# taz.de -- Umweltministerin über erstes Jahr im Amt: „Panik können wir uns… | |
> Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) zieht Bilanz. Sie spricht | |
> über den Kohle-Kompromiss und ihre Kritik an Fridays for Future. | |
Bild: Svenja Schulze kritisiert „Pauschalvorwürfe“ an die Umweltpoltik | |
taz am wochenende: Frau Schulze, Sie sind die fröhlichste Ministerin, die | |
wir je gesehen haben. Wie kommt das? Als Umweltministerin haben Sie doch | |
nicht viel zu lachen. | |
Ich bin ein positiver Mensch. Der Job hier ist hart genug. Wenn ich den | |
ganzen Tag sauertöpfisch rumlaufen würde, wäre damit niemandem geholfen. | |
Aber Ihr erstes Jahr als Ministerin klingt wie ein Horrortrip: Sie mussten | |
das Klimaziel kassieren und wurden von der eigenen Parteispitze | |
abgewatscht, als Sie einen CO2-Preis vorgeschlagen haben. In Brüssel | |
mussten Sie gegen Ihren Willen für lasche CO2-Grenzwerte stimmen, das | |
Agrarministerium hat sich bei der Genehmigung von Glyphosat über Sie | |
hinweggesetzt. | |
Sie übertreiben bewusst mit Ihrer Beschreibung, nehme ich an. Als ich vor | |
einem Jahr das Umweltministerium übernommen habe, wusste ich, dass es nicht | |
einfach wird, aber meine Bilanz sieht ganz anders aus. | |
Das haben wir uns fast gedacht. | |
Wir als SPD haben die Strukturwandelkommission durchgesetzt und damit den | |
Kohleausstieg organisiert. Wir wollten es nicht wie Jamaika am grünen Tisch | |
machen, sondern die Betroffenen einbeziehen. Auch wenn es vorher niemand | |
geglaubt hat: Es gibt nun ein gutes Ergebnis. Wir können uns jetzt endlich | |
der internationalen Allianz der Kohleausstiegsländer anschließen, der | |
Powering Past Coal Alliance – was ich in die Wege leiten werde. | |
Und nicht nur das: Deutschland ist weltweit das erste Land, das | |
gleichzeitig aus Atom und aus Kohle aussteigt. Wir bekommen das hin, ohne | |
dass hier die Gelbwesten marschieren. Das ist ein Riesenerfolg der Großen | |
Koalition. Dass darüber so hinweggegangen wird, finde ich nicht richtig. | |
Den Kohlekompromiss gibt es seit sechs Wochen. Aus der Union wird er schon | |
wieder in Frage gestellt, RWE baggert weiter – wann wird aus den | |
[1][Empfehlungen der Kommission] konkrete Politik? | |
Es liegt noch viel Arbeit vor uns, na klar, und Gesetze brauchen Zeit. | |
Wichtig ist, dass wir uns in der Koalition einig sind, die Vorschläge so | |
schnell wie möglich umzusetzen. Das Stärkungsgesetz für die Kohleregionen | |
soll noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. Und die Abschaltungen | |
der Kraftwerke werden so umgesetzt, wie es der Kompromiss vorsieht. | |
Der nächste große Konflikt ist Ihr Klimaschutzgesetz. [2][Die Union läuft | |
dagegen Sturm.] | |
Da gab es den einen oder anderen, der ein bisschen emotional reagiert hat. | |
Dabei ist es ja eigentlich keine Überraschung, dass ich ein | |
Klimaschutzgesetz vorlege, wenn im Koalitionsvertrag steht, dass wir 2019 | |
ein Klimaschutzgesetz verabschieden. Da muss die Union mitarbeiten, und das | |
tut sie auch. Sie ist ja nicht blind und sieht, was auf der Welt passiert | |
und dass wir internationale Verpflichtungen haben. | |
Von außen wirkt es nicht so, als würde die Union mitarbeiten. Die sagt: So | |
steht das nicht im Koalitionsvertrag, so machen wir das nicht. | |
Die Union selber hat in den Koalitionsverhandlungen darauf Wert gelegt, | |
dass die Fachminister in ihren Ressorts ihre Kompetenzen behalten, dass es | |
kein Superumweltministerium gibt. Genau das steht im Entwurf meines | |
Klimaschutzgesetzes. Fachlich bleiben die Ressorts zuständig. Dass wir in | |
der EU Geld zahlen müssen, wenn wir die Klimaziele nicht erreichen, auch | |
das ist komplett überraschungsfrei, das steht seit vielen Jahren fest. Und | |
dass das nicht aus dem Umweltetat finanziert werden kann, sondern aus den | |
Etats der betroffenen Ministerien kommen muss, ist auch völlig klar. | |
Der Fraktionsvize der Union, Georg Nüßlein, [3][hat das in der taz | |
abgelehnt]. Steht wenigstens die Kanzlerin an Ihrer Seite? | |
Die Beschlüsse der Koalitionsspitzen von Donnerstagabend begrüße ich | |
jedenfalls sehr. Neben der großen Zukunftsaufgabe Digitalisierung, für die | |
es das Digitalkabinett gibt, hat der Klimaschutz nun im Klimaschutzkabinett | |
den geeigneten Steuerungsort gefunden. | |
Aber aus den problematischen Ministerien Verkehr und Bauen kommt bisher | |
nichts. Oder haben Sie schon deren Konzepte gesehen? | |
Ich denke, dass aus der Kommission im Verkehr gute Vorschläge kommen | |
werden, auch das Bauministerium wird liefern. So gern ich mich mit meinen | |
Kollegen dabei reibe, will ich auch sagen: Die Aufgabe ist nicht trivial, | |
die da ansteht. Das sind komplexe, schwierige Fragen, die nicht mit einem | |
Fingerschnippen zu erledigen sind. Wir müssen sehen, was funktioniert und | |
auch, was sozial fair ist. Klimaschutz darf zum Beispiel die Mieten nicht | |
hochtreiben. | |
Wenn Ihr Gesetz blockiert wird, scheitert dann die Koalition? | |
Wir sind angetreten, um in dieser Koalition erfolgreich zu sein. Dafür muss | |
man verhandeln, nicht drohen. Die Koalitionsspitzen haben jetzt erneut | |
klargemacht, dass wir in 2019 alles Notwendige zur Umsetzung der | |
Klimaschutzziele 2030 verabschieden werden. Mein Entwurf liegt auf dem | |
Tisch. Sollte jemand bessere Vorschläge haben, nur zu! | |
Wie schwierig ist eigentlich die Zusammenarbeit im Kabinett, wenn der | |
Verkehrsminister sorglos mit Fakten umgeht und die Agrarministerin Sie bei | |
der Zulassung von Glyphosat einfach übergeht? | |
Wer Fakten verdreht, auf den fällt das selbst zurück. Und die umstrittene | |
Genehmigung von Pflanzenschutzmitteln ist ein klarer Verstoß gegen die | |
Regeln. Darüber wird noch zu reden sein. Das wird auf Dauer keinen Bestand | |
haben. | |
Auch aus Ihrer eigenen Partei gab es Gegenwind. Olaf Scholz hat Sie im | |
Regen stehen lassen, als Sie eine CO2-Abgabe forderten. Und Parteichefin | |
Nahles hat Klimaschützer mit Klimaleugnern verglichen. Wie groß ist Ihr | |
Rückhalt in der SPD? | |
Olaf Scholz und Andrea Nahles haben beide gesagt, wie wichtig sie das | |
Klimaschutzgesetz finden und dass sie es unterstützen. Beide haben sehr | |
deutlich gemacht, dass wir handeln müssen – auch im Koalitionsausschuss. Es | |
stimmt einfach nicht, dass es da einen Keil zwischen uns gibt. | |
Ist die SPD jetzt plötzlich eine Öko-Partei? | |
Umwelt gehört zum Profil der SPD, seit Willy Brandt den blauen Himmel über | |
der Ruhr gefordert hat. Wir sind die einzige Partei, die Umwelt und | |
Soziales gleichzeitig in den Blick nimmt und Wege aufzeigt, wie Klimaschutz | |
und Arbeitsplätze zusammengehen. Es kann nicht sein, dass sich die Reichen | |
von den Folgen des Klimawandels freikaufen und die Armen die Leidtragenden | |
sind. Das ist ein zutiefst soziales Thema und eine riesige Herausforderung | |
für klassische Industriepolitik. Wie schaffen wir es, das erste CO2-freie | |
Stahl- oder Chemiewerk in Deutschland zu bauen? Darum kümmert sich nur die | |
SPD. | |
Die Bilanz von auch sozialdemokratischer Umweltpolitik ist aber, dass seit | |
zehn Jahren die CO2-Emissionen kaum sinken. | |
Wir regieren nicht allein. Und nicht mit den Grünen, vielleicht wäre da | |
manches einfacher. Aber für Rot-Grün gab es keine Mehrheit. | |
Derzeit regt sich in der Gesellschaft mehr als in der Regierung: Umfragen | |
zeigen breite Mehrheiten für Klimaschutzmaßnahmen, [4][Schülerinnen und | |
Schüler gehen auf die Straße], Forscher unterstützen sie. Die Politik | |
dagegen wirkt immer noch wie im Abwehrmodus gegenüber ernsthaftem | |
Klimaschutz. | |
Ich sehe das anders. Es ist nicht trivial, gleichzeitig aus Kohle und Atom | |
auszusteigen, Netze zu erweitern, Erneuerbare auszubauen und alles auf | |
Strom umzustellen, im Verkehr, in der Industrie. Es ist schnell gefordert: | |
Macht doch morgen mal die Kohlekraftwerke aus! Aber das geht nicht so | |
schnell. Wir wollen ja auch nicht abhängig sein vom Atomstrom unserer | |
Nachbarn. Wir müssen zeigen, dass das besser geht. | |
Sie finden die SchülerInnen-Proteste naiv? | |
Ganz im Gegenteil. Erst mal finde ich es klasse, dass sich da junge | |
Menschen politisch artikulieren. Es zeigt, dass das nicht eine Generation | |
ist, die nur am Handy daddelt und sich für nichts interessiert. Und für den | |
Klimaschutz ist das auf jeden Fall Rückenwind, weil es das Thema sehr stark | |
in der öffentlichen Diskussion hält. | |
Was ich nicht teile, ist die Ansicht, dass überhaupt nichts passiert. Das | |
stimmt einfach nicht, die Bundesregierung befindet sich auf dem richtigen | |
Pfad: Wir haben die Ergebnisse der Kohlekommission. Wir haben einen | |
Koalitionsvertrag, der klar sagt, dass wir handeln werden. Wir werden ein | |
Klimaschutzgesetz verabschieden. Bei der Klimakonferenz in Kattowitz hat | |
die Weltgemeinschaft ein Regelwerk vereinbart. Kurz: Wir können umsteuern | |
und tun das auch. Ich will, dass wir das den jungen Leuten auch beweisen. | |
Aber der Erfolg steht vor allem auf dem Papier. Die Klimapolitik hangelt | |
sich von Erfolg zu Erfolg – und die Emissionen steigen. Die Situation wird | |
nicht besser, sondern schlechter. | |
Das ist ja genau die Kritik, die ich auch teile. Wir müssen aufhören, über | |
Ziele nur zu reden, sondern ihre Umsetzung sicherstellen. Deshalb will ich | |
dieses Klimaschutzgesetz. Das will ich ja nicht als Profilierung für mich. | |
Ich will, dass sich niemand mehr in die Büsche schlagen kann. Es muss eine | |
Verbindlichkeit geben, mit der für die nächsten Generationen | |
festgeschrieben wird, welchen Weg wir gehen. Ich will eine Mechanik, die | |
auch kommende Regierungen bindet, Schritt für Schritt CO2 zu reduzieren. | |
Die Fridays-for-Future-Aktivistin Greta Thunberg sagt an die Adresse der | |
Politik, also auch an Sie: Ich will, dass ihr Panik bekommt! | |
Es ist normal, dass wir unterschiedliche Sichtweisen haben. Ich bin ja | |
keine Schülerin, sondern die amtierende Umweltministerin. Und deshalb sage | |
ich ganz klar: Politisch können wir uns Panik nicht leisten. Sie führt eher | |
dazu, erstarrt dazusitzen und nicht zu handeln. Wir können aber noch | |
handeln und ich will, dass wir handeln. | |
Die Politik sitzt aber ohne Panik bisher da und handelt nicht. | |
Solche Pauschalvorwürfe an „die Politik“ sind mir zu einfach. Ich plädiere | |
dafür, etwas genauer hinzuschauen, wer vorantreibt und wer blockiert | |
beispielsweise. Mich besorgt das wirklich sehr, wenn junge Menschen mir | |
sagen: Das bringt doch alles nichts, ihr Alten hinterlasst uns eine marode | |
Erde. Ich plädiere für etwas mehr Differenziertheit und Zuversicht. Politik | |
ist kompliziert, vor allem wenn es um globale Problemlösungen geht, aber | |
wir kommen voran. | |
16 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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