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# taz.de -- Zwei Jahre #MeToo: Bewegung ohne prominentes Urteil
> Ein Bericht über die sexuellen Übergriffe Harvey Weinsteins war der
> Anfang. Mit der Zeit wurden immer mehr Fälle publik.
Bild: Die Schauspielerin Rose McGowan (links) und Tarana Burke, die Gründerin …
Wann immer jemand den Mut aufbrachte, von einem sexuellen Übergriff
öffentlich zu sprechen, waren auch die Vorwürfe nicht weit: Wichtigtuerei.
Geldgier. Wieso hat sie denn vorher nie etwas gesagt? Seit #MeToo hat das
zwar nicht aufgehört. Aber es wird nicht mehr einfach so hingenommen.
#MeToo hat seit 2017 Frauen und Männer weltweit vereint in ihrem Kampf
gegen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch. Es war das erste Mal, dass
es zu viele Stimmen waren, um zu sagen: Ach, das war doch bestimmt nicht so
gemeint. Oder: Sieh es doch als Kompliment.
Ausgelöst wurde diese weltweite Bewegung durch die Recherchen der beiden
Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey. Sie berichteten am 5. Oktober
2017 in der New York Times, wie Dutzende Frauen den US-Produzenten Harvey
Weinstein des sexuellen Missbrauchs, der Belästigung und Vergewaltigung
beschuldigen. Kurz danach ging der von der US-amerikanischen Aktivistin
Tarana Burke initiierte Hashtag #MeToo viral, Millionen Frauen (und auch
Männer) erzählten von ihren Erfahrungen des sexuellen Missbrauchs. Täter
haben ihren Job verloren, Beratungsstellen oder Initiativen wie „TimesUp“,
die Betroffene mit Geld und Anwälten unterstützen, wurden gegründet.
Doch während immer mehr Menschen ihre Rechte einfordern, wird die gesamte
Bewegung auch von massiver Kritik begleitet. Und der Mythos der
Falschbeschuldigung besteht fort. Dieser Mythos ist eine Art
gesellschaftlicher Reflex, den es bei anderen Vorwürfen von Straftaten
nicht gibt. Anstatt den Betroffenen zu glauben, wird bei sexualisierter
Gewalt erst nach Gründen gesucht, warum die Geschichte unglaubwürdig sein
könnte. Getragen von dem Narrativ, dass ein harmloser Flirt ohne Weiteres
als sexueller Übergriff ausgelegt werden kann.
Zwar muss auch bei Vorwürfen der sexualisierten Gewalt „Im Zweifel für den
Angeklagten“ gelten, doch im gleichen Maße muss das „im Zweifel für die
Betroffenen“ bedeuten. Sonst wird ein gesellschaftliches Klima geschaffen,
in dem Machtmissbrauch nicht nur dazu führt, dass es sexualisierte Gewalt
gibt, sondern in dem Betroffene auch noch als Lügner*innen dastehen.
## Wenig Beweise, wenig Prozesse
Viele der Vorwürfe waren 2017 bereits verjährt und haben nie zu
Ermittlungen geführt, viele Ermittlungen wurden aufgrund mangelnder Beweise
abgebrochen, einige Prozesse fanden statt – doch verurteilt wurde bislang
kaum eine*r.
Einer der prominentesten Beschuldigten im Zusammenhang mit #MeToo ist wohl
der US-amerikanischen Schauspieler Kevin Spacey. Seit Oktober 2018 warfen
ihm Dutzende Menschen Missbrauch und Belästigung in einem Zeitraum von
dreißig Jahren vor.
In zwei Fällen kam es bisher zu Anklagen – doch beide scheiterten. Der
erste Strafprozess wurde Ende Juli dieses Jahres eingestellt. Denn der
mutmaßlich Betroffene, William Little, verweigerte im laufenden Verfahren
seine Aussage. Grund dafür war laut übereinstimmenden Medienberichten das
Verschwinden eines wichtigen Beweismittels: des Telefons von Little.
Während die Polizei aussagt, sie habe Little das Handy zurückgegeben,
widerspricht die Familie. Sie hätten das Telefon nie erhalten. Zwei Monate
später sollte der nächste Prozess gegen Spacey beginnen. [1][Doch bevor es
so weit kam, verstarb der Kläger] unter bisher ungeklärten Umständen – ein
anonymer Massagetherapeut, der Spacey beschuldigte, er habe ihn 2016 bei
einer Massagesitzung zum Oralsex zwingen wollen.
Auch die Klage gegen den Fußballer [2][Cristiano Ronaldo wurde unter
anderem wegen eines verschwundenen Beweismittels fallen gelassen]. Die
Klägerin Kathryn Mayorga hatte im August 2018 Klage eingereicht und ihn
beschuldigt, sie vor zehn Jahren in einer Hotelsuite in Las Vegas
vergewaltigt zu haben. Es gab Videomaterial, das die beiden vor und nach
dem Vorfall zeigen sollte. Doch dieses Material ist laut Staatsanwaltschaft
verschwunden. Acht Jahre zuvor soll Ronaldo ihr 375.000 Euro Schweigegeld
gezahlt haben, wie der Spiegel berichtete. Sowohl bei Spacey als auch bei
Ronaldo ist es also mitnichten ein Beweis der Unschuld, der zum Freispruch
führte.
Die beiden Fälle reihen sich neben denen weiterer Prominenter ein. Etwa dem
[3][Fall von R. Kelly], dem unter anderem Kindesmissbrauch vorgeworfen
wurde und der sich daraufhin mit vielen seiner mutmaßlichen Opfer
außergerichtlich geeinigt hat. Kelly, von dem kinderpornografische
Aufnahmen existieren, der als R-’n’-B-Sänger aber trotzdem in ausverkauften
Stadien auftreten konnte. Oder dem Fall von Louis CK, der fünf Frauen
sexuell belästigt hat, das auch zugibt und kurz darauf sein Comeback als
Comedian feierte. Von Brett Kavanaugh, dem von Christine Blasey Ford
sexueller Missbrauch vorgeworfen und die vor einem Jahr öffentlich vom
Senat befragt wurde. [4][Kavanaugh ist mittlerweile Richter am obersten
Gerichtshof der USA]. Blasey Ford wurde massiv bedroht und musste mehrmals
ihren Wohnort wechseln.
#MeToo hat bis heute nichts daran geändert, dass Frauen, die sich
öffentlich zu ihren Erfahrungen äußern, massiv bedroht werden. The Cut, ein
Ableger vom New York Magazine, hat kürzlich betroffene Frauen gefragt, wie
es ihnen ergangen ist, nachdem sie ihre Vorwürfe laut ausgesprochen haben.
Die meisten sprechen von Einsamkeit und Isolation, viele verloren ihren Job
und viel Geld, wurden beleidigt und bedroht.
## Angst vor Frauen
Doch in den vergangenen zwei Jahren kamen nicht alle ungestraft davon: So
[5][sitzt Bill Cosby seit einem Jahr wegen sexueller Nötigung in Haft]. Und
auch [6][der Sportarzt Lary Nassar], dem von 250 Mädchen und Frauen
sexualisierte Gewalt vorgeworfen wird, wurde zu 40 bis 175 Jahre Haft
verurteilt. Dass aber viele der mutmaßliche Täter*innen nicht zur
Rechenschaft gezogen werden, ist nicht nur für die Betroffenen schwer.
Solange die Frage der Schuld nicht geklärt wird, sind sie für die einen
eine potenzielle Gefahr und für andere ein potenzielles Beispiel, was man
sich als Mann alles ungestraft erlauben kann.
Der Mythos der Falschbeschuldigungen hat sich in den letzten zwei Jahren
sogar verfestigt. Das geht aus der Studie der beiden US-amerikanischen
Wissenschaftlerinnern Leanne Atwater und Rachel Sturm hervor: Darin haben
sie 152 Männer und 303 Frauen befragt. Mit dem Ergebnis: Im Vergleich zum
Vorjahr stellen mehr Männer keine attraktiven Frauen mehr ein, vermeiden
One-on-one-Meetings oder gehen nicht mehr mit ihnen auf Arbeitsreisen. Aus
Angst vor unberechtigten Vorwürfen. Und so sind am Ende wieder die
Betroffenen die Leidtragenden. Zudem gaben Frauen in einer Umfrage der
Veranstalter der Women&Work, Europas Leitmesse für Frauen, an, dass sie
nicht das Gefühl haben, ihr Arbeitsplatz sei für Frauen sicherer geworden.
Zudem sagten 30 Prozent der Befragten, dass sie Belästigungen am
Arbeitsplatz nicht gemeldet haben.
Wie hoch die Zahl der Falschbeschuldigungen tatsächlich ist, lässt sich
zwar schwer sagen, doch verschiedene internationale Studien der letzten
Jahren beziffern Falschbeschuldigungen im einstelligen Prozentbereich.
Damit sind nur die Fälle gemeint, in denen die Polizei oder ein Gericht zu
dem Schluss gekommen ist, dass es sich um eine Falschbeschuldigung handelt
und kein Missbrauch stattgefunden hat.
Täter*innen, die nicht verurteilt werden; Betroffene, denen nicht geglaubt
wird, Männer, die Frauen noch mehr als zuvor gesellschaftlich exkludieren.
Dieser Backlash zeigt nicht, dass #MeToo umsonst war, sondern wie viel
Arbeit noch zu tun ist.
Gesellschaftlicher Wandel braucht Zeit, und er lässt sich wohl auch nicht
an einzelnen Gerichtsfällen festmachen. Doch gerade die prominenten Fälle
haben die nötige Schlagkraft, den Wandel zu beschleunigen. Viele Prozesse
stehen noch aus. Im September hätte der Prozess gegen Harvey Weinstein
beginnen sollen, doch er wurde auf Januar 2020 verschoben. Auch der Prozess
gegen R. Kelly soll im April 2020 beginnen.
Saubere Ermittlungen und ein fairer Prozess: Das ist das Mindeste, was die
Betroffenen erwarten können sollten. Zwei Jahre nach #MeToo.
3 Oct 2019
## LINKS
[1] /Kevin-Spacey-vor-Gericht/!5612582
[2] /Vorwurf-der-Vergewaltigung/!5612958
[3] /Vorwuerfe-wegen-sexuellen-Missbrauchs/!5612263
[4] /Trotz-Uebergriffsvorwuerfen-bestaetigt/!5541859
[5] /Urteil-wegen-sexueller-Noetigung/!5538735
[6] /Kolumne-American-Pie/!5461363
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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