# taz.de -- Berlinale-Jurypräsident Jeremy Irons: Der Gentleman als Hofnarr | |
> Der Schauspieler Jeremy Irons wird Jurypräsident des Berliner | |
> Filmfestivals. Seine öffentlichen Bemerkungen sorgen oft für Befremden. | |
Bild: Very British, sehr kontrolliert: der Schauspieler Jeremy Irons | |
Er hat eines dieser Gesichter, die sich ins Gedächtnis einbrennen und dort | |
ganz eigene Bilder hervorrufen. Wobei das Gesicht weniger durch seine | |
Expressivität als durch seine beruhigende, manchmal beunruhigende | |
Gesammeltheit auffällt. [1][Der Schauspieler Jeremy Irons] hat sich durch | |
seine ebenmäßigen Züge und seinen wachen, melancholischen Gesichtsausdruck | |
den Ruf des seriösen Gentleman-Darstellers mit gelegentlichen Abgründen | |
erspielt. | |
Verschiedensten Filmen hat er sein mimisches Gepräge verliehen, von seiner | |
Doppelrolle als perverses Arzt-Zwillingspaar in David Cronenbergs | |
Psychothriller „Die Unzertrennlichen“ (1988) über seinen Auftritt als | |
Investmentbank-CEO in J. C. Chandors Finanzkrisendrama „Der große Crash – | |
Margin Call“ (2011) bis zu seinem Part als weltabgewandter Architekt in Ben | |
Wheatleys düsterem [2][Science-Fiction-Entwurf „High-Rise“ (2015)]. Immer | |
very british und sehr kontrolliert. | |
Jeremy Irons bietet sich insofern als perfektes Gesicht für seine kommende | |
Rolle des Jurypräsidenten der [3][Berlinale] an. Das Filmfestival hatte | |
seine Entscheidung vergangene Woche bekannt gegeben. | |
Während er äußerlich anscheinend durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist, | |
gibt sich Irons in seinen öffentlichen Äußerungen hingegen mitunter als | |
schwer kontrollierbar zu erkennen. Was er zu Themen von der Homo-Ehe bis | |
zur Abtreibung hat verlauten lassen, ist allemal kontrovers. Unrühmliches | |
Highlight dürfte bisher seine Bemerkung gegenüber dem Streamingdienst | |
HuffPost Live aus dem Jahr 2013 sein, die gleichgeschlechtliche Ehe könnte | |
dazu führen, dass Väter ihre Söhne heirateten, um die Erbschaftsteuer zu | |
umgehen. Irons hat diesen Satz später bedauert. | |
## Zwischen allen Stühlen | |
An Statements wie diesen merkt man: Irons macht sich seine eigenen | |
Gedanken. Er macht sich aber anscheinend weniger Gedanken darüber, welche | |
Wirkung das Kundtun derselben gegenüber den Medien hat. Oder es stört ihn | |
nicht weiter, wenn er damit aneckt. Soziale Medien nutzt er übrigens nicht. | |
In seinem Fall wohl eine vernünftige Entscheidung. | |
Ganz so krude wie seine steuerpolitischen Bedenken gegen die | |
Zivilrechtsreform zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare fällt nicht jede | |
seiner Skandalaussagen aus. Dem [4][Guardian etwa sagte er zur Frage der | |
Abtreibung]: „Ich finde, dass Frauen diese Entscheidung treffen dürfen | |
sollen, doch ich glaube auch, dass die Kirche recht hat, wenn sie | |
Abtreibung eine Sünde nennt. Denn Sünden sind Taten, die uns verletzen. | |
Lügen verletzt uns. Abtreibung verletzt eine Frau – es ist ein heftiger | |
mentaler, manchmal auch körperlicher Angriff.“ | |
Damit setzt er sich in nicht ganz leicht zu ertragender Ambivalenz zwischen | |
alle Stühle. Einerseits stößt er Befürworter des Abtreibungsrechts vor den | |
Kopf, die sich der etwaigen Folgen eines Abbruchs durchaus bewusst sind und | |
die Brandmarkung als Sünde nicht nötig hätten. Andererseits kann die | |
katholische Kirche kaum glücklich darüber sein, von Irons auf eine bloße | |
Gewissensinstanz reduziert zu werden – rechtlich befürwortet sie die | |
Abtreibung, anders als Irons selbst, ja keineswegs. | |
## #MeToo und Männerhände | |
Man muss den Schauspieler nicht für seine Ansichten verteidigen. Ihn wegen | |
dieser Ausfälle rundheraus abzulehnen wäre genauso abwegig. Man darf daher | |
gespannt sein, wie sich Irons in seiner Funktion als Jurypräsident der | |
Berlinale äußern wird, insbesondere zu Fragen wie [5][#MeToo], bei dem das | |
Filmfestival eine klare Haltung vertritt. Irons ist da weniger eindeutig, | |
meinte – im Jahr 2011 wohlgemerkt – schon mal, dass ein Klaps einer | |
Männerhand auf den Po einer Frau nicht zwangsläufig vor Gericht enden | |
müsse. | |
Doch dann ist da wieder der Jeremy Irons, der 1991 bei den Tony Awards als | |
einer der ersten Prominenten öffentlich mit der damals neuen Roten Schleife | |
seine Solidarität mit HIV-Infizierten bekundete. Und im Sommer 2019 zeigte | |
er sich solidarisch mit dem unabhängigen römischen Filmfestival Cinema | |
America, dessen Publikum von Rechten attackiert worden war: Vier junge | |
Zuschauer, die das T-Shirt des Festivals bei einer Vorführung trugen, | |
waren nach dem Film von Rechtsextremen verfolgt und brutal verprügelt | |
worden. Irons, der als Gast beim Festival einen Film vorstellte, trat | |
danach seinerseits im Festival-T-Shirt auf die Bühne und verurteilte die | |
Tat. | |
Man wird ihn nicht so leicht einsortieren können. Das ist gut. | |
14 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Berlinale-Staralbum-Jeremy-Irons/!5073275 | |
[2] /Dystopischer-Film-zum-Brexit/!5314952 | |
[3] /Schwerpunkt-Berlinale/!t5276068 | |
[4] https://www.theguardian.com/film/2016/mar/24/jeremy-irons-have-natural-tend… | |
[5] /Schwerpunkt-metoo/!t5455381 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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