# taz.de -- Ausstellung zu Polizei und Holocaust: Freund, Helfer, Massenmörder | |
> Nein, sie regelte nicht nur den Verkehr. Die Polizei beteiligte sich | |
> maßgeblich am NS-Massenmord, zeigt jetzt eine Ausstellung. | |
Bild: Ein Aufmarsch von Polizeischülern am Adolf-Hitler-Platz in Fürstenfeldb… | |
Wenn man den Ausstellungssaal des [1][Museums Fürstenfeldbruck bei München] | |
betritt, kommen sie einem schon entgegen: ein Schutzpolizist und ein | |
SS-Mann. Gemeinsam auf Patrouille. In Lebensgröße. Zwischen ihnen ein Hund | |
mit Maulkorb. | |
Das Bild auf der ersten Stellwand der Ausstellung „Ausbildung – Enthemmung | |
– Verbrechen“ wurde am 5. März 1933 in Berlin aufgenommen, dem Tag der | |
Reichstagswahl. Es illustriert schon in diesen frühen Tagen des | |
Nazi-Regimes das, was es nach Meinung vieler Deutscher nie gegeben hat: die | |
unheilige Allianz zwischen Polizei und Nationalsozialismus. Denn kaum eine | |
der nach dem Krieg eilig zusammengestrickten Legenden hat so lange | |
überdauert, wie die der „sauberen Polizei“. | |
„Das fing schon in den Nürnberger Prozessen an“, erzählt der Historiker | |
Sven Deppisch. „Da hat es geheißen, die Polizei hat ja nur den Verkehr | |
geregelt oder allenfalls mal gegen Partisanen gekämpft. Und diese Legende | |
ist dann auch von Politik, Medien, Wissenschaft und Öffentlichkeit nicht | |
hinterfragt worden.“ | |
Eigentlich skurril, findet Deppisch, dass alle NS-Deutschland für einen | |
Polizeistaat gehalten hätten, aber niemand darauf gekommen sei, dass zu | |
einem Polizeistaat ja auch eine Polizei gehört. „Die Polizei des Dritten | |
Reichs war in vielen Köpfen die Gestapo. Damit hat man sich zufrieden | |
gegeben.“ | |
## Wo Nazis Kruzifixe schänden | |
Deppisch hat 2017 das Buch [2][„Täter auf der Schulbank“] veröffentlicht, | |
eine bearbeitete Fassung seiner Dissertation. Darin hat er sich mit der | |
Rolle der Polizei im Dritten Reich beschäftigt und erstmals ihre | |
bedeutendste Schule unter die Lupe genommen. Und diese war genau hier | |
untergebracht, im ehemaligen Zisterzienserkloster Fürstenfeld. Hier, in | |
diesem Komplex, wo noch heute junge Polizisten unterrichtet werden, wo auch | |
das Museum seine Ausstellungen zeigt und wo der 37-Jährige jetzt gerade im | |
Klosterstüberl vor einer Rhabarberschorle sitzt. In eben jenem | |
Klosterstüberl, in dem Polizeischüler in den Dreißigern das Kruzifix | |
abgehängt und darauf ihre Notdurft verrichtet haben. | |
„Ohne die Polizei wäre der Holocaust nicht möglich gewesen.“ So beginnt d… | |
Verlag seine Kurzbeschreibung von Deppischs Buch. Der Satz findet sich in | |
dem Werk an zentraler Stelle wieder und auch in der Ausstellung zum Buch, | |
die nebenan noch bis zum 7. Juli gezeigt wird. | |
Und ihre Ausbildung zum Massenmörder haben die jungen Männer in | |
Fürstenfeldbruck erhalten. Knapp 1.700 Absolventen gingen zwischen 1937 und | |
1945 aus der Schule hervor, übten den Bandenkampf und wurden in | |
weltanschaulichen Fächern unterrichtet, also beispielsweise antisemitisch | |
indoktriniert. | |
Danach schickte man einen Großteil der jungen Führungskräfte in den | |
„auswärtigen Einsatz“, wo sie an den schlimmsten Verbrechen der Nazis | |
beteiligt waren. Sie beaufsichtigten Deportationen von Juden in die | |
Vernichtungslager, brannten Dörfer nieder und übernahmen | |
Massenerschießungen. Die Schule bezeichnet Deppisch als einen wichtigen | |
„Knotenpunkt im Koordinatensystem des Holocausts“. | |
## Browning und Goldhagen | |
Und dann eben diese Legende. Es ist der Verdienst der amerikanischen | |
Historiker Christopher Browning und Daniel Goldhagen, das Thema in den | |
Neunzigern auf die akademische Agenda gesetzt zu haben. Beide hatten das | |
Reserve-Polizei-Bataillon 101 aus Hamburg untersucht, das 1942 in Polen | |
wütete, und so der Legende von der sauberen Polizei das Fundament entzogen. | |
Zum Einsturz kam sie aber nicht. Als Sven Deppisch 2003 im ersten Semester | |
seines Studiums an der LMU München eine Veranstaltung zum Thema | |
Polizeigeschichte im 20. Jahrhundert belegte, konzentrierte sich der Dozent | |
für die Jahre des Dritten Reichs ganz auf die Gestapo. „Die Rolle der | |
Ordnungspolizei war kein Thema“, erzählt Deppisch. | |
„Ich wusste zwar, dass die Ordnungspolizei an NS-Verbrechen beteiligt war, | |
aber die Dimension war mir nicht klar.“ Erst ein paar Jahre später wurden | |
dazu Studien vorgelegt. Demnach war die Ordnungspolizei an der Ermordung | |
von über zwei Drittel der jüdischen Opfer beteiligt und erschoss selbst | |
rund eine Million Menschen. Deppisch unterfütterte diese Erkenntnisse | |
schließlich, indem er die Ausbildung der Mörder beleuchtete. | |
So wurde nun historisch aufgearbeitet, was juristisch so gut wie nicht | |
geahndet wurde. Meist seien die Haupttäter zu Gehilfen degradiert worden, | |
erklärt Deppisch. „Weil man gesagt hat: Die eigentlichen Täter waren | |
Hitler, Himmler und Co. und die Polizisten, die an den Erschießungsgruben | |
standen und wirklich abgedrückt haben, das waren nur ihre Gehilfen.“ Und so | |
kam es, dass immer mehr belastetes Personal in den Polizeidienst | |
zurückkehrte – auch in den Schuldienst. | |
## Nazi, Mörder und Mundartdichter | |
Bestes Beispiel: Hans Hösl. Der Münchner, Jahrgang 1896, unterrichtete | |
Strafrecht an der Polizeischule Fürstenfeldbruck. Im Krieg befehligte er | |
das SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18, eine Einheit, die in Griechenland | |
ganze Dörfer ausradierte und 1944 entscheidenden Anteil an der Deportation | |
von 1.700 Athener Juden nach Auschwitz hatten. Nach dem Krieg setzte Hösl | |
seine Polizeikarriere nahtlos fort, war sogar wieder im Schuldienst tätig. | |
Nach seiner Pensionierung gab es zwar Ermittlungen, diese wurden aber | |
schnell wieder eingestellt – aus „Mangel an Beweisen“. Der Pensionär fand | |
ein neues Betätigungsfeld und wurde Mundartdichter. In der Ausstellung in | |
Fürstenfeldbruck hat er nun einen eigenen Schaukasten. Seine Werke „D | |
Stangerltrambahn“ und „Die Kindstauf“ sind darin zu sehen. Die renommierte | |
Literatenvereinigung „Die Münchner Turmschreiber“ nahm Hösl in ihre Reihen | |
auf und verlieh dem Mitglied sogar den Poetentaler. Die Medaille am | |
weiß-blauen Band liegt neben den Büchern. Angesehen und friedlich starb der | |
Mörder 1987. | |
Natürlich beteiligten sich nicht alle Polizisten aus Lust am Holocaust. „Es | |
gibt aber auch Fälle, die zeigen, dass die Täter richtig [3][Spaß] daran | |
hatten“, erzählt Deppisch. So habe eine Kompanie des Polizeibataillon 61 im | |
Warschauer Getto eine Kneipe unterhalten. „Dort haben die Polizisten | |
ordentlich gezecht, und dann sind sie häufig in Zweierteams, einer auf dem | |
Motorrad, einer im Beiwagen, durchs Getto gefahren und haben aus der Fahrt | |
heraus mit dem Gewehr auf Menschen geschossen. Als sie dann wieder | |
zurückgekommen sind, haben sie verglichen, wer die meisten Juden umgebracht | |
hat.“ | |
Ein Absolvent der Schule, der es besonders pervers getrieben hat, war Hans | |
Gaier. „Der war Leiter der Polizeistation im polnischen Kielce und ist zum | |
Beispiel mit seiner polnischen Freundin durchs Getto spaziert und hat dann | |
mal links, mal rechts vor allem Kindern in den Kopf geschossen. Oder er hat | |
orthodoxen Juden die Bärte bis zum Fleisch rausgerissen.“ Einmal habe er | |
sich amüsiert, wie zwei jüdische Mädchen im Alter von 10 und 14 Jahren auf | |
dem Polizeirevier zu sexuellen Handlungen mit den Polizeihunden gezwungen | |
und danach erschossen worden seien. | |
## Die eine Ausnahme | |
Deppisch macht eine Pause. Als Historiker sei man ja sehr viel mit Zahlen | |
konfrontiert, sagt er dann, Einzelschicksale würden verschwimmen. „Wenn ich | |
dann aber auf solche Fälle gestoßen bin, gab es schon Tage, da konnte ich | |
nicht mehr weiterarbeiten.“ | |
Typen wie Gaier und Hösl waren keine Ausnahmen. Die Ausnahme, die heißt | |
Fritz Schade. Der leitete die Schule von 1936 bis 1939, gehörte aber seit | |
1941 einer Widerstandsgruppe an und war sogar in die | |
Stauffenberg-Attentatspläne eingeweiht. Gegen Kriegsende rettete er als | |
Polizeikommandeur in Nürnberg mehrere Menschen vor dem KZ und schritt ein, | |
als der Gauleiter im April 1945 befahl, Nürnberg gegen die nahenden | |
Amerikaner zu verteidigen. | |
„Sonst“, sagt Deppisch, „bin ich in meinen Recherchen auf keine Leute | |
gestoßen, die Nein gesagt haben.“ | |
23 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.museumffb.de/ffb-museum/web.nsf/id/li_domob5zj32.html | |
[2] /Polizeigeschichte-und-NS-Aufarbeitung/!5488166 | |
[3] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/klaus-theweleit-ueber-sein-b… | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
## TAGS | |
Polizei | |
Holocaust | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Gestapo | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Anne Frank | |
Gedenkstätte | |
German Angst | |
Geschichtswissenschaft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Osnabrücker Datenbestände digitalisiert: Von der Allmacht der Gestapo | |
Historiker der Universität Osnabrück erschließen durch die Digitalisierung | |
einer Gestapo-Kartei Neuland. Die Ergebnisse sind bald zu sehen. | |
Polizei im Nationalsozialismus: Rendezvous mit der Vergangenheit | |
Künftige Beamte werden in Bayern mit der Geschichte der Behörde | |
konfrontiert. Denn oft wird die Nazi-Zeit an den Akademien nicht genug | |
behandelt. | |
Anne Franks 90. Geburtstag: Sehne mich so nach Weinen | |
Am 12. Juni wäre Anne Frank 90 Jahre alt geworden. Eine aktuelle Ausgabe | |
ihres Tagebuchs lädt zum Gedenken und zur Neuentdeckung ein. | |
Umgang mit Rechten am historischen Ort: Ungebetene Besucher | |
NS-Gedenkstätten sind einem Bildungsauftrag verpflichtet. Doch immer mehr | |
Rechte besuchen sie – und deuten die Geschichte um. Was tun? | |
Kolumne „German Angst“: Verkehrte Welt und vierte Gewalt | |
Endlich aufgedeckt: Nicht die Polizei schützt Recht und Gesetz, um | |
Vertrauen in den Staat überhaupt erst zu ermöglichen. Es verhält sich | |
andersherum! | |
Polizeigeschichte und NS-Aufarbeitung: „Das ist in der Tat paradox“ | |
Der Historiker Sven Deppisch befasst sich als einer der ersten mit der | |
Geschichte der Polizei unter den Nazis – und sieht Kontinuitäten bis zum | |
G20-Gipfel. |