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# taz.de -- Nichts muss für die Ewigkeit sein: Getrennt ist das neue Zusammen
> Trennungen gelten oftmals immer noch als Katastrophe. Schuld daran ist
> auch die Überidealisierung von Zweierbeziehungen.
Bild: Was der Mensch zusammenfügt, kann er auch wieder trennen
Es sind oft die engsten Freunde, die fragen: „Bist du dir wirklich
sicher?“, wenn sich jemand trennen möchte. Dabei wird diese Entscheidung
meist weniger leichtfertig getroffen als ein „Ich liebe dich“ ins Ohr
geflüstert. Die Frage aber wird oft gestellt und vermutlich nicht ganz
uneigennützig. Der Subtext ist die blanke Angst. Zu Recht: Forscher der
Brown University in Providence, USA, fanden 2013 in einer Studie heraus:
Wenn gute Freunde sich scheiden lassen, steigt das eigene Risiko einer
Scheidung um 75 Prozent.
Trennungen gelten heute immer noch als große Katastrophe: wieder allein,
nicht genug gearbeitet, die armen Kinder, nur Selbstoptimierung, wie
egoistisch, was die Scheidung wieder kostet!
Die Imagekampagne für die endlose Paarbeziehung hat eine lange Tradition,
auch wenn von Anfang an der Wurm drin war. Bereits Adam und Eva gründeten
die erste dysfunktionale Familie, die im Brudermord gipfelte. Und dennoch,
das andauernde Paarsein gilt als zu belohnende Leistung per se. Wer lange
genug durchhält, bekommt – ganz unabhängig vom Kompatibilitätsgrad – als
Eheleute nicht nur Jahr für Jahr Steuervergünstigungen, sondern ab dem 65.
Hochzeitstag auch ein Glückwunschschreiben vom Bundespräsidenten.
Doch die Überidealisierung von Zweierbeziehungen – ob in Hollywoodfilmen
oder im Kindergarten – begünstigt eine Frustration, die auch weiter
reichende Folgen haben kann als den Valentinstagsterror der Werbebranche.
Wer das Gefühl hat, an gesellschaftlichen Erwartungen zu scheitern, sucht
nach Erklärungen, die ihm überschaubarer erscheinen und die er zu
verteidigen versucht. Die Familie, so die Autorin Bini Adamczak, könne „die
in sie gesetzten Hoffnungen schon lange nicht mehr erfüllen. Unter den
hohen Ansprüchen bricht sie regelmäßig zusammen. Der Widerspruch, in dem
sich die bürgerliche Familie befindet, führt immer wieder dazu, dass die
Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit frustriert wird.“ Und jetzt
kommt’s: „Hierfür bietet die Rechte Sündenböcke an:
Abtreibungsbefürworterinnen, Feministinnen, Queers.“
## Trial-and-Error-Verfahren des Lebens
Je mehr wir Trennungen als Scheitern verstehen, desto größer die
Frustration, desto größer die Flucht in die ollen Versprechen von Heimat
und alten Werten. Trennungen sind wichtige Schritte im
Trial-and-Error-Verfahren des Lebens. Dass Beziehungen nicht immer 60 Jahre
halten, beweist aber nicht zwangsläufig, dass wir uns heute zu früh trennen
– wie es Pärchenratgeber so gerne reinhämmern in uns, die uns ständig für
den Zeitgeist schuldig fühlen.
[1][Eva Illouz] hat dazu über 20 Jahre geforscht und sagt: Kapitalismus
oder Neoliberalismus hat unser Liebesleben zerstört. Nur lautet die Antwort
auf das Problem nicht, Paarbeziehungen aus Protest bedingungslos nachhaltig
zu führen. Systemkritik sollte uns bestenfalls auch vom protestantischen
schlechten Gewissen, an einer Beziehung wieder nicht genügend gearbeitet zu
haben, entlasten.
Trennungen zu einem besseren Image zu verhelfen, ist auch eine Aufgabe des
aktuellen Feminismus. Nicht nur, weil es guttäte, in der laufenden
Beziehung nicht zu vergessen, dass eine Alleinverdiener- oder
Zuverdiener-Ehe bei Trennungswunsch fast zur Zwangsehe werden kann. Nicht
nur, weil Frauen ihr Alpha-Männchen-Beuteschema überprüfen und die
Überforderung von Vätern anhören sollten. Sondern auch, um neuen
Beziehungsmodellen oder alternativen Allianzen zu Akzeptanz zu verhelfen,
die einen Spotlight auf Gemeinschaft setzen.
Auch heute lösen [2][Debatten um Wechselmodell und Polyamorie] hysterische
Abwehrreaktionen aus – nicht nur bei Männern. Denn die Gründe ähneln sich.
Es droht, dass „vermeintliche Grundsicherheiten einer Gesellschaft
erschüttern“, so die Ethik-Professorin Regina Ammicht Quinn. Hat der
Feminismus die Frauen nicht erst zu diesen quengelnden Wesen gemacht, die
nicht mehr ständig das Klo putzen und auf die Kinder aufpassen wollen,
dafür aber immer einen Orgasmus? Und die deswegen überhaupt nicht mehr
beziehungsfähig sind?
## Ungleich verteilt
Die alte Phrase, dass das Persönliche politisch ist, scheint in Liebe und
Partnerschaft noch mal besonders zu gelten, weil sie so viele Aspekte des
Lebens durchzieht. Und gleichzeitig sind die Gründe, die Trennungen
erschweren, auch klassische feministische beziehungsweise Themen der
Sozialpolitik: ungleiche Verteilung von Kapital, Geschlechterrollen,
Wohnungsmarktsituation.
Inzwischen beinhaltet die alte Phrase aber auch neue Tendenzen. In Zeiten,
in denen das Politische immer weiter auseinanderdriftet und polarisiert, zu
Kommentarschlachten auf Twitter und Facebook führt, soll die kleinste Zelle
wieder mehr als Vorbild für das Gute und Schöne in der Welt herhalten, und
auch für die Bestätigung des Weltbildes. Das gilt nicht nur in
konservativen Familien.
Wir wissen, dass es keine Stagnation gibt, also suchen wir nach noch mehr
davon. Die Soziologin Cornelia Koppetsch erklärt das Dilemma so: „Zum einen
kämpfen spätmoderne Menschen unter Bedingungen beschleunigter
Veränderungsprozesse um die Aufrechterhaltung eines minimalen Standards an
Identität. Wer diesen Standard preisgibt, wird irgendwann verrückt. Zum
anderen ist vielen Menschen klar, dass die Zukunft völlig ungewiss ist und
damit auch die Zukunft ihrer eigenen Gruppe.“
Womöglich ist deswegen die Zahl der Eheschließungen in den letzten Jahren
angestiegen und die Scheidungsrate auf dem niedrigsten Stand seit 25
Jahren. Romantische Liebe wird immer wichtiger für die eigene Identität.
#couplegoals. Der Partner soll bitte mit aufs Selfie passen.
## Die Angst vor Verlust
Es gibt heute weniger Gemeinschaften, zu denen man sich zugehörig fühlt.
Wir fürchten nicht das jüngste Gericht, sondern den Scheidungsrichter, da
sich im Krankheitsfall oder bei Arbeitslosigkeit sonst keiner mehr kümmert.
Und wer zählt schon noch auf den Staat? Liebe wird mit religiösen Ritualen
aufgeladen, mit Schlössern an Brücken gekettet. Die Angst vor Verlust nicht
selten mit Liebe verwechselt.
Und die Liebe, sie soll alles richten: die Welt retten, zu Sport
motivieren, Frieden schaffen, das Auskommen mit den Kindern garantieren,
Sinn des Lebens sein. Das Verständnis von Liebe hat dabei aber gar nicht so
viel mit Empathie zu tun, eher mit klebrigem Kitt.
Nach Eva Illouz gibt es eine Wahrscheinlichkeit, „dass Männer eher an die
Idee der romantischen Liebe glauben“. Was nicht uninteressant ist, denkt
man über den [3][Begriff der toxischen Männlichkeit] nach oder über die
These, dass das Erstarken von Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland auch
damit zusammenhängt, dass die Ressource Frau durch den Wegzug derselbigen
aus strukturschwachen Bundesländern schwindet. Wer frustriert ist, weil der
Partner fürs Leben abhaut, kommt auf die absurdesten Gedanken.
Laura Ewert hat mit Heike Blümner gerade das Buch „Schluss jetzt – von der
Freiheit sich zu trennen“ veröffentlicht, in dem sie sich die Gründe und
Folgen von Trennung genauer anschauen.
25 Feb 2019
## LINKS
[1] /Warum-Liebe-endet-von-Eva-Illouz/!5546824
[2] /Veranstaltungen-zu-Polyamorie/!5548722
[3] /Debatte-um-toxische-Maennlichkeit/!5426480
## AUTOREN
Laura Ewert
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