# taz.de -- EU-Wahlkampfauftakt von Die Partei: Nico Semsrott will Juncker beer… | |
> Eintrittskarten 18 Euro – für Parteimitglieder nur neun: Die Partei ist | |
> in Berlin in den Europawahlkampf gestartet. Sie strebt zwei Sitze in | |
> Straßburg an. | |
Bild: Sie wollen (wieder) ins Europaparlament: Ex-Titanic-Chef Sonneborn und Ka… | |
BERLIN taz | Gute Gründe, Die Partei zu wählen: Erstens! „Wer Die Partei | |
wählt, wählt nicht die CDU.“ Zweitens! „Wer Die Partei wählt, wählt nic… | |
die SPD.“ Nico Semsrott, Satiriker, schwarzer Kapuzenpullover, Listenplatz | |
zwei, steht ganz vorne auf der Berliner Volksbühne, das Haus ist voll | |
besetzt. „Okay“, sagt er, „ihr wisst, worauf es hinausläuft.“ | |
Er zählt noch einen dritten Grund dafür auf, ihn zu wählen, und einen | |
vierten. Und dann fragt er, was wohl noch ein guter Grund sein könnte, die | |
PARTEI zu wählen. „Die Heute Show kann zum ersten Mal mit zwei Mitarbeitern | |
ins Europaparlament einziehen.“ | |
Da jubeln sie und lachen auf den Rängen – ausverkauft! 18 Euro kostete der | |
Eintritt, für Parteimitglieder nur neun. Dies ist der Auftakt für den | |
Europawahlkampf der Satirepartei und immerhin dies kann sie vorweisen: | |
einen waschechten Parlamentarier, Martin Sonneborn, [1][Mitglied des | |
Europäischen Parlaments, seit 2014.] Damals lachten noch viele oder | |
beschworen ein Chaos im Europaparlament herauf, jetzt sitzt er da seit fünf | |
Jahren, und in Berlin berichtet er an diesem Abend vor seinen Fans von der | |
53 Cent-Pauschale pro Reisekilometer, von der er sich als Abgeordneter ein | |
schönes Leben leisten könne, wenn er wolle, und von seinem „bedingungslosen | |
Grundeinkommen auf sehr hohem Niveau“. | |
Wenn am 26. Mai in Deutschland das Europäische Parlament neu gewählt wird, | |
will Sonneborn, einst Chef des Satiremagazins Titanic, wieder einen Sitz in | |
Straßburg ergattern. Und mehr: Diesmal will die PARTEI ihre Sitzplatzanzahl | |
verdoppeln, diesmal soll auch Nico Semsrott ein Mandat erhalten. | |
## Alles kommt, nur kein Faschismus | |
Semsrott ist der Kabarettist mit dem Kapuzenpullover, der im Fernsehen und | |
auf Deutschlands Bühnen vor allem die Rolle des antriebslosen Depressiven | |
spielt – ein positionierter Kabarettist, der jedenfalls diesen ernsten Plan | |
hegt: Alles soll kommen, nur kein Faschismus. | |
Semsrott sagt, er will Kommissionspräsident der Europäischen Union werden. | |
„Es ist sicher unrealistisch, dass sich die 28 Regierungschefs auf mich als | |
Kommissionspräsidenten einigen, aber falls, dann liege ich bereit.“ Und | |
sollte das mit dem Kommissionspräsidenten nicht klappen: „Dann werde ich im | |
Parlament sitzenbleiben als Mahnmal für die vergessene Jugend Europas.“ | |
Das ist es eigentlich, worum es hier geht, auch wenn an diesem Abend | |
weniger Jugendliche und mehr junge Erwachsene zugegen sind. | |
20.07 Uhr bis 22.27 Uhr, Mittwochabend in Berlin; gut zwei Stunden Show, | |
Gags und politische Witze, zwei Stunden Kabarett und Aufklärung. Zwei | |
Stunden und eine Versuchsanordnung: Ist es das nicht vielleicht wert, zwei | |
Abgeordnete ins Europaparlament zu entsenden, die dem Mosaik europäischer | |
Stimmen noch weiteres Kolorit hinzufügen? Vor allem: [2][eine kritische, | |
eigene Öffentlichkeit?] | |
## Sonneborn liefert eine Leistungsschau | |
Martin Sonneborn, der für diesen Abend eine Abschiedsrede vorbereitet hat, | |
zeigt wieder und wieder, was er in den vergangenen Jahren getan hat. Er | |
zeigt Wahlplakate mit klugen Sprüchen, das ist für die Lacher, und Videos | |
von seinen Reden im Parlament, meist zu später Stunde, wenn außer dem | |
fraktionslosen Abgeordneten und dem Parlamentspräsidium kaum noch jemand | |
die fast vollständig leeren Abgeordnetenreihen bevölkert. | |
Es sind Reden für die Generation YouTube, gehalten für irgendwen da | |
draußen, sagen wir: das Volk – manchmal zehntausendfach, manchmal | |
hunderttausendfach geklickt. Irgendeine Stimme, die im Europaparlament | |
Tacheles redet, Zusammenhänge aufzeigt oder Witze reißt; auch wenn dort gar | |
niemand zuhört. | |
Es gibt einen halbwegs intimen Moment an diesem Abend in der Volksbühne | |
Berlin, als ein Mann aus dem Publikum fragt, was die beiden Jungs da vorne | |
denn eigentlich mehr seien: Satiriker oder Politiker? | |
„Wir müssen ja schauen“, sagt Semsrott, „was die politische Konkurrenz | |
macht. Wenn die anderen Parteien Satire machen, dann müssen wir eben | |
Politik machen.“ Am Anfang kommt es eher wie ein Witz daher, aber im | |
Nachklang dann wirkt es etwas ernster. „Ich glaube“, schiebt er nach, „da | |
werden harte Flügelkämpfe auf uns zukommen.“ | |
## Plädoyer gegen die Auslieferung Assanges | |
Es ist interessant, dass Sonneborn schließlich, jener Mann, der in seiner | |
Anzughaftigkeit stets in Pose verweilt und die meiste Zeit des Abends | |
zeigt, wie er andere Politiker geärgert hat, dass er also am Ende dieses | |
Wahlkampfauftakts einen Redeausschnitt zeigt, in dem er – wieder zu später | |
Stunde in Straßburg, wieder vor verlassenem Plenum – ein Plädoyer hält | |
gegen die [3][Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange an die | |
USA]. In ernsten Worten, fast so, als sei es einfach Politik. | |
Dies, also dieser Abend, ist das unausgesprochene Plädoyer für die | |
alternative Öffentlichkeit im Europaparlament, die eigene Stimme irgendwo | |
im Meer der Stimmen. Einmal, sagt Sonneborn, habe er eine Rede nur deshalb | |
gehalten, damit die Redezeit nicht ansonsten an [4][Udo Voigt übergehe, von | |
der NPD], ebenfalls so eine Kleinpartei, nur halt rechtsextrem. Auch bei | |
dieser Wahl wird im Europaparlament wird, anders als im Deutschen | |
Bundestag, wieder keine Fünf-Prozent-Hürde gelten. | |
Wenn die Wahlbeteiligung gering bleibt, so rechnen sich nun manche | |
Partei-Anhänger Chancen aus, dann könnte vielleicht die Stimmenanzahl der | |
letzten Wahl auch für zwei Mandate in Straßburg reichen. Dann wären | |
Sonneborn und Semsrott in Brüssel, naja, lustig wäre das schon. | |
Wir wollen, aus höflicher Kulanz, vielleicht an dieser Stelle nicht weiter | |
hinterfragen, was es ansonsten noch bedeuten würde, wenn die | |
Wahlbeteiligung bei der anstehenden Europawahl gering bleibt, aber | |
jedenfalls: Die Partei hätte dann vielleicht zwei Männer in Brüssel. Ob das | |
Fluch oder Segen wäre, das hängt wahrscheinlich sehr stark von der | |
Vergleichsgruppe ab. | |
PS: Beim Wahlkampfauftakt in der Volksbühne waren Audio- und Videoaufnahmen | |
untersagt. Die taz hat dagegen aus prinzipiellen Erwägungen verstoßen. Mit | |
sowas fangen wir gar nicht erst an. | |
25 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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