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# taz.de -- 100 Jahre Abschiebehaft: Protest zum traurigen Jubiläum
> Ein Bündnis hat in Paderborn gegen Abschiebehaft demonstriert. Pro Asyl
> verlieh derweil seinen Menschenrechtspreis an den Anwalt Peter Fahlbusch.
Bild: Einige Zellen in Büren sind komplett videoüberwacht, nicht mal die Toil…
HAMBURG taz | Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter widmet dem
Abschiebegefängnis in Büren, Nordrhein-Westfalen, gleich mehrere Seiten in
ihrem aktuellen Jahresbericht. Die Räume, in denen die Geflüchteten
festgehalten werden, haben etwa keine Vorhänge. Einige Zellen werden
komplett videoüberwacht, nicht mal der Toilettenbereich ist abgeschirmt.
Der Knast in Büren wird in diesem Jahr 25 Jahre alt. Es ist nicht das
einzige Jubiläum: Auch die [1][Institution der Abschiebehaft selbst wird in
Deutschland 100 Jahre alt].
Frank Gockel engagiert sich seit 25 Jahren ehrenamtlich für Geflüchtete in
Abschiebeeinrichtungen. Auf die Frage, ob er den Bürener Abschiebeknast für
besonders grausam hält, sagt er: „Die haben alle so ihre Spezialitäten.“
Aber Büren sei weit vorn bei den unangenehmsten Einrichtungen.
Vor 20 Jahren, am 30. August 1999, nahm sich der in Büren Inhaftierte
Rashid Spaii das Leben. An seinem Todestag halten Abschiebegegner*innen
jedes Jahr eine Mahnwache ab. In diesem Jahr hatte das Bündnis „100 Jahre
Abschiebehaft“ anschließend zur Demonstration nach Paderborn gerufen. Über
1.000 Menschen waren dem Aufruf laut Veranstalter*innen gefolgt. Die
Polizei spricht von 500.
Die Abschiebehaft geht auf die Weimarer Republik zurück. 1919 wurden
Jüd*innen inhaftiert, die vor Armut oder Pogromen aus osteuropäischen
Ländern geflohen waren. Die abschätzig „Ostjuden“ genannten Menschen
sollten möglichst schnell wieder außer Landes gebracht werden.
## Psychopharmaka im Essen
Natürlich brauche man den historischen Rückgriff nicht, um heutige
Abschiebepraktiken zu kritisieren, sagt Gockel. Aber man könne das Jubiläum
zum Anlass nehmen, sich zu vergegenwärtigen, was Abschiebehaft bedeute:
Menschen zu inhaftieren, die keine Straftaten begangen haben. Und das unter
Bedingungen, die in der Strafhaft nie denkbar seien.
Dass zwei leitende Mitarbeiter*innen die Haftanstalt Büren im Laufe des
vergangenen Jahres verlassen mussten, spreche auch nicht gerade für die
Zustände vor Ort. Eine Anstaltsleiterin hatte einen Mitarbeiter angewiesen,
einem Geflüchteten Psychopharmaka ins Essen zu mischen. Ein Anstaltsarzt
musste gehen, weil er Medikamente gestohlen hatte.
Bundesweit sind laut Gockel rund 500 Menschen in Abschiebehaft – viel mehr
Plätze gibt es auch nicht. Nach den letzten Asylrechtsverschärfungen, dem
„Geordneten-Rückkehr-Gesetz“, dürfte sich die Zahl der Inhaftierten aber
zukünftig deutlich erhöhen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat mit dem
Gesetz einen Grundsatz des Asylrechts außer Kraft gesetzt: dass
Asylsuchende nicht mit Strafhäftlingen in normale Gefängnisse gesteckt
werden dürfen.
## Zu Unrecht in Abschiebehaft
Diesen Grundsatz hatte der hannoversche Anwalt Peter Fahlbusch 2014 vor dem
Europäischen Gerichtshof erstritten. Am Samstag erhielt der Anwalt, der
seit 2001 mehr als 1.800 Menschen in Abschiebehaft vertreten hat, für sein
Engagement den Menschenrechtspreis von Pro Asyl. Bei der Preisverleihung in
Frankfurt forderte er die „sofortige, unabhängige Evaluierung der
Abschiebungshaftpraxis.“ Jeder zweite seiner Mandant*innen sei zu Unrecht
inhaftiert gewesen.
Mehrere Bundesländer haben erklärt, [2][Asylsuchende auch zukünftig nicht
zusammen mit Strafhäftlingen einzusperren]. Stattdessen werden vielerorts
neue Abschiebeknäste geplant, und zwar „mit allen möglichen Perversitäten�…
wie Frank Gockel sagt – beispielsweise, dass die Gebäude [3][auch auf
Kinder und Familien ausgerichtet] werden.
1 Sep 2019
## LINKS
[1] /Abschiebehaft-in-Deutschland/!5594882
[2] /Verschaerfungen-bei-Abschiebungen/!5600098
[3] /Polizist-zum-Geordnete-Rueckkehr-Gesetz/!5598502
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Abschiebung
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