# taz.de -- Abschiebehaft in Deutschland: Verstaubt, bayerisch und 100 Jahre | |
> Die Abschiebehaft gibt es schon viel zu lange, sie ist ein Relikt aus der | |
> Weimarer Republik. Ein Rückblick zum Geburtstag. | |
Bild: Nicht alles Alte ist ausgereift: ein Abschiebegefängnis im bayerischen E… | |
Man soll die Feste feiern, wie sie fallen, heißt es. Was mitunter gar nicht | |
so leichtfällt. Es gibt Feste, Jubiläen, die nur allzu gern unter den Tisch | |
fallen, die im Wettlauf um die allgemeine Aufmerksamkeit oft das Nachsehen | |
haben. [1][Gerade erst sind der Freistaat Bayern] und [2][das Bauhaus 100 | |
Jahre alt geworden], auch Lex Barker und Eva Perón wurden vor 100 Jahren | |
geboren. | |
Wer erinnert sich da schon an den Hundertsten einer Jubilarin, die sich | |
zeitlebens nie in den Vordergrund gedrängt, leise agiert und doch viel | |
bewirkt hat: der Abschiebehaft? Zumindest wer sie näher kennenlernte – und | |
das waren im Laufe dieser 100 Jahre dann doch Tausende, vermutlich | |
Zigtausende – hat sie wohl so schnell nicht vergessen. | |
Am 25. Mai 1919 hat sie ihren ersten Schrei getan. „Bekanntmachung über | |
Aufenthalts- und Zuzugsbeschränkungen“ hieß das damals. Autor: das | |
bayerische Innenministerium. Damals hat man Geburtsanzeigen halt noch eher | |
hölzern formuliert. Dem heutigen Innenminister, Joachim Herrmann, würde da | |
bestimmt was Flotteres einfallen. | |
Die ersten Krabbelschritte macht die Abschiebehaft dann in der Weimarer | |
Republik, die damals ja selbst noch im Strampler steckt. Zu dieser Zeit | |
geht es ihr vor allem um Juden aus Osteuropa, die sie aus dem Land schaffen | |
will. „Ostjuden“ nennen sie damals diese jüdischen Einwanderer, die vor | |
Pogromen oder Armut aus ihren osteuropäischen Heimatländern geflohen sind – | |
eine Bezeichnung, die seit damals und bis heute durchaus abwertend | |
konnotiert ist. | |
## Eine Verordnung Himmlers in der Nachkriegszeit | |
Institutionalisiert wird die Abschiebehaft dann im April 1920, als das | |
Abschiebelager Fort Prinz Karl den Betrieb aufnimmt – und zwar ganz nah an | |
Ingolstadt, wo 29 Jahre später der wohl glühendste Verehrer der | |
Abschiebehaft zur Welt kommen wird: Horst Seehofer. Ein Zufall natürlich. | |
Aber Ingolstadt liegt in Bayern, und das wiederum ist natürlich kein | |
Zufall. | |
Denn abschieben muss man vor allem da, wo’s am schönsten ist. Da wo sie | |
alle hinkommen, aber nicht hergehören. Die Vorstufe zum Paradies, wahlweise | |
auch das Paradies selbst hat Seehofer diesen Flecken Deutschland gern | |
genannt. Und ein Paradies, sagt der bayerische Amateur-Theologe Gerhard | |
Polt, „ist immer dann, wenn einer da ist, der wo aufpasst, dass keiner | |
reinkommt“. | |
Und wenn doch einer reinkommt? Dann haben wir die Abschiebehaft, die | |
natürlich trotz bayerischen Migrationshintergrunds längst keine rein | |
bayerische Angelegenheit mehr ist. Schon Anfang der zwanziger Jahre werden | |
auch im SPD-regierten Preußen Abschiebelager für die jüdischen Flüchtlinge | |
aus dem Osten errichtet. | |
Erst nach dem Krieg erhält die Einrichtung einen Dämpfer. 1951 wurde zwar | |
noch eine Verordnung Heinrich Himmlers, in der die Verhängung der | |
Abschiebehaft erleichtert wurde, eins zu eins übernommen. | |
## 100 Jahre zu viel | |
Aber trotz aller ungebrochenen Bekenntnisse zur Institution der | |
Abschiebehaft sind es triste Zeiten, die nun auf sie zukommen. Ab 1965 wird | |
sie dann schließlich vom Ausländergesetz geregelt, bis zu einem Jahr darf | |
sie nun dauern. Nur: Bemüht wird sie fast nie. Bis 1990 sitzt sie, man muss | |
es so sagen, rum und langweilt sich. Ihre Freunde von früher scheinen sich | |
abzuwenden. | |
Doch dann die Wende: 1990 wird das Ausländergesetz erneut verschärft, die | |
maximale Haftdauer auf 18 Monate erhöht. Die Abschiebung wird jetzt wieder | |
ernst genommen. 1992 werden die ersten Abschiebegefängnisse gebaut, 1993 | |
wird ein erster Höchststand erreicht: 2.600 Menschen in Deutschland sitzen | |
ein, um abgeschoben zu werden. Natürlich ist es nur vordergründig paradox: | |
Wir halten Leute fest, damit sie gehen. In Wirklichkeit entspricht es der | |
bayerische Dialektik: Kimm, jetzt geh scho! | |
100 Jahre – eine ereignisreiche Zeit. Der Bayerische Flüchtlingsrat hat der | |
Abschiebehaft aktuell sogar eine eigene Ausgabe seines Magazins Hinterland | |
gewidmet. Recht ungnädig geht er darin mit ihr um. 100 Jahre, schreibt er, | |
seien 100 Jahre zu viel, nennt sie eine „rassistische Sonderhaft für einen | |
unmenschlichen Verwaltungsakt“. Gratuliert man so einer Jubilarin? | |
Keine Frage: Die Abschiebehaft ist eine unbequeme Zeitgenossin – vor allem | |
für die, die ihre unmittelbare Bekanntschaft machen. Doch auch dem | |
Anti-Folter-Komitee des Europarats fällt nichts Netteres ein, als die | |
deutsche Praxis der Abschiebehaft just in diesen Tagen massiv zu | |
kritisieren. Die Häftlinge würden oft erst in letzter Minute über ihre | |
Abschiebung informiert, sie hätten keine Zeit, sich psychisch mit der | |
Situation auseinanderzusetzen, heißt es. | |
## Doppelt sie viele Inhaftierte in Bayern | |
Das Komitee hat zudem das Abschiebegefängnis in Eichstätt besucht, um sich | |
selbst ein Bild zu machen. [3][Das böse Fazit der Besucher]: Das | |
Wachpersonal sei nicht speziell geschult, die inhaftierten Männer würden | |
wie Strafgefangene behandelt, müssten Anstaltskleidung tragen und hätten | |
kaum Zugang zu Mehrzweckräumen, um sich die Zeit zu vertreiben. | |
Mehr Respekt bringt dem Geburtstagskind da schon der Freistaat Bayern | |
entgegen. Sein Geschenk: 350 neue Abschiebehaftplätze, die jetzt in Hof und | |
Passau entstehen sollen. Damit setzen die Bayern natürlich mal wieder einen | |
Trend. In der jüngeren Vergangenheit erlebt die Abschiebehaft – soweit die | |
verfügbaren Zahlen das hergeben – einen Boom: In Bayern hat sich die Zahl | |
der Inhaftierungen von 2016 auf 2017 mehr als verdoppelt. 925 waren es im | |
Jahr 2017; im Abschiebeknast Eichstätt, der auf 96 Insassen ausgelegt ist, | |
waren mitunter 120 Häftlinge untergebracht. | |
In anderen der 13 deutschen Abschiebehaftanstalten ist die Situation nicht | |
viel anders. So stieg die Zahl der Inhaftierungen im | |
nordrhein-westfälischen Büren im selben Zeitraum von 878 auf 1.172. Ein | |
dort ansässiger Hilfsverein für Abschiebehäftlinge rechnet zwar vor, dass | |
rund 60 Prozent der Haftentscheidungen rechtswidrig sein, aber das kennt | |
man ja. Anti-Abschiebe-Industrie halt. Dagegen forderte sogar Kanzlerin | |
Merkel vor zwei Jahren eine „nationale Kraftanstrengung“ bei Abschiebungen. | |
Und natürlich hat auch Bundesminister Seehofer etwas zur Geburtstagsparty | |
mitgebracht: das Geordnete-Rückkehr-Gesetz. Geordnete Rückkehr! Klingt das | |
nicht schön? Horst Seehofer versteht es ja ohnehin sehr gut, Dinge zu | |
ordnen. In Bayern etwa hatte er als Ministerpräsident lange Zeit eine | |
geordnete Machtübergabe angekündigt. Als das Ordnen dann zu lange zu dauern | |
drohte, überzeugte ihn seine Partei, dass es nun an der Zeit sei, selbst | |
die geordnete Rückkehr nach Berlin anzutreten. So ging Seehofer mit | |
leuchtendem Beispiel voran und kam der Abschiebehaft mit einer freiwilligen | |
Ausreise zuvor. | |
Dass Pro Asyl Seehofers Gesetzesvorlage jetzt als „Hau-ab-Gesetz“ | |
verunglimpft – typisch. Es sei nicht mit europäischen Rechtsnormen | |
vereinbar, behauptet die Menschenrechtsorganisation. Nur weil der Minister | |
Abschiebekandidaten auch in normalen Haftanstalten unterbringen und das | |
Trennungsgebot zwischen Sträflingen und Abzuschiebenden für drei Jahre | |
aussetzen will. Anfeindungen aus der üblichen Ecke. Aber auch Georg Restle, | |
der Chef des ARD-Magazins „Monitor“, traut Seehofer fast schon | |
frankensteinhafte Fähigkeiten zu: „Seehofer“, kommentiert er, „schafft | |
einen neuen Menschentypen: den Rechtlosen“. | |
Bei all der Miesmacherei noch zu gratulieren ist nicht leicht. Dennoch: | |
Herzlichen Geburtstag, liebe Abschiebehaft. Und gönn dir doch einfach mal | |
’ne Pause! | |
25 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Bayrische-Identitaetsfindung/!5544517 | |
[2] /Ex-Bauhaus-Leiter-ueber-das-Jubilaeum/!5563178 | |
[3] /Abschiebungen-aus-Deutschland/!5594023 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
## TAGS | |
Abschiebehaft | |
Geflüchtete | |
Horst Seehofer | |
Justiz | |
Abschiebung | |
EU-Grenzpolitik | |
Abschiebung | |
Schwerpunkt Grundgesetz | |
Abschiebung | |
Dirk Behrendt | |
Schwerpunkt Europe's Far Right | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Urteil des Bundesgerichtshofs: Zu strenge Abschiebehaft in Hof | |
Abschiebehaft soll möglichst wenig gefängnisähnlich sein. 14 Stunden in | |
einer Zelle eingeschlossen zu sein, ist zu viel, sagt der | |
Bundesgerichtshof. | |
100 Jahre Abschiebehaft: Protest zum traurigen Jubiläum | |
Ein Bündnis hat in Paderborn gegen Abschiebehaft demonstriert. Pro Asyl | |
verlieh derweil seinen Menschenrechtspreis an den Anwalt Peter Fahlbusch. | |
Seehofer unterliegt vor Gericht: Rückweisung nicht legal | |
Das Verwaltungsgericht München stellt den Innenminister bloß: Dessen | |
Abkommen mit Griechenland verstößt voraussichtlich gegen europäisches | |
Recht. | |
Drohender Streit unter R2G in Bremen: Der Koalitionsvertrag gilt doch | |
Bremens Innensenator hätte Abschiebehäftlinge gerne zusammen mit | |
Straftätern eingesperrt, obwohl das EU-Recht widerspricht. Jetzt rudert er | |
zurück. | |
70 Jahre Grundgesetz: Herr Kühne feiert nicht mit | |
Alle gratulierten dem Grundgesetz zum 70. Geburtstag, nur Rainer Kühne | |
nicht. Er sammelt alles zur Verfassung. Dabei fällt ihm auf: Es ginge | |
besser. | |
Abschiebung nach Afghanistan: Am langen Arm Horst Seehofers | |
Dürfen Mujtaba S. und Ali Merzai in Deutschland bleiben? Ein Mal im Monat | |
geht ein Abschiebeflug nach Afghanistan – trotz instabiler Sicherheitslage. | |
Das Grundgesetz wird 70: Freiheit, die wir meinen | |
Bei einer Debatte über das Grundgesetz lassen Kreuzberger Schüler*innen | |
Justizsenator Dirk Behrendt links stehen. | |
Recherchenetzwerk Europe's Far Right: Mit Rechten leben | |
Wie lebt es sich in einem Land mit rechter Regierung? KollegInnen aus | |
Polen, Ungarn, Österreich und Italien erzählen vom Alltag – und vom | |
Widerstand. |