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# taz.de -- Netflix-Serie „Unbelievable“: Im Zweifel gegen die Betroffene
> Stellen Sie sich vor, sie wurden vergewaltigt und keiner glaubt ihnen.
> Das ist die Geschichte von Marie Adler, erzählt in der True-Crime-Serie.
Bild: Marie wird einmal befragt, noch einmal, und immer wieder – doch nur von…
Der erste Satz, der von Marie Adler (Kaitlyn Dever) in „Unbelievable“ zu
hören ist, lautet: „Ich wurde vergewaltigt.“ Ein maskierter Mann sei nachts
in die Wohnung der 18-jährigen alleinlebenden Frau eingebrochen, habe sie
gefesselt, geknebelt und vergewaltigt. Dieses Erlebnis erzählt sie kurz
nach der Tat einem Polizisten vor Ort, später auf der Polizeistation einem
Ermittler und kurz darauf noch einem weiteren – alle Polizisten, die sie
befragen, sind Männer. Danach muss sich Adler in einem Krankenhaus einer
mehrstündigen Untersuchung unterziehen. Nach der Hälfte der ersten Folge
unterschreibt sie ihre Aussage: Das mit der Vergewaltigung war eine Lüge.
Schon die ersten 30 Minuten der achtteiliigen Netflix-Miniserie sind nur
schwer aushaltbar. Nicht weil die Serie schlecht gemacht, sondern weil die
Thematik so hart ist. Sie sollte Pflichtfernsehen für all diejenigen sein,
die nach dem Aufkommen von #MeToo den betroffenen Frauen ständig vorhalten:
Wieso habt ihr die Vergewaltigung denn damals nicht angezeigt? Wieso? Weil
es ein hartes Prozedere ist für Frauen, die gerade erst eine traumatische
Erfahrung gemacht haben. Weil die Kraft nicht da ist, das Erlebte immer und
immer wieder durchleben zu müssen. Weil die Angst, dass ihnen nicht
geglaubt wird, zu groß ist.
Wie es auch bei Adler der Fall ist. Nicht nur von den Ermittlern, auch von
ihrer ehemaligen Pflegemutter schlägt ihr Misstrauen entgegen. Bis sie die
Anzeige zurücknehmen muss, als Lügnerin attackiert, aus dem Freundeskreis
ausgeschlossen und in sozialen Medien gemobbt wird. Bis sie schließlich vor
Gericht steht: angeklagt wegen Falschaussage.
Die Serie von Susannah Grant, Ayelet Waldman und Michael Chabon basiert auf
den mit dem Pulitzer-Preis [1][ausgezeichneten Recherchen von 2015 der
Reporter Christian Miller und Ken Armstrong]. Zu wissen, dass (fast) alles,
was wir in „Unbelievable“ sehen, einer jungen Frau in Lynnwood (Washington)
wirklich widerfahren ist, macht das Zuschauen noch unerträglicher. Erzählt
die True-Crime-Serie doch nicht nur das Schicksal einer einzelnen Frau,
sondern thematisiert das System von Gerechtigkeit und Gleichberechtigung.
Ein System, das versagt. In dem Betroffenen nicht geglaubt wird, in dem
Polizeireviere und Gerichtssäle noch immer von Männern dominiert werden, in
dem Vergewaltigungsfällen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Wie auch in der Reportage wird neben dem Leben von Adler ein zweiter
Handlungsstrang mit den Ermittlungen zweier Polizistinnen parallel erzählt.
Grace Rasmussen (Toni Collette) und Karen Duvall (Merritt Wever)
untersuchen zwei Jahre später eine Reihe von Vergewaltigungen in Washington
und Colorado. Das Vorgehen des Vergewaltigers erinnert an den Fall von
Marie. Was einen als Zuschauer*in dazu bringt, mehrere Folgen lang zu
hoffen, dass das doch bitte auch on screen jemandem auffallen möge.
Das Verhalten von Rasmussen und Duvall bei ihren Ermittlungen gegenüber den
Betroffenen könnte nicht unterschiedlicher zu dem der Ermittler in Adlers
Fall sein. Rücksichtsvoll erklären sie den Betroffenen jeden einzelnen
Schritt des Vorgehens. Fast jeder Satz von ihnen wird beendet mit: „Wenn es
okay für dich ist“, „Nimm dir Zeit“ oder „Du musst dich mir gegenüber…
nichts rechtfertigen oder erklären“. Rasmussen und Duvall zeigen in dem
eigentlich klassischen Detektivinnendrama mit verschiedenen
Verdächtigungen, stundenlangen Ermittlungsarbeiten und Verhören, wie es
besser laufen kann. Nämlich dass im Zweifel für den Angeklagten nicht im
Zweifel gegen die Betroffenen heißen muss.
19 Sep 2019
## LINKS
[1] https://www.propublica.org/article/false-rape-accusations-an-unbelievable-s…
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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