# taz.de -- Freispruch für Lebensmittelretter: Recycling, kein Verbrechen | |
> Beim Amtsgericht Hannover werden zwei Lebensmittelretter freigesprochen. | |
> Rechtlich bleibt das „Containern“ eine Grauzone. | |
Bild: Das schmeckt noch: Tobias K. präsentiert Lebensmittel aus Müllcontainern | |
HANNOVER taz | Tobias K. hat es schon wieder getan. Er war Containern, das | |
heißt, er hat sich Lebensmittel aus einer Mülltonne geklaubt. Seine | |
„Beute“, Popcorn, Kräuterbaguettes, eine Tüte Orangen – legt Tobias K. … | |
dem Amtsgericht Hannover auf einen Tisch. Allesamt sind die Lebensmittel, | |
trotz abgelaufenem Haltbarkeitsdatum oder kleiner Macken, noch genießbar. | |
Vergangenes Jahr wurden sie beim Containern erwischt und wegen Diebstahls | |
angeklagt. Gleich beginnt gegen ihn und seinen Bruder Björn K. im | |
Gerichtsgebäude der Prozess. Das Urteil wird heißen: Freispruch. | |
Ende Mai sollen Tobias und Björn K. Lebensmittel aus den Müllcontainern | |
einer Edeka-Filiale in Laatzen, bei Hannover, geklaut haben. Der | |
Filialleiter und sein Sicherheitsdienst wollen das per Videoüberwachung | |
beobachtet und die beiden gestellt haben. Den Wert der geklauten | |
Lebensmittel schätzte der Filialleiter auf über 50 Euro. | |
Unklar ist, wer in diesem Fall Strafanzeige erstatten durfte: Der | |
Filialleiter, Edeka, oder gar Refood, die Lebensmittelentsorgungsfirma, der | |
die Container gehören. Auf diese Lücke machte der Verteidiger Sven Adam | |
erst während des Gerichtsprozesses aufmerksam. Kurz darauf zog der | |
Filialleiter den Strafantrag zurück. | |
Tobias und Björn K. hatten – woher ist nicht bekannt – einen Schlüssel f�… | |
die Container. Sie mussten also keine Schlösser aufbrechen. In vielen | |
anderen Fällen ist, neben dem umstrittenen Diebstahl, auch | |
Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung im Spiel – weshalb Containern immer | |
noch als Straftat gilt. | |
Gegen das moralische Empfinden, dass es nicht falsch sei, abgelaufene | |
Lebensmittel zu verwenden, stünden Recht und Gesetz, sagt die Richterin. | |
Eigentümer*in und Wert der Waren zu ermitteln, sei oft schwierig. „Es liegt | |
auf der Hand, dass ich hier nicht den Verkaufspreis angeben kann“, sagt | |
sie. Sie spricht von einem juristischen Dilemma. | |
„Dass wir so etwas strafrechtlich verfolgen, ist albern“, sagt Adam. Viele | |
Händler*innen würden solche Fälle – aus Publicity- oder ethischen Gründen, | |
nicht mehr anzeigen. Trotzdem: Erst kürzlich hatte ein Gericht im | |
bayerischen Fürstenfeldbruck zwei Frauen eine Geldstrafe von 225 Euro und | |
jeweils acht Sozialstunden auferlegt. | |
Die Geschwister K. containern nicht aus persönlicher Not. „Das ist unser | |
Protest gegen Lebensmittelverschwendung“, sagt Tobias K.. „Es braucht ein | |
Wegwerf-Verbot“, sagt auch der Verteidiger Adam. | |
Dieser Auffassung ist auch die „Grüne Jugend“. „Containern ist kein | |
Verbrechen“, steht auf einem Transparent, mit dem deren Mitglieder gestern | |
vor dem Amtsgericht demonstriert haben. „Während andernorts Menschen Hunger | |
leiden, werden in Deutschland jährlich tonnenweise an noch verwertbaren | |
Lebensmitteln vernichtet“, sagt eine Sprecherin. Die Grüne Jugend fordere | |
die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative zu initiieren, die die | |
Rettung von Lebensmitteln endlich entkriminalisiert. | |
Einen entsprechenden Antrag hat die Niedersächsische Grünen-Fraktion | |
bereits Ende Februar im Landtag vorgestellt. Darin fordert die Fraktion die | |
Einführung einer Bagatellgrenze, durch die das Containern entkriminalisiert | |
würde. „Wer es in den Mülleimer geworfen hat, der hat das Eigentum daran | |
aufgegeben“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Miriam | |
Staudte, als sie den Antrag vorstellte. | |
## Grüne fordern Entkriminalisierung | |
Laut Staudte werden in Deutschland jährlich 1,8 Millionen Tonnen | |
Lebensmittel weggeschmissen. Für Niedersachsen bedeute das, dass 70.000 | |
Hektar Land letztlich umsonst bewirtschaftet würden. | |
Ihre Fraktion fordert deshalb ein Verbot für den Handel, Lebensmittel, die | |
noch zum Verzehr geeignet sind, wegzuwerfen. Stattdessen sollten die | |
Händler*innen abgelaufene Lebensmittel an interessierte Personenkreise oder | |
gemeinnützige Organisationen abgeben. | |
Als Vorbild nennt sie ein französisches Gesetz: Seit drei Jahren sind | |
demnach Supermärkte ab einer gewissen Größe verpflichtet, Lebensmittel zu | |
spenden, statt sie wegzuwerfen. Ansonsten droht eine Geldstrafe. | |
Containern zu entkriminalisieren würde es Menschen erleichtern, | |
weggeworfene Lebensmittel zu verwerten. Wie eben auch Tobias K. und seinem | |
Bruder, die sich aber ohnehin nicht von der unklaren Rechtslage irritieren | |
lassen. | |
27 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Carlotta Hartmann | |
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