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# taz.de -- Gegen Lebensmittelverschwendung: Niedersachsen kurz vorm Containern
> Schwarz-Rot initiiert eine Bundesratsinitiative gegen
> Lebensmittelverschwendung. Die Euphorie für das Thema kommt erst kurz vor
> der Bundestagswahl.
Bild: Zum Teil noch genießbar: weggeworfene Lebensmittel
Bremen taz | Nicht sinnlos, aber zu spät, zu inkonsequent und nicht
weitreichend genug – so kritisieren Opposition und
Nichtregierungsorganisationen die niedersächsische Bundesratsinitiative
gegen [1][Lebensmittelverschwendung]. Nachdem die schwarz-rote Koalition
ähnliche Forderungen der Landtags-Grünen und der FDP bisher stets abgelehnt
hat, hat das Landeskabinett Mitte Juni einen entsprechenden Gesetzentwurf
für die Länderkammer auf den Weg gebracht.
„Wir müssen gesetzlich dafür sorgen, dass anfallende Lebensmittel einer
höchstmöglichen Verwertung zugeführt werden“, begründet Christian Budde,
Pressesprecher des [2][Umweltministeriums in Niedersachsen], den Vorstoß.
„Am besten als Lebensmittel, so lange sie noch genießbar sind. Sonst sollen
sie zu Tierfutter verarbeitet, zur Kompostierung oder zur Energiegewinnung
genutzt werden“. Erreicht werden soll das durch Änderungen im Abfallrecht,
die den Handel und Vertrieb verpflichten, Lebensmittelabfälle zu
reduzieren.
„Diese Forderungen haben wir schon vor Jahren aufgestellt“, sagt Frank
Bowinkelmann, Vorsitzender des Vereins [3][Foodsharing]. Inhaltlich seien
sie sinnvoll und könnten bewirken, dass weniger Lebensmittel weggeschmissen
werden.
Ähnliches berichtet Miriam Staudte, die ernährungspolitische Sprecherin der
niedersächsischen Grünen-Fraktion: „Wir haben schon vor über zwei Jahren im
Landtag eine Bundesratsinitiative gefordert, die Supermärkte verpflichtet,
genusstaugliche Lebensmittel an Tafeln und ähnliche Einrichtungen
abzugeben, wie es in Frankreich, Italien oder Tschechien bereits gesetzlich
geregelt ist“, erinnert sie.
## Oppositionsvorschläge abgelehnt
Das sei aber ebenso abgelehnt worden wie die [4][Entkriminalisierung des
Containerns], sagt sie der taz. Auch von der FDP war im September ein
Antrag gekommen, mit dem Alternativen zum Mindesthaltbarkeitsdatum und
Anreize gefordert wurden, möglichst wenig Lebensmittel wegzuschmeißen.
Überraschend hat sich die Landesregierung vor drei Wochen dann doch zu
einer Bundesratsinitiative durchgerungen. Zwar war eine ähnliche
Bundesratsinitiative von Hamburg, Bremen und Thüringen, die den Handel zur
Lebensmittelspende verpflichten sollte, erst 2019 abgelehnt worden. Dennoch
rechnet Ministeriumssprecher Budde diesmal mit breiter Unterstützung.
Anlass sei die „Handlungsnotwendigkeit“, sagt Budde. „In den letzten Jahr…
hat sich das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Wertschätzung der
Ressourcen verändert“, behauptet er. Staudte hält das für vorgeschoben:
„Mit dieser Bundesratsinitiative kurz vor der Bundestagswahl will die
Groko in Niedersachsen von der eigenen Untätigkeit und von der Untätigkeit
der Groko in Berlin ablenken.“
Ins Muster würden auch andere Aktionen passen: Vor einer Woche hatten
Niedersachsens SPD und CDU auch noch einen Aktionsplan gegen
Lebensmittelverschwendung und zur Stärkung von Tafeln in den Landtag
eingebracht und für Donnerstag eine Aktuelle Stunde zum Thema beantragt:
„Hätte die Groko ein Gesetz beschließen wollen, hätte sie lange genug Zeit
gehabt“, findet Staudte.
## Belastung für die Atmosphäre
Zwischen zwölf und 18 Millionen Tonnen Lebensmittel werden pro Jahr in
Deutschland weggeschmissen. Laut Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) landen weltweit
jedes Jahr 4,4 Milliarden Tonnen Treibhausgase durch weggeschmissene
Lebensmittel unnötig in der Atmosphäre – acht Prozent der anthropogenen
Treibhausgasemissionen. „Wir rasen auf eine Klimakatastrophe zu und die
Regierung bewegt sich viel zu langsam“, kritisiert Bowinkelmann von
foodsharing.
Die nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung gibt
das Ziel vor, bis 2030 die Lebensmittelabfälle zu halbieren. „Das Ziel kann
nicht erreicht werden, wenn die Regierung in diesem Tempo weitermacht“
befürchtet Bowinkelmann.
In den letzten Jahren wurden auch im Bundestag Anträge mit dem Ziel,
Lebensmittelverschwendung zu stoppen, fleißig abgelehnt. Die Grünen
forderten im Oktober 2019 umfassende Maßnahmen, wie ein Gesetz für die
Verpflichtung zur Lebensmittelspende, die Unterstützung von Foodsharing und
Tafeln, Ernährungsbildung und Abschaffung des Mindesthaltbarkeitsdatums auf
EU-Ebene. Selbst die AfD hatte im Januar gefordert, Lebensmittelspenden per
Gesetz steuerlich zu begünstigen.
Welche Ausmaße die Verschwendung in Deutschland hat, ist ungeklärt: „Das
Problem ist, dass es immer noch keine solide Datenbasis gibt, was wo
weggeschmissen wird“, bemängelt Bowinkelmann. Eine Datenerhebungspflicht
für Lebensmittelabfälle im Handel und Vertrieb fordert die
niedersächsische Bundesratsinitiative allerdings nicht.
„Es wird sehr viel Rücksicht auf die Industrie und den Einzelhandel
genommen“, kritisiert Bowinkelmann. „Der Einzelhandel ist nicht willens
sich in die Tonne gucken zu lassen, deshalb bleibt es da dunkel.“
## Hinderlicher Rechtsrahmen
Zudem seien die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Weitergabe von
Lebensmitteln an Foodsharing oder die Tafel hinderlich. „Da entsteht eine
große Unsicherheit, weil nicht geklärt ist, wann wer haftet“, sagt
Bowinkelmann. Wenn es eine gesetzliche Verpflichtung aller Beteiligten zur
Lebensmittelspende gäbe, müssten von der Regierung Mittel bereitgestellt
werden, die Logistik und Lagerkapazitäten ermöglichen. Alleine könne die
Initiative Foodsharing das Abholen und Verteilen nicht stemmen.
„Es müssen nicht nur Gesetze sein, sondern es muss sich etwas in den Köpfen
ändern“, sagt Charlotte Schneider vom Zentrum für Ernährung und
Hauswirtschaft Niedersachsen. Es brauche Aufklärung und Verbraucherbildung,
gerne auch in der Schule. Bowinkelmann fordert einen Schulgarten für jede
Schule: „Wenn ein Kind eine Karotte aus der Erde zieht, die es selbst
gepflanzt hat, dann ist es egal, ob diese krumm oder runzelig ist.“
7 Jul 2021
## LINKS
[1] /Lebensmittelrettung-bei-der-Produktion/!5766302
[2] https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite
[3] https://foodsharing.de/
[4] /Verfassungsbeschwerde-abgelehnt/!5708506
## AUTOREN
Jasmin Koepper
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