# taz.de -- Vor 50 Jahren starb „Padre Pio“: Ein Heiliger für alle Fälle | |
> Immer mehr ItalienerInnen kennen ihre Kirchen nur noch von außen. Bei | |
> „Padre Pio“ stimmen noch die Besucherzahlen. | |
Bild: In Süditalien ist Padre Pio nahezu allgegenwärtig | |
ROM taz | Das war schon merkwürdig, damals vor nunmehr fast 30 Jahren im | |
tiefen Südwesten Sardiniens, in der Kleinstadt Arbus. Von der Wand der | |
Metzgerei blickte einer, der aussah wie ein südamerikanischer Revolutionär, | |
mit seinem langen, zotteligen Rauschebart auf den deutschen Kunden | |
herunter. Doch der Metzger stellte gleich klar, dass er alles andere als | |
linksradikal ist. „Padre Pio ist das, ein heiliger Mann, er schützt mich, | |
meine Familie, mein Geschäft“. | |
Es war die erste Begegnung mit Padre Pio. Viele, viele weitere sollten ihr | |
folgen, denn dem Kapuzinerpater mit dem Namen „der Fromme“ entkommt man in | |
Italien einfach nicht. Millionen betrachten ihn als ihren ganz persönlichen | |
Schutzpatron, und egal ob beim Schlüsseldienst, beim Bäcker, im | |
Schnellimbiss oder der Reinigung: Immer wieder hängt das Konterfei des | |
Padre an der Wand, gerne hinter der Kasse. | |
Doch auch draußen an der frischen Luft ist man nicht sicher vor ihm, von | |
Rom abwärts gibt es kaum ein Dorf in Süditalien, in dem die Bewohner nicht | |
per Spende in eine mehr oder weniger hässliche Padre-Pio-Statue, meist aus | |
Bronze, seltener aus Marmor, investiert hätten. | |
Schließlich hatte der vor einem halben Jahrhundert, am 23. September 1968 | |
im Alter von 81 Jahren Gestorbene deutlich mehr zu bieten als seine | |
Mitbrüder aus dem Kapuzinerorden. Schon in jungen Jahren, im September | |
1918, hatten sich bei ihm an beiden Händen die Stigmata, die Wundmale | |
eingestellt, ganz wie beim gekreuzigten Jesus. Gegner auch aus der Kirche | |
lästerten, es handle sich wohl um Psoriasis oder um ganz banal selbst | |
zugefügte Verletzungen. | |
## Segen für den kaputten Fiat | |
Doch Pio ließ sich nicht beirren. Und ganz wie Jesus wurde der 1887 in | |
ärmlichsten Verhältnissen in Süditalien geborene Mann, eigentlich hieß er | |
Francesco Forgione, bald durch Wunder berühmt. Natürlich, er hat Kranke | |
geheilt, aber das haben so gut wie alle Heiligen im katholischen Programm. | |
Francesco-Pio hatte mehr zu bieten. Er bekam auch die wundersame Mehrung | |
der Oblaten für die Kommunion hin, als die mal bei einer gut besuchten | |
Messe nicht reichten, und er brachte angeblich auch den völlig kaputten | |
Fiat eines Pilgers bloß durch seinen Segen zum Laufen. | |
Das machte ihn schon zu Lebzeiten unter Italiens frommen Menschen recht | |
prominent. Tagelang standen sie zu Tausenden an, im apulischen San Giovanni | |
Rotondo, um bei ihm die Beichte ablegen zu dürfen. Die Amtskirche | |
allerdings betrachtete das Treiben des von Jesus-Stigmata Versehrten mit | |
Misstrauen, brandmarkte ihn gar als „Schwindler“ und „Psychopathen“. Se… | |
Erfolg tat das keinen Abbruch – erst recht nicht in den Zeiten der auch in | |
Italien fortschreitenden Säkularisierung. | |
Nur noch 30 Prozent der Italiener können heutzutage zu den eifrigen | |
Gläubigen gezählt werden, die es regelmäßig zur Messe zieht, weitere 30 | |
Prozent bezeichnen sich zwar als Katholiken, machen aber eigentlich nicht | |
mehr mit, und unter den Jüngeren liegen die Werte dramatisch niedriger. | |
Während die Kirchen sich leeren, darf Padre Pio sich weiter über | |
Massenandrang freuen. Zu seinem Kloster, wo er auch bestattet ist, pilgern | |
jedes Jahr fast sechs Millionen Menschen. Eben das, was dem Vatikan schon | |
vor Jahrzehnten nicht schmeckte, macht ihn wohl so attraktiv: Bei ihm | |
fühlen sich Menschen nicht bloß mit ihrem Glauben, sondern mit ihrem | |
Aberglauben an einen, der es schon richten wird, gut aufgehoben. Das trug | |
ihm 1999 die Selig-, dann schon 2002 die Heiligsprechung ein. | |
Selbstverständlich, dass Pio am kommenden Sonntag gebührend gefeiert wird: | |
Es gilt seinen 50. Todestag zu begehen, praktischerweise im Doppelschlag | |
mit dem 100. Jubiläum des Auftauchens der Wundmale. Eine Sonderbriefmarke | |
bekommt der Heilige von der italienischen Post, und natürlich ein | |
feierliches Hochamt, mit Kardinälen, Bischöfen – und Italiens | |
Ministerpräsident Giuseppe Conte. | |
22 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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