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# taz.de -- Energieagentur-Chef über die Klimakrise: „Billionen für den Koh…
> Der Direktor der Internationalen Energieagentur IEA, Fatih Birol, fordert
> einen Fonds für Schwellenländer. So soll deren Abschied von der Kohle
> finanziert werden.
Bild: Müssen weltweit abgeschaltet werden, damit die Klimakrise nicht eskalier…
Herr Birol, in [1][Ihrem neuen Bericht zeigen Sie den Regierungen] der Welt
eine „Röntgenaufnahme“ der momentanen Energiepolitik. Dieses Bild erinnert
an einen starken Raucher. Wird der Patient überleben?
Dafür müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens: Seine Lungen müssen
vom Rauchen geheilt werden. Zweitens: Er darf nicht mehr rauchen. Für die
Energiepolitik heißt das: Selbst wenn die Fabriken, Kraftwerke und Autos
der Zukunft emissionsfrei sind, ist das nicht genug. Wir müssen auch das
System säubern.
Also das Rauchen aufgeben – keine neuen Kraftwerke oder Industrieanlagen
mehr errichten, die fossile Brennstoffe verfeuern?
Alle neue Infrastruktur muss sauber sein, falls die Welt ihre Klimaziele
erreichen will. Man kann fossile Anlagen nur da haben, wo das CO2
aufgefangen und gespeichert wird. Die Energiepolitik der Zukunft muss die
erneuerbaren Energie ausbauen, Energie viel effizienter nutzen und offen
sein für neue Technologien. Wir brauchen das alles, wenn wir die Ziele
erreichen wollen. Derzeit entfernen wir uns von ihnen. Um im Bild zu
bleiben: Statt das Rauchen zu reduzieren, sind wir sogar von Zigaretten auf
kubanische Zigarren umgestiegen.
Alle reden über Dekarbonisierung. Die IEA-Zahlen zeigen das Gegenteil.
In der Tat sehen wir eine schnellere Karbonisierung statt einer
Dekarbonisierung. Ende 2018 haben wir die höchsten CO2-Emissionen der
Geschichte erreicht. Am meisten sorgt mich, dass sich die politische
Debatte und unsere Klimaziele immer mehr von dem entkoppeln, was auf den
Märkten in der Realität passiert. Das ist genau entgegengesetzt.
Was ist zu tun?
Der Energiesektor ist das Herz des Problems. Zwei Drittel der
CO2-Emisisonen kommen aus der Energie. Ohne eine Lösung hier haben wir
überhaupt keine Chance, das Klimaproblem zu lösen. Wir müssen also viel
mehr in erneuerbare und saubere Techniken investieren, in Effizienz,
CO2-Abscheidung und Speicherung und in Wasserstoff. Und wir müssen einen
Weg finden, wie wir mit der existierenden Infrastruktur umgehen.
Sie sprechen von einem Kohleausstieg, [2][den wir in Deutschland gerade
versuchen]?
Deutschland und Wirtschaftsminister Peter Altmaier leisten da heroische
Arbeit. Der Kohleausstieg ist kein leichter Job, es gibt die
Gewerkschaften, das ist alles sehr politisch und schon lange ein Problem.
Aber: Deutschland hat etwa 40 Gigawatt Kohleleistung, im Schnitt sind die
Kraftwerke etwa 40 Jahre alt, normalerweise laufen sie 45 oder 50 Jahre.
Sie vorzeitig abzuschalten, ist schon schwierig genug in Deutschland, aber
in Asien haben wir etwa 2000 Gigawatt Kohle, im Schnitt 11 Jahre alt. Sie
stehen in armen Ländern, nicht in Deutschland. Wie sagen wir denen, sie
sollen ihre Kraftwerke zumachen, weil wir das in Berlin, Brüssel oder New
York so wollen?
Wie gelingt das, ohne dass die armen Länder auf den Kosten für ihre
Kohlekraftwerke sitzen bleiben?
Wir müssen einen Finanzierungsmechanismus schaffen, um diese Länder dafür
zu entschädigen, dass sie diese Kraftwerke früher vom Netz nehmen. Das muss
der Kohleausstieg in Asien werden. Die Kohleflotte dort kann im Normallfall
noch 40 Jahre laufen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, können wir den
Klimazielen auf Wiedersehen sagen.
Wieviel Geld werden wir dafür brauchen?
Ich weiß keine genaue Zahl, aber es werden Billionen von US-Dollar sein.
Das ist mehr, als jemand tragen kann, dafür brauchen wir einen globalen
Finanzierungsmechanismus. Ohne einen solchen Anreiz werden diese Länder
nicht aus der Kohle aussteigen.
Bisher gibt es den Green Climate Fund der UNO mit 10 Milliarden Dollar für
vier Jahre. Das sind Peanuts, verglichen mit dem, was Sie fordern.
Ja, das ist winzig, verglichen mit dem, was nötig wäre. Wir brauchen ein
Mehrfaches dessen, was heute die Verpflichtungen der Länder zur Finanzhilfe
sind. Man könnte sich auch darauf konzentrieren, das CO2 am Kraftwerk
einzufangen und zu speichern. Aber diese Technik ist noch in den Anfängen.
Und sie würde in Ländern wie Indien oder Indonesien die Strompreise
hochtreiben. Dann stellt sich wieder die Frage: Wer soll das bezahlen? Das
ist vielleicht billiger, als die Werke zu schließen, aber auch dafür müsste
jemand zahlen.
Die OECD Länder, die ja auch die IEA tragen, sollen also viel Geld auf den
Tisch legen, um ihren Konkurrenten in der Weltwirtschaft eine grüne
Energieversorgung zu finanzieren. Die Regierungen werden nicht begeistert
sein.
Zuerst einmal sollte es eine weltweite Anstrengung sein, alle Länder müssen
beteiligt sein. Aber es ist ganz wichtig, dass man die Schwellenländer
nicht für ihren Entwicklungsstand bestraft. Ist ein solcher Mechanismus im
heutigen politischen Klima vorstellbar? Realistisch betrachtet, glaube ich
das nicht. Wenn ich mit den Ministern aus Schwellenländern spreche, ist
Klimawandel nicht das drängendste Problem, Luftverschmutzung und Wasser
sind dort wichtiger. Und wenn ich mit Ministern in den reichen Ländern
rede, sehe ich, dass der politische Schwung von 2015, dem Pariser Abkommen,
abgenommen hat. Die politischen und diplomatischen Anstrengungen gehen
zurück, die Emissionen nehmen zu und wir schreiben einen Bericht nach dem
nächsten, der viel stärkere Einschnitte fordert.
Eine neue Studie hat letztens berechnet, dass 100 Prozent erneuerbare
Energie in allen Bereichen bis 2050 durchaus möglich ist. Was halten Sie
von dieser Einschätzung?
Wir sehen den Anteil der Erneuerbaren signifikant zunehmen, Aber
hauptsächlich im Strombereich. Bei Autos, Flugzeugen und in der Industrie
wird das langsamer gehen. Ich werde mich nicht auf eine Wette zu Prozenten
einlassen, aber bisher ist die Marktdurchdringung der Erneuerbaren sehr
gering, verglichen mit dem, was wir sehen werden.
Der Anspruch ist gewaltig. Die [3][Weltagentur für Erneuerbare IRENA] sagt,
wir müssten den Zuwachs in Erneuerbaren um das Sechsfache steigern, um die
Klimaziele zu schaffen. Ist das machbar?
Erneuerbare werden um das Mehrfache wachsen, ob nun um das Drei- oder
Achtfache, da lege ich mich nicht fest. Aber dann kommt das nächste
Problem. Bisher haben die Regierungen nur den Ausbau unterstützt, aber ab
einem Anteil von erneuerbarem Strom im Netz von 20 bis 25 Prozent wird es
wichtig, wie man ihn ins Netz integriert. Deswegen treffen wir uns mit
Minister Altmaier am 22. September für ein großes Ministertreffen in Berlin
zu diesem Thema.
Die IEA ist oft kritisiert worden, weil sie die Erneuerbaren Energien
unterschätzt hat und die Klimaziele nicht deutlich abbildet. Viele
Regierungen schwören auf die IEA-Zahlen. Sind das also selbst erfüllende
Prophezeiungen?
Was wir machen, ist nicht politisch. Wir erstellen Szenarien, wir sagen den
Regierungen: Wenn ihr mit euren Klimaplänen so weitermacht wie bisher,
landen wir bei drei Grad Temperaturanstieg, was eine Katastrophe wäre. Wir
sagen aber auch: Wenn ihr einen Weg wählt, der das Pariser Abkommen
einhält, der den Zugang zu Energie sichert und die Luft sauberer macht,
dann müsst ihr mehr auf Erneuerbare, auf Effizienz und auf saubere
Technologien setzen. Wir bestimmen nicht, was die Regierungen tun. Wir
geben ihnen die Optionen, sie wählen aus. Und wir folgen da sehr genau der
Wissenschaft mit unserem Szenario, das sich „deutlich unter zwei Grad“
orientiert. Wir haben bei der IEA vor 15 Jahren den Kampf gegen den
Klimawandel begonnen und sind entschlossen, damit weiterzumachen.
Sie zeichnen ein düsteres Bild. Ist Ihre einzige Hoffnung, dass Sie sich
irren?
Es kann gut sein, dass wir uns irren. Aber leider liegen wir meistens
richtig.
22 Apr 2019
## LINKS
[1] https://www.iea.org/
[2] /Sofortprogramm-fuer-Kohle-Regionen/!5585743
[3] /Warnung-des-Weltklimarats-IPCC/!5475717
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Kohleausstieg
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Klima
Schwerpunkt Klimawandel
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Braunkohle
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