# taz.de -- Debatte in Bremen zur Missbrauchsstudie: Ist ja eh alles schmutzig | |
> Der Sexualwissenschaftler Wolfgang Weig referierte auf Einladung des | |
> katholischen Gemeindeverbandes Bremen über Auswirkungen des Zölibats. | |
Bild: Laut einer Seelsorgestudie leiden 30 Prozent von ihnen unter dem Zölibat… | |
BREMEN taz | Der katholische Gemeindeverband beschäftigt sich mit dem | |
Zölibat und hatte dafür am Donnerstagabend den Psycho- und | |
Sexualtherapeuten Wolfgang Weig im Infozentrum „AtriumKirche“ zu Gast. Das | |
lag natürlich nicht an göttlicher Eingebung, sondern war eine Reaktion auf | |
die aktuellen Studienergebnisse zum sexuellen Missbrauch in der | |
katholischen Kirche. | |
3.677 betroffene Kinder und 1.670 beschuldigte Kleriker sind da benannt, | |
„und die Dunkelziffer ist sicher viel höher“, sagte einleitend Hans-Peter | |
Ostermair, Leiter des Infozentrums. Als Reaktion habe er „eine große Wut | |
wahrgenommen, es gab einen Aufschrei – das habe ich noch nie erlebt“. Die | |
Frage laute nun, wie die Kirche damit umgehen soll. | |
Dafür braucht es Ursachenforschung – und geforscht hat Weig umfassend. Der | |
Professor für Psychopathologie, Salutotherapie und Sexualwissenschaft an | |
der Uni Osnabrück war viele Jahre Direktor des Zentrums für seelische | |
Gesundheit der christlich orientierten Osnabrücker Niels-Stensen-Kliniken, | |
einer kleinen Privatklinik für Psychotherapie, Psychosomatik und | |
Psychiatrie, deren Klientel zu einem guten Teil aus Klerikern besteht. Weig | |
hat gemeinsam mit vier weiteren pastoralpsychologisch ausgerichteten | |
Wissenschaftlern eine repräsentative „Seelsorgestudie“ verfasst. | |
Zwischen 2012 und 2014 wurden dafür 8.600 hauptamtlich in der katholischen | |
Kirche angestellte Seelsorgende zu Themen wie psychosomatische Gesundheit, | |
Lebens- und Arbeitszufriedenheit, Persönlichkeit, Beziehung und Sexualität | |
befragt. | |
„30 Prozent gaben an, unter dem Zölibat zu leiden“, sagte Weig. Zehn | |
Prozent davon hätten sich einen übermäßigen Pornografie-Konsum attestiert, | |
„und sehr groß war der Anteil der Priester mit gestörter | |
Bindungsfähigkeit“. Interessant sei der Vergleich zu verheirateten Diakonen | |
oder Pastoralreferenten gewesen: Die hätten hinsichtlich der | |
Bindungsfähigkeit sogar besser abgeschnitten als vergleichbare | |
Bevölkerungsgruppen: „Die Kirche scheint also nicht das Hauptproblem zu | |
sein.“ | |
## Doppelmoral in der Kirche | |
Ebenfalls ungefähr ein Drittel der Priester komme mit dem Zölibat gut | |
zurecht, so Weig: „Sie haben ihn beispielsweise bewusst als eine Form von | |
Freiheit gewählt, oder ihnen waren Sexualität oder enge Bindungen noch nie | |
wichtig.“ Diese Gruppe würde wahrscheinlich auch ohne den Zwang zur | |
Enthaltsamkeit zölibatär leben. Und der Rest? | |
Der lege, sagte Weig, genauso wie viele Moraltheologen, teilweise den | |
Begriff „Zölibat“ so aus, dass Sex „mit der rechten Gesinnung“ erlaubt… | |
oder wenigstens „alles unterhalb der Schwelle des vollständigen Koitus“. | |
Das in Einklang mit dem Kirchenrecht zu bringen, das Sex außerhalb der Ehe | |
sowie die Ehe für Priester verbietet, könne man nur als Doppelmoral | |
bezeichnen: „Und wenn die in Richtung des Vertretbaren gehen würde, wäre | |
das auch noch in Ordnung, aber wenn das jemanden betrifft, der abhängig und | |
nicht gleichberechtigt ist, ist das keineswegs in Ordnung“, so Weig. | |
Dass genau dies aber oft geschehen ist und womöglich noch geschieht, liege | |
an mangelnder Unterscheidung: „Sex ist ein absolutes Tabuthema, er ist | |
bähbäh – egal mit wem: Es ist ja ohnehin alles schmutzig.“ | |
Aus der Missbrauchsstudie sei nicht ersichtlich, dass es sich bei den | |
Tätern um strukturelle Pädophile handele, „die Kinder waren eher so etwas | |
wie Ersatzobjekte“. Hinzu kämen, wie meist im Kontext des sexuellen | |
Missbrauchs, begünstigende Macht- und Abhängigkeitsstrukturen.Für Weig muss | |
sich in der Priester-Ausbildung viel ändern. Laut der Seelsorgestudie waren | |
bei 80 Prozent der Befragten Themen wie Intimität und Sexualität nicht Teil | |
ihrer Ausbildung. | |
In verschiedenen Kirchengremien sei der Zölibat Gesprächsstoff, aber | |
zumindest von Teilen der Deutschen Bischofskonferenz werde seine | |
Abschaffung vehement abgelehnt: „‚Da tun sich die Pforten zur Hölle auf‘, | |
soll da jemand gesagt haben“, so Weig. | |
Aber: Sogar der Papst habe bereits signalisiert, nichts gegen „viri | |
probati“ zu haben, also gegen erfahrene, verheiratete Männer als Priester. | |
Was nützt das aber, wenn der gleiche Papst Homosexualität und die | |
Selbstbestimmung der Frau verteufelt? „Roms Meinung ist nicht die Meinung | |
der katholischen Laien“, sagte Weig. | |
Angesichts einiger Reaktionen seiner Zuhörerschaft darf das bezweifelt | |
werden: Ob man nicht das Mindestalter der Ministranten auf 14 Jahre legen | |
könne, „um die Priester vor sich selbst zu schützen“, wollte da eine Frau | |
wissen. | |
Ein anderer Zuhörer zeigte sich schockiert über Weigs Aussage, nach der | |
vermutlich 50 Prozent der Priester homosexuell seien: Ob man das nicht im | |
Vorfeld „abfragen und verhindern“ könne. Wozu nach Rom blicken, wo die | |
Rückständigkeit doch so nahe ist? | |
9 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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