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# taz.de -- Betroffener über Missbrauch in der Kirche: „Die Kirche muss zuh�…
> Matthias Katsch, Gründer der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“,
> fordert: Schluss mit dem Zölibat und anderen überkommenen
> Sexualvorstellungen der Kirche.
Bild: Macht und Hierarchie: Geistliche bei einer Bischofsweihe in Hildesheim
taz: Herr Katsch, Sie waren 2010 einer der ersten Betroffenen, die
[1][sexuellen Missbrauch] an einem Jesuitenkolleg öffentlich gemacht haben.
Damals war viel die Rede von „Einzelfällen“. Laut einer vorab bekannt
gewordenen Studie der Katholischen Kirche haben mindestens 1670 Priester
und Ordensleute sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige verübt. Im
untersuchten Zeitraum von 1946 bis 1994 soll es mindestens 3677 Betroffene
geben. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie die Zahlen gesehen haben?
Matthias Katsch: Das war ein bitterer Moment. Vor allem deshalb, weil mein
Fall und der an anderen Jesuiteneinrichtungen in diese Studie nicht mal
eingeflossen sind. Die Studie beschäftigte sich nur mit den Bistümern, aber
nicht mit den insgesamt 400 katholischen Ordensgemeinschaften, die viele
Schulen, Kinderheime, Internate betreiben. Trotzdem bin ich froh, dass das
Ausmaß sexueller Gewalt in der Kirche der Öffentlichkeit zumindest
andeutungsweise bekannt wird.
Die Verfasser der Studie sprechen sogar davon, dass ihre Zahlen nur „eine
untere Schätzgröße seien. Ist in Wirklichkeit also alles noch schlimmer?
Wir reden hier über einen Ausschnitt, der noch nicht mal das gesamte
Hellfeld abbildet. Über das Dunkelfeld kann man nur spekulieren. Es gibt
gute Gründe, ein Vielfaches anzusetzen. Da die Forscher nicht selbst Zugang
zu den Originalakten hatten, und nur von einem Drittel der angefragten
Bistümer überhaupt Material bekommen haben, ist davon auszugehen, dass
vieles gar nicht erfasst wurde – auch weil Akten geschreddert oder
manipuliert wurden, Hinweise darauf werden auch im Bericht erwähnt Eine
Vollständigkeit der Akten würde man auch nicht erwarten von einer
Organisation, die bisher kein großes Interesse für die Opfer hatte und
wenig Interesse an Aufklärung der Taten.
Hinweise auf manipulierte oder vernichtete Akten, Forscher, die nicht
selbst in den Originalakten recherchieren durften, dazu der Befund, dass
nur in jedem dritten angezeigten Fall überhaupt ein Verfahren eingeleitet
wurde – hat die [2][Katholische Kirche] gar nichts dazu gelernt im Umgang
mit Missbrauchsfällen?
Wenn wir früher polemisch von Täterschutzorganisation gesprochen haben:
Diese Einschätzung ist durch den Bericht nun belegt. Es gibt aber doch
einen Bewusstseinswandel: Man bemüht sich verstärkt um Prävention. Aber das
alte System, das Missbrauch und Vertuschung begünstigte, ist noch immer
intakt. Extremes Geheimhaltungsbedürfnis, Intransparenz, großes Macht-und
Kontrollbewusstsein, all das kennzeichnet die Kirche weiter. Dass die
Bischöfe nach Bekanntwerden des Berichts allen Ernstes erklärten, bis zum
25. nicht mit Journalisten reden wollen. Es erstaunt mich, dass die
Öffentlichkeit so ein arrogantes Verhalten hinnimmt!
Fragestellung der Untersuchung war ja, ob es Strukturen und Dynamiken in
der Katholischen Kirche gibt, die sexualisierte Gewalt begünstigen. Das
Ergebnis ist relativ klar: Diözesan-und Ordenspriester, die im Zölibat
leben, sind wesentlich häufiger Missbrauchstäter als Diakone, die das nicht
müssen. Ist also der Zölibat schuld?
Der Zölibat führt nicht automatisch zu Missbrauch, ist aber ein
wesentlicher Faktor dafür, dass Priester übergriffig werden, – weil sie die
ihnen auferlegte Art zu leben nicht erfüllen können. Und dass der
Missbrauch nicht geahndet wird –, weil es nicht sein darf. Der kirchliche
Umgang mit und die Kontrolle von Sexualität, die Verlogenheit in diesem
Themengebiet, die extremen Ansprüche an die Mitarbeiter – all das führt zu
dieser extremen Doppelmoral. Und zu einer extremen Loyalität des Personals
gegenüber der Institution. Diese Strukturen begünstigen Machtmissbrauch –
der bekanntlich in sehr engem Zusammenhang steht mit sexuellen Missbrauch.
Der Knackpunkt Sexualität muss endlich diskutiert werden.
Was müsste sich sonst noch ändern in den Strukturen der Kirche?
Auch die extreme Machtkonzentration bei den Bischöfen ist ein Problem.
Bischöfe entscheiden alleine darüber, ob sie die Täter versetzen, oder ihre
Taten decken. Wie sie mit Priesterkindern umgehen, mit Geschiedenen. Und
mit anderem Fehlverhalten. Qua ihrer Stellung in der Kirchenhierarchie
entscheiden sich die Bischöfe allzu oft dafür, den schönen Schein ihrer
Institution zu wahren. Und diese Entscheidungen gehen stets zu Lasten der
Opfer.
Sie kämpfen seit Jahren gegen das Verschweigen und Vertuschen von Fällen –
wie kommt die Kirche zu einer entschiedeneren Haltung zu Fehlverhalten in
den eigenen Reihen?
Sie muss lernen, den Opfern zuzuhören. Betroffene versuchen der Kirche seit
Jahren zu sagen, was sich ändern muss, aber sie werden nicht gehört. Wenn
der Papst für den Februar die Vorsitzenden der nationalen
Bischofskonferenzen in den Vatikan einbestellt, sollte er auch
Betroffenenvertreter aus allen Ländern einladen. Das wäre ein Zeichen für
einen Kulturwandel – hätte aber auch echte Effekte. Die Kirche könnte davon
profitieren, wenn sie die Betroffenen nicht mehr als Gegner betrachtet,
sondern als Experten. Was der Bericht auch zeigt: Die Kirche kann sich
nicht selbst aufarbeiten, es braucht jetzt dringend auch eine unabhängige
Aufarbeitung von außen, etwa nach dem Vorbild der Kommissionen in
Australien und in Pennsylvania, die selbst in den Akten recherchieren
dürfen. Schließlich könnte der Papst seine Machtfülle als oberster
Gesetzgeber der Kirche nutzen und eine Null-Toleranz-Politik, von der gern
geredet wird, gesetzlich verankern. Wer Kinder missbraucht, kann nicht
länger Priester sein. So einfach könnte es sein.
14 Sep 2018
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## AUTOREN
Nina Apin
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