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# taz.de -- Buch über katholische Kirchengerichte: Drum prüfe, wer sich ewig …
> Wer für die katholische Kirche arbeitet, darf sich nicht scheiden lassen.
> Einziger Ausweg: das Kirchengericht. Ein Einblick in geheime Prozesse.
Bild: Milde beim Missbrauch durch Priester, Strenge beim Scheitern der Ehe von …
Nach fast zwei Jahren Prozess reicht es Elke Rogosky: „Am Montag trete ich
aus, am Montag gehe ich zum Amtsgericht!“, ruft sie ins Telefon. Am anderen
Ende ist ihr Partner Peter Otten, ein Angestellter des Erzbistums Köln und
gerade mit der katholischen Jugend auf einem gemeinsamen Wochenende
unterwegs.
Elke Rogosky hat das Schreiben eines „Ehebandverteidigers“ bekommen, das
sie tief verletzt. Darin unterstellt ihr ein von der katholischen Kirche
bezahlter Jurist auf 13 Seiten Unehrlichkeit und Berechnung. Peter Otten
ist so entsetzt wie sie, erwägt ebenfalls den Austritt aus seiner Kirche:
„Ich habe mich gefragt: Was muss denn noch passieren, bis ich sage: Ich bin
da raus?“
Es ist eine seltsame, verschlossene Welt, wo kirchliches Recht gesprochen
wird. Die 1979 geborene Journalistin Eva Müller beschreibt dies in ihrem
Buch „Richter Gottes. Die geheimen Prozesse der Kirche“ anschaulich.
In der Bundesrepublik gibt es 22 katholische Kirchengerichte mit Hunderten
fester und freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bezahlt durch die
Kirchensteuer. In ihnen wurden nach Müllers Recherche im Jahr 2015 gut
1.200 Prozesse geführt. In der Regel werden alle Beteiligten der
Verhandlungen an den Kirchengerichten zur Geheimhaltung verpflichtet. Die
Verfahren sind nicht öffentlich.
## Geheimhaltung
Eva Müller ist es trotzdem gelungen, Licht in dieses Dunkel zu werfen, wo
sich Schicksale entscheiden. „Der Drang, etwas im geschützten Raum zur
Sache zu sagen, war bei vielen groß“, erklärt Müller. Das Paar
Otten-Rogosky hatte sich aber nach einem Jahr des Austausches entschlossen,
ihre Klarnamen zu nennen – „auch in dem Wunsch, wirklich etwas zu
verändern“.
Die meisten Beteiligten halten sich daran, das Verfahren geheim zu halten,
denn es geht oft um delikate, ja intime Dinge. Da die katholische Kirche
eine kirchlich geschlossene Ehe als Sakrament versteht, von Gott selbst
gestiftet, misst sie diesem Lebensbund zwischen Mann und Frau einen ewigen
Wert bei.
Theoretisch sind diese Ehen nicht zu trennen. Es sei denn, man geht als
katholisch getrauter Mensch zu den kirchlichen Gerichten, um die Ehe im
Nachhinein als nichtig erklären zu lassen – dafür ist jedoch eine
gründliche Untersuchung notwendig.
## Kirche als Arbeitgeberin
Aber wie kommt man in einer sich immer weiter säkularisierenden
Gesellschaft überhaupt auf die Idee, eine gescheiterte Ehe von einem
Kirchengericht annullieren zu lassen? Das liegt vor allem an der Macht der
katholischen Kirche als Arbeitgeberin, mit ihren eigenen, höchstrichterlich
verbrieften Rechten.
Die Kirche Roms ist zusammen mit der evangelischen Volkskirche nach dem
Staat selbst die zweitgrößte Arbeitgeberin der Bundesrepublik: Rund 700.000
Menschen arbeiten hierzulande für die katholische Kirche, und das vor allem
im Sozialwesen. In manchen Gegenden, etwa in der Moselregion, gibt es fast
nur katholische Krankenhäuser.
Wer einen katholischen Arbeitgeber hat, muss sich dem ganz besonderen
kirchlichen Arbeitsrecht unterstellen. Man darf beispielsweise nur mit
jemandem zusammenleben, mit dem man kirchlich verheiratet ist. Ist eine Ehe
gescheitert, lebt man, kirchenrechtlich formuliert, mit einem möglichen
neuen Partner „in Unzucht“ (von homosexuellen Beziehungen ganz zu
schweigen). Das aber kann eine Entlassung aus dem kirchlichen Haus zur
Folge haben. Deshalb die steigende Tendenz zur Eheannullierung aus Angst um
den Arbeitsplatz.
## In die Öffentlichkeit
Zwar leben viele Paare ihre neue Beziehung heimlich. Aber: „Es gibt zum
einen Personalbögen in denen zweite zivile Hochzeiten oder eine
Lebenspartnerschaft angegeben werden müssen“, sagt Eva Müller. Vorgesetzte
seien zudem verpflichtet, „irreguläre Lebenssituationen“, wie wilde Ehen,
an die Personalabteilung ihres Bistums zu melden.
Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der Kirche wegen „irregulären“ Beziehungen entlassen wurden. „Bekannt wi…
das ja nur, wenn derjenige sich entscheidet an die Öffentlichkeit zu
gehen“, so Eva Müller. So gab es in den vergangenen Jahren den Fall einer
Kindergartenleiterin in Königswinter oder den einer lesbischen Erzieherin
in Ulm. Öffentlich wird das alles meist nur dann, wenn Betroffene ein
staatliches Gerichtsverfahren anstrengen wie zuletzt etwa ein Chefarzt in
Düsseldorf oder ein Organist in Essen.
Eva Müller schildert in ihrem Buch in extenso den Fall von Peter Otten und
Elke Rogosky. Otten ist katholisch und arbeitete zunächst als
Pastoralreferent, dann als geistlicher Leiter der katholischen Jugend im
Erzbistum Köln. Rogosky ist evangelisch und geschieden. Sie kommen 2007
zusammen, heiraten aber nicht. Zuerst verheimlicht er seine Beziehung zu
ihr bei seinem kirchlichen Arbeitgeber, später will das Paar lieber seine
Beziehung öffentlich machen.
Eine direkte Drohung, entlassen zu werden, gab es nicht. „Das steht so im
Arbeitsvertrag, da muss niemand drohen“, erklärt Eva Müller. In ihrem Buch
berichtet Peter Otten, dass ein Vorgesetzter zu ihm gesagt habe, sobald
seine Beziehung zu Elke Rogosky öffentlich werde, könne er nichts mehr für
ihn tun. „Will heißen, dann kommt die Kündigung“, sagt Eva Müller. Um
wieder heiraten zu können, und zwar kirchlich, denn nur das sichert ihrem
Partner den Job, strengt Elke Rogosky bei einem kirchlichen Gericht ein
Verfahren an, um die erste Ehe zu annullieren.
## Mehr als drei Jahre Kampf
Das ist besonders grotesk, da Elke Rogosky evangelisch getauft und getraut
wurde. Außerdem ist sie gar keine katholische Arbeitnehmerin. Ihre erste
Ehe hatte sie aber 1989 mit einem Katholiken geschlossen, nur dank einer
katholischen Ausnahmeregelung. Deshalb ist für sie das katholische
Kirchengericht zuständig. Das zeigt sich irgendwann gnädig: Nach
dreieinhalb Jahren eines juristischen Kampfes mit Zeugenaussagen,
Glaubwürdigkeitsexpertisen und immensem Briefverkehr wird ihre erste Ehe
annulliert.
Das kirchliche Gericht glaubt Elke Rogoskys Argumentation, dass sie
innerlich diese Ehe nur mit Vorbehalt abgeschlossen und eine Trennung immer
im Kopf gehabt habe. Außerdem habe sie für sich de facto um ihrer
beruflichen und finanziellen Unabhängigkeit willen ausgeschlossen, in
dieser Ehe Kinder zu kriegen – beides Gründe für eine Eheannullierung.
Andere Gründe sind etwa eine nicht „ausreichende Reife“ oder eine nicht
„ausreichende seelische Stabilität“ zum Zeitpunkt der Trauung. Für nichtig
kann eine Ehe auch dann erklärt werden, wenn das Ehepaar nicht seiner
Pflicht nachkommt, Geschlechtsverkehr zu vollziehen, bei dem es zu einer
Schwangerschaft kommen kann – also wenn das Paar künstlich verhütet.
## Seltsames Happy End
Rund 80 Prozent solcher Verfahren, so zitiert Eva Müller einen Experten,
enden mit einer Nichtigkeitserklärung. Die Paare können (wieder) kirchlich
heiraten. Ein seltsames Happy End. Aber vieles ist seltsam, ja absurd in
diesem Buch. Etwa, dass Elke Rogosky sich 2010 katholisch taufen lässt,
weil sie die Begeisterung Peter Ottens für seine Arbeit ansteckt.
Um die Härte und Konsequenz des kirchlichen Verfahrens noch zu
verdeutlichen, schneidet Eva Müller diese Eheprozesse mit dem Verfahren
gegen einen der Haupttäter im kirchlichen Missbrauchsskandal der
Bundesrepublik gegen. Der Ex-Jesuit Peter R., früher Lehrer am Berliner
Canisius Kolleg, soll sich jahrelang an über hundert Schülern vergangen
haben, die meisten Fälle liegen Jahrzehnte zurück.
Nach der Recherche Eva Müllers sind die einschlägigen Akten, die die Kirche
an die staatlichen Stellen weitergibt, unvollständig. Da auch die
Staatsanwaltschaft versagt und die Brisanz des Falls übersieht, kommt es
nur zu einem nicht öffentlichen Kirchenprozess. Hier erhält Peter R.
lediglich eine Strafe von 4.000 Euro. Er darf aber seine Pension behalten –
der Staat selbst fordert lächerliche 500 Euro von ihm. Denn fast alle
seiner Taten gelten als verjährt.
Milde beim Missbrauch durch Priester – Strenge beim Scheitern der Ehe von
Laien. Das ist, was Eva Müller ankreidet.
Eva Müller wurde katholisch getauft und erzogen. Die Journalistin betont:
Sie wolle keinesfalls als „Kirchengegnerin“ unterwegs sein. Nur zeigen, was
ist. Das sei ihre Haltung. „Mehr braucht es auch nicht“, sagt sie.
13 Jan 2017
## AUTOREN
Philipp Gessler
## TAGS
katholisch
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