# taz.de -- Kolumne Die Couchreporter: Eine queere Wohlfühlfamilie | |
> „Stadtgeschichten“ auf Netflix ist Unterhaltung ohne schlechtes Gewissen, | |
> was okay ist, aber auch schal. So sieht der queere Mainstream aus. | |
Bild: Die Künstlerzwillinge Ani und Raven (3. u. 4. von rechts) sind auf der S… | |
Die Heldin von „Stadtgeschichten“ ist eine Villa. In der 28 Barbary Lane | |
leben und lieben unter der schützenden Hand der kiffenden Eigentümern Anna | |
Madrigal (Olympia Dukakis) mehrere Generationen Queers. Das Sequel zur | |
gleichnamigen Romanserie von Armistad Maupin spielt im San Francisco der | |
Gegenwart. Dort beginnt mit der Rückkehr von Mary-Ann (Laura Linney) zu | |
Annas 90. Geburtstag eine Familienzusammenführung der queeren Art. Denn die | |
Bewohner*innen auf dem Russian Hill eint kein Stammbaum, sondern ihre Liebe | |
zueinander, zu Anna und zur Dragszene San Franciscos. Pünktlich zur | |
Pride-Säson liefert Netflix eine queere Wahlfamilie zum Wohlfühlen. | |
Darin ähnelt die Miniserie anderen Streaming-Blockbustern mit überwiegend | |
queeren Charakteren, [1][wie dem telepathisch verbundenen pansexuellen | |
Cluster in „Sense 8“] oder „Pose“, bei der die selbsternannten „Mothe… | |
der New Yorker Dragkultur verlorene Schützlinge unter ihre Fittiche nehmen. | |
Das ist deswegen löblich, weil Queers auf Bildschirmen jahrzehntelang meist | |
in der Psychiatrie landeten oder eines gewaltsamen Todes starben. „Bury | |
your Gays“ heißt diese Trope, derzufolge ein großer Teil der offen | |
lesbischen und bisexuellen Figuren in US-Serien das Zeitliche segnen | |
mussten. | |
Leider ist die Folge des steilen Handlungsbogens zum Happy End ein akuter | |
Ironiemangel. Die Held*innen von Barbary Lane kämpfen nicht mit inneren | |
Ambivalenzen, sondern mit äußeren Widerständen. Was sie wollen, wissen sie: | |
Innigkeit, Familie und günstigen Wohnraum. Geheimnisse sind toxisch, und | |
ein jahrzehntelang gehütetes solches kommt zur Erleichterung aller gerade | |
noch rechtzeitig ans Licht. „There’s only the truth“ ist dann auch so etw… | |
wie der Wahlspruch der bierernsten Shawna (Ellen Page). Entsprechend | |
offensichtlich läuft bei ihrem Dreier mit einem woke Ehepaar im Hintergrund | |
„L’amour à trois“ von Stereo Total. Gebrochenheit, nirgends. | |
„Stadtgeschichten“ ist darin so wenig millenial, dass es manchmal wehtut. | |
Als Ersatz für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit aktueller Komplexität | |
müssen die Künstlerzwillinge Ani (Ashley Park) und Raven (Christopher | |
Larkin) herhalten, deren Suche nach Influencerdom eigentlich nur von einer | |
geschrieben worden konnte, die Instagram bloß vom Hörensagen kennt. Während | |
viele Themen angeschnitten werden – Gentrifizierung in San Francisco oder | |
Generationenkonflikte zwischen weißen Mittelschichtsschwulen und einer | |
neuen intersektionalen Generation –, bleibt die Auseinandersetzung an einer | |
regenbogenfarbenen Oberfläche stecken. | |
Und auch wenn sich die LGBT-Autor*innen bemühen, eine große Bandbreite an | |
Identitäten darzustellen – von der älteren trans Frau über den schwulen | |
transmaskulinen Latinx bis hin zur Woman of Colour, die sich inmitten aller | |
Queerness als Lesbe definiert –, dominieren am Ende die weißen cis | |
Charaktere (und -Schauspieler*innen) das Geschehen. „Stadtgeschichten“ ist | |
Unterhaltung ohne schlechtes Gewissen, was okay ist, aber auch ein bisschen | |
schal. So sieht der queere Mainstream aus. | |
27 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Eva-Maria Tepest | |
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