (des „Creators“ | |
| Craig Mazin) fängt nun genau so an: Jared Harris – die von ihm verkörperte | |
| Figur – erhängt sich. Man kann das ein bisschen makaber finden, gleich am | |
| Anfang. Am Ende aber, nach fünf Stunden „Chernobyl“, wird „makaber“ ni… | |
| mehr die angemessene Kategorie sein. | |
| Tatsächlich sind in mittlerweile mehr als drei Jahrzehnten kaum mehr als | |
| eine Handvoll Spielfilme über die Reaktorkatastrophe von 1986 entstanden. | |
| In deutschen Produktionen diente Tschernobyl eher als zeitgeschichtliche | |
| 1980er-Jahre-Markierung: „Am Tag als Bobby Ewing starb“ (2005) – oder auch | |
| nicht – erfuhren die Menschen hierzulande aus den Nachrichten auch von dem | |
| Unglück und holten ihre Kinder ins Haus, die nun nicht mehr draußen spielen | |
| durften. | |
| Davon hört in „Chernobyl“ Borys Shcherbyna, Stellvertretender Vorsitzender | |
| im Ministerrat der UdSSR, am Telefon. Es ist der Moment, in dem ihm klar | |
| wird, dass das Hinauszögern der Evakuierung der Staatsraison nicht länger | |
| dienlich ist. Die Welt weiß Bescheid. Ihn spielt Stellan Skarsgård – nicht | |
| der einzige Schwede auf der Besetzungsliste (mit David Dencik als | |
| Gorbatschow), aber, etwas kurios, der einzige Schauspieler, der sich um | |
| einen irgendwie russischen Akzent bemüht, während ansonsten ein sehr | |
| britisches Englisch vorherrscht. | |
| Dass Shcherbyna und der von Harris verkörperte Waleri Legassow Weggefährten | |
| und sogar so etwas wie Freunde werden, zeichnet sich noch nicht ab, als der | |
| eine dem anderen droht, ihn aus dem Hubschrauber nach Tschernobyl zu | |
| werfen. Beide Figuren sind historisch verbürgt. Legassow und die – fiktive | |
| – Ulyana Khomyuk (Emily Watson) geben die durchaus genretypischen | |
| Wissenschaftler, deren Warnungen von ignoranten, arroganten Apparatschiks | |
| in den Wind geschlagen werden. | |
| ## Was kosten Lügen? | |
| Gleich nach Legassows Suizid am 26. April 1988 springt die Handlung zwei | |
| Jahre – und eine Minute – zurück. Der Reaktor ist gerade eben explodiert, | |
| der GAU bereits geschehen. Nur dass der größte anzunehmende Unfall, | |
| grammatisch unmöglich, noch viel, viel größer werden kann. Wenn Legassow, | |
| Shcherbyna und Khomyuk es nicht verhindern. Legassow erweist sich als | |
| ähnlich verkrampfter, verhuschter Typ wie Lane Pryce, der am Ende – am | |
| Anfang – den „Preis der Lügen“, wie er es nennt, bezahlt. Nicht ohne zuv… | |
| im Tribunal gegen die überhaupt nicht unschuldigen Sündenböcke, doch noch | |
| die ganze Wahrheit gesagt zu haben. Nicht ohne sie auf seinen | |
| Kassettenrekorder gesprochen zu haben: „What is the cost of lies? It’s not | |
| that we’ll mistake them for the truth. The real danger is that, if we hear | |
| enough lies, then we no longer recognize the truth at all …“ | |
| Der Serie ist eine Widmung nachgestellt: „In memory of all who suffered and | |
| sacrificed“. Da ist etwa die junge Frau des Feuerwehrmanns, die ihren Mann | |
| vor dem Einsatz verabschiedet. Die viel später, in Folge drei, trotz | |
| gegenteiliger Anweisung, nicht anders kann, als dem von der | |
| Strahlenkrankheit zerfressenen beim Sterben die Hand zu halten, weshalb die | |
| Tochter, die sie danach zur Welt bringt, nur vier Stunden leben wird. Die | |
| zusieht, wie ihr Mann erst in seinen metallenen Sarg eingeschweißt und der | |
| dann einbetoniert wird. Einbetoniert werden auch die Kadaver der Haustiere, | |
| die zu erschießen der Job von zwei Afghanistan-Veteranen und eines kaum der | |
| Pubertät entwachsenen Jungen ist … | |
| „Chernobyl“ ist richtig harte Kost. Weil die Serie die angemessen | |
| furchtbaren Bilder findet und Geschichten erzählt. Weil man als Zuschauer | |
| ahnt, dass es sich – mehr oder weniger – so zugetragen haben muss. | |
| 14 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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