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# taz.de -- Sexualisierte Gewalt in der Kirche: Am Anfang war die Aufarbeitung
> Die Katholische Kirche startet ihre erste weltweite Missbrauchskonferenz
> im Vatikan. Ergebnisse kann man danach nicht erwarten.
Bild: Größer als die Reformation? Diskussion um sexualisierte Gewalt in der k…
Klar ist: Es wird nichts dabei rauskommen – zumindest für alle, die am Ende
so etwas wie bindende Beschlüsse oder zumindest kluge Papiere erwarten. Ab
dem heutigen Donnerstag werden rund 190 wichtige Männer und Frauen aus
aller Welt, in erster Linie die Vorsitzenden der nationalen
Bischofskonferenzen, in der neuen Synodenaula des Vatikan zur [1][ersten
weltweiten Missbrauchskonferenz] zusammenkommen. Bis zum
Abschlussgottesdienst am Sonntag wollen sie dem „Monster in die Augen
schauen“, wie es der Pressesprecher des Heiligen Stuhls, Alessandro
Gisotti, gesagt hat.
Das ist fast noch untertrieben. Denn die größte Glaubensgemeinschaft der
Welt mit ihren rund 1,2 Milliarden Mitgliedern wird in einem Ausmaß von dem
weltweiten Missbrauchsskandal erschüttert, der nur noch historisch genannt
werden kann. Der hoch angesehene Münsteraner Kirchengeschichtler Hubert
Wolf sagte dazu kürzlich: „Ich halte diese Krise, wenn ich sie historisch
anschaue, für größer als das, was in der Reformation passiert ist.“ Denn
die Kirche lebe vom Glauben und von ihrer Glaubwürdigkeit. „Eine Religion,
die keine Glaubwürdigkeit hat, ist am Ende.“
Es wird im Vatikan vor allem darum gehen, die Führung der katholischen
Kirche mit zweierlei zu konfrontieren: dem Thema [2][Missbrauch von Kindern
und Nonnen durch Geistliche]. Und der Verantwortlichkeit der Hierarchie,
wie es der frühere Vatikansprecher und Moderator der Konferenz, Pater
Federico Lombardi, noch vornehm ausdrückt. „Vertuschung durch die
Hierarchie“ trifft es in der Regel besser.
Zur Erinnerung: Allein in Deutschland haben laut Aktenlage in den
vergangenen rund 70 Jahren mindestens 1.670 Kleriker Missbrauchstaten
vorgenommen, wie [3][die umfangreiche MHG-Studie] im letzten Herbst
ermittelt hat. Die geweihten Täter haben in Deutschland über 3.600 Kinder
und Jugendliche missbraucht. Sicher ist, dass die Zahlen in Wirklichkeit
weit höher liegen, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch
die Quote der Täter im geistlichen Stand, rechnerisch 4,4 Prozent, dürfte
nur das Minimum darstellen. Ähnliche Studien in den USA oder Australien
gingen eher von sieben oder mehr Prozent missbrauchender Geistlicher aus.
## Vatikan bemüht sich um Transparenz
In den meisten Ländern stehen die nationalen katholischen Kirchen noch ganz
am Anfang der Aufarbeitung. Deshalb hat die Missbrauchskonferenz auch eher
einen Workshop-Charakter. Es gibt täglich drei Referate, eines davon hält
der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. Es
gibt Fragerunden und Gespräche in elf Kleingruppen sowie einen
Bußgottesdienst. Am wichtigsten aber werden die Zeugnisse von
Missbrauchsopfern sein. Manche der meist traumatisierten Betroffenen werden
per Videokonferenz zugeschaltet.
Mit besonderer Spannung werden die Auftritte von Linda Ghisoni von der
päpstlichen Behörde für Familie und Leben erwartet – und das Referat der
nigerianischen Generaloberen Veronica Openibo von der „Gesellschaft des
Heiligen Kindes Jesus“. Dazu passt das jüngste öffentliche Eingeständnis
von Papst Franziskus, dass es den Missbrauch auch von Ordensfrauen gab und
gibt.
Gerade der afrikanische Kontinent wird noch viel leisten müssen. Denn dort
gibt es viele Bischöfe, die den Missbrauch als Spezialproblem eines
angeblich dekadenten Nordens und Westens der Weltkirche diffamieren. Motto:
So etwas gibt es bei uns nicht. Dabei bemüht sich der Vatikan etwas um
Transparenz. [4][Eine Internetseite] wird über die Konferenz informieren.
## Hochburg der Doppelmoral
Schon vor der Konferenz war der epochale Kampf zwischen Reaktionären und
Reformern in der Weltkirche zu beobachten. Kardinal Gerhard Ludwig Müller,
bis 2017 als Präfekt der Glaubenskongregation so etwas wie der Cheftheologe
und oberste Glaubenshüter des Vatikan, meldete sich zu Wort, was er derzeit
dauernd tut, und kritisierte mal wieder den Papst durch die Blume.
Zur Konferenz wusste er nur extrem Schlichtes und Homophobes beizutragen,
etwa: „Wer sich nicht beherrschen kann, ist für das Priesteramt nicht
geeignet. Schönreden nützt da nichts. Übrigens bin ich der Meinung, dass
kein Mensch gottgewollt als Homosexueller geboren wird.“ Gleichzeitig wird
derzeit in 20 Ländern und zehn Sprachen das Enthüllungsbuch des
französischen Journalisten Frédéric Martel veröffentlicht, das aufzeigt,
wie sehr der Vatikan einer homosexuellen Hochburg der Doppelmoral gleicht.
Die Regel: Je schwuler die Kurienkardinäle, desto homophober ihre
öffentlichen Äußerungen.
Der Kulturkampf im Vatikan kreist um die Themen Gender, Frauenpriestertum,
Zölibat, Abtreibung, Missbrauch und Homosexualität. Nicht zufällig schossen
Müllers reaktionäre Freunde, US-Kardinal Raymond Leo Burke und der
emeritierte deutsche Kardinal Walter Brandmüller, gegen die Konferenz.
## „Das System ist gescheitert“
In einem offenen Brief an den Papst griffen sie dessen These an, der
Klerikalismus sei die Hauptursache sexuellen Missbrauchs in der
katholischen Kirche. Nein, so Brandmüller und Burke: „Die wahre Ursache
dafür ist nicht Machtmissbrauch durch Priester, sondern Abkehr von der
Wahrheit des Evangeliums.“
Dem gegenüber stehen nicht ganz zufällig einige deutsche Bischöfe. Der
Mainzer Bischof Peter Kohlgraf analysierte kühl, „das System ist infrage
gestellt, das System hat versagt“. In zehn Jahren könnte „die Verpflichtung
zur Ehelosigkeit als einzigem Weg“, so der Bischof, „möglicherweise der
Vergangenheit angehören“ – übrigens eine Entscheidung, die nationale
Bischofskonferenzen allein treffen können. Der Magdeburger Bischof Gerhard
Feige zeigte sich zuletzt sicher, dass das Frauenpriestertum in der
katholischen Kirche kommen werde.
Wie ernst der Papst diese Konferenz nimmt, zeigte sich in den vergangenen
Tagen, als er dem Missbrauchstäter Kardinal Theodore Edgar McCarrick neben
allen hohen kirchlichen Ämtern nun auch das Priesteramt entzog. Der frühere
Erzbischof von Washington ist der erste Kardinal der katholischen Kirche,
der wegen Taten sexualisierter Gewalt im Amt in den Laienstand versetzt
wurde.
21 Feb 2019
## LINKS
[1] /Sexualisierte-Gewalt-in-der-Kirche/!5568713
[2] /Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche/!5316626
[3] https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-…
[4] http://www.pbc2019.org
## AUTOREN
Philipp Gessler
## TAGS
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