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# taz.de -- Sexualisierte Gewalt in der Kirche: Die ewig blinde katholische Kir…
> Papst Franziskus will versuchen, Übergriffe von Priestern aufzuklären.
> Doch extrafromme Hardliner torpedieren die Reformen.
Bild: Sexualisierte Gewalt in der Kirche wurde jahrelang ignoriert
Man wird immer irgendwelche weißhaarigen Kardinäle finden, die es leugnen
und alles runterspielen würden – aber die katholische Weltkirche ist in
heller Aufregung. In rund zwei Wochen treffen sich auf Einladung von
[1][Papst Franziskus] die Vorsitzenden der nationalen Bischofskonferenzen
in Rom, um wie einst der Apostel Thomas den Finger in die Wunde zu legen,
die die Glaubensgemeinschaft von rund 1,2 Milliarden Menschen derzeit an
den Rand ihrer Existenz bringt.
Bischöfe aus aller Welt wollen beraten, wie sie mit dem Missbrauchsskandal
umgehen wollen, der offen oder hinter vorgehaltener Hand in allen Ländern
der Erde diskutiert wird, in denen die katholische Kirche eine Rolle
spielt. Selbst Island mit seinen nur rund 12.000 katholischen Gläubigen
hatte vor ein paar Jahren einen [2][Skandal um sexualisierte Gewalt] an
Minderjährigen.
Da der Vatikan auch ein frühneuzeitlicher Palast ist, zu dem die Nöte der
katholischen Welt nur sehr gedämpft dringen, war es in den vergangenen
Wochen umso wichtiger, dass die Missbrauchsbombe dort nun plötzlich
mittendrin explodiert ist. Ausgerechnet ein Abteilungsleiter der
Glaubenskongregation, der österreichische Pater Hermann Geißler, musste den
Präfekten der früheren Heiligen Inquisition um seine Entpflichtung bitten,
da ihm von einer Ex-Ordensfrau mehr als glaubhaft vorgeworfen wurde, er sei
ihr gegenüber 2009 im Beichtstuhl übergriffig geworden.
Das ist auch kirchenpolitisch brisant. Denn Pater Geißler ist Mitglied der
konservativen geistlichen Gemeinschaft „Das Werk“ (FSO), ihn hatte der
damalige Leiter der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, 1993
in seine Behörde geholt und ihn dann, als Papst Benedikt XVI, zum
Abteilungsleiter für Lehrfragen befördert. Das bedeutet: Die Galionsfigur
der Hardliner im Vatikan, der nun emeritierte Papst Benedikt, hat ganz
offensichtlich einen mutmaßlichen Täter aus einer frommen und lange
geförderten Vereinigung in eine theologische Schaltstelle der Weltkirche
gehievt, wo liberale Theologinnen und Theologen in aller Welt gemaßregelt
werden (können) – und das nach einer sehr wahrscheinlichen Missbrauchstat,
der ausgerechnet eine gehorsame deutsche Nonne zum Opfer fiel.
## Der Skandal ist im Kern der Kirche angekommen
Das ist, nach der Ende vergangenen Jahres erfolgten Verurteilung wegen
Kindesmissbrauchs des australischen Kurienkardinals George Pell, der Nummer
drei im Vatikan, das nächste Erdbeben, das den Vatikan erschüttert.
Zeitgleich begann im Herbst vergangenen Jahres auch in Polen, dem
hartnäckigen Kernland des reaktionären Katholizismus, die Aufarbeitung des
dort lange verdrängten Missbrauchsskandals – angestoßen vor allem durch den
Film Der Klerus von Wojciech Smarzowski.
Der Regisseur hat über Benedikts polnischen Vorgänger Papst Johannes Paul
II, mittlerweile heilig gesprochen, gesagt: „Unser Papst ist dafür
verantwortlich, dass das Thema Pädophilie in der Kirche unter der Decke
gehalten wurde.“
In Frankreich, der „ältesten Tochter der Kirche“, muss sich derzeit der
Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin, vor Gericht verantworten.
Ihm wird vorgeworfen, die Missbrauchstaten eines Priesters jahrelang
vertuscht zu haben. Es ist nicht mehr anders zu beschreiben: Der
Missbrauchsskandal ist mittlerweile im Kern der katholischen Weltkirche
angekommen, und zwar in den obersten Rängen und auch in den konservativsten
Kreisen, die diesen Skandal stets am liebsten als Fantasie liberaler
Kirchenreformer abtun wollten.
## Absurde Rechtfertigungsversuche
Da konnte es nicht verwundern, dass der von Papst Franziskus vor zwei
Jahren gefeuerte frühere Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard
Ludwig Müller, sich zu Wort meldete – wie er es immer tut, wenn die reine
Lehre in Bedrängnis gerät und seine Hardliner-Buddies in die Defensive
geraten. Kurz vor Weihnachten letzten Jahres erklärte er in einer
absurd-zynischen Volte, der sexuelle Missbrauch werde von manchen Akteuren
innerhalb der Kirche missbraucht, um eigene Interessen durchzusetzen: „Es
ist klar, dass diese Verbrechen instrumentalisiert werden, um eine andere
Agenda zu befördern“, sagte Müller. „Man will das sakramentale Priestertum
mit der Missbrauchskrise aus den Angeln heben.“
Die im vergangenen Herbst in Deutschland [3][veröffentlichte
Missbrauchsstudie] hatte festgestellt, dass ein komplexes Wechselspiel
zwischen Zölibat, Homophobie, Machtmissbrauch und klerikaler Überhöhung
offenbar eine wesentliche Voraussetzung für sexualisierte Gewalt und ihre
Vertuschung in der katholischen Kirche ist.
Vor wenigen Tagen hat der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf mit wenigen
anderen Bischöfen bei einer Sitzung des „Ständigen Rats“ der katholischen
Oberhirten in Würzburg seine Mitbrüder zu überzeugen versucht, auf
nationaler Ebene eine Synode zum Missbrauch einzuberufen – mit Beteiligung
von Laien, auch von Frauen. Doch dieser Antrag fand keine Mehrheit im
deutschen Episkopat. Das lässt für die Missbrauchskonferenz der führenden
Bischöfe der Welt in Rom nichts Gutes erahnen.
7 Feb 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Philipp Gessler
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