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# taz.de -- Einfluss der 68er auf die Kirche: Öffne sich, wer kann
> Die katholische Kirche reformieren? Das versuchen Theologen seit
> Jahrhunderten. Erst die 68er brachten Schwung in die Amtskirche.
Bild: Zum Katholikentag plus wird eingeladen, wer dem „normalen“ Katholiken…
MÜNSTER taz | „Die wäre sicher nicht eingeladen worden, die hat sich bei
den Bischöfen Feinde gemacht. Der auch nicht, das ist ein schwuler
Theologe.“ Annegret Laakmann fährt mit dem Finger über das Programmheft zum
diesjährigen Katholikentag in Münster. Zu jedem Namen kann sie etwas sagen.
Es sind die Unangepassten und Unbequemen im Umfeld der katholischen Kirche,
die im Programm des „Katholikentags plus“ stehen.
Dank Laakmanns Laienbewegung „Wir sind Kirche“ und zwei weiteren
Reformgruppen stehen den Besucher*innen auch Veranstaltungen offen, die sie
auf den 680 Seiten des offiziellen Programms so nicht finden werden: Auf
ihnen erzählen Befreiungstheologen aus Lateinamerika von ihrem Kampf für
soziale Gerechtigkeit. Feministische Theolog*innen begründen, warum sie die
untergeordnete Rolle der Frau in der Amtskirche nicht hinnehmen können.
Priester und Laien streiten über Verschwendungssucht und sexuelle Gewalt in
deutschen Bistümern.
„Diese Stimmen sind sehr wichtig für die katholische Kirche“, sagt Annegret
Laakmann. Die ersten beiden „Katholikentage plus“ – 2012 in Mannheim und
2014 in Regensburg – hat die 74-Jährige mit vorbereitet. Vor zwei Jahren
hat Laakmann, eine Frau mit heiserer Stimme und wachem Blick, die
Organisation abgegeben. Dieses Jahr ist sie lediglich mitverantwortlich für
den Abschlussgottesdienst.
Laakmann sitzt im Schatten vor der Erlöserkirche im Zentrum Münsters, einem
der Veranstaltungsorte des „Katholikentags plus“, und erzählt. Rund 25
Podien und Workshops bieten die Reformgruppen an, dazu noch 20 offene
Gespräche zu aktuellen Themen. „Es ist irre, dass wir heute noch über den
Zölibat oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau reden müssen. Das
haben wir schon vor 50 Jahren gefordert.“
„Mit so einer Kirche wollte ich nichts am Hut haben“
1968 war Annegret Laakmann 24 Jahre alt. Wie viele ihrer Generation wollte
sie von der Frömmigkeit, mit der sie im erzkatholischen Münsterland
aufgewachsen war, nichts mehr wissen. Von der Erschütterung, die im selben
Jahr die lateinamerikanischen Bischöfe auslösten, als sie sich im
kolumbianischen Medellín radikal auf die Seiten der Armen schlugen, bekam
sie ebenso wenig mit wie von dem Beben, das das Zweite Vatikanische Konzil
in Rom (1962–65) ausgelöst hatte: Die Kirche sollte sich stärker den
Bedürfnissen der modernen Welt anpassen, verlangte Papst Johannes XXIII.
Doch die politische Weltlage erschien der jungen Studentin drängender als
die Liturgiereform oder das neue – aus Sicht des Vatikan revolutionäre –
Selbstverständnis der Kirche als „Volk Gottes“: Der Vietnamkrieg der USA
und der Tod Benno Ohnesorgs in Berlin erzürnten viele Linke, 1968 kamen das
Attentat auf Rudi Dutschke und die Niederschlagung des Prager Frühlings
hinzu.
In diese Zeit, im August 1968, platzte dann die Enzyklika „Humane Vitae“.
In ihr verbot Paul VI. – der Nachfolger des „Konzilpapstes“ Johannes – …
Einnahme künstlicher Verhütungsmittel. „Wir haben uns totgelacht“, erinne…
sich Laakmann. „Mit so einer Kirche wollte ich nichts am Hut haben“.
Wenn ihr damals jemand erzählt hätte, dass sie sich noch jahrzehntelang für
die Gleichstellung der Frau in der katholischen Kirche engagieren sollte,
und eine bundesweite Schwangerschaftskonfliktberatung sowie ein Nottelefon
für Opfer sexueller Übergriffe aufbauen würde – sie hätte es nicht
geglaubt.
Die Kirche politisieren
Über das gläubige Umfeld ihres Mannes bekam Laakmann mit, was junge
Kirchenmitglieder umtrieb: die Zweifel am Zölibat. Der Wunsch nach einer
politischen Kirche. Einer, die sich für Frieden und soziale Gerechtigkeit
in der ganzen Welt einsetzt. Das Kirchenvolk ist viel weiter als der
Klerus, staunte Laakmann. Wie weit, zeigte sich im September 1968 auf dem
Katholikentag in Essen, wo katholische Reformgruppen ihren Unmut vor allem
über die „Pillen-Enzyklika“ freien Lauf ließen.
„Der gesellschaftliche Protest im Jahr 1968 hat die zarten Reformschritte
in der katholischen Kirche radikalisiert“, sagt der Münsteraner
Kirchenhistoriker Hubert Wolf. „Eine Radikaldemokratisierung der Kirche
ging aber selbst denen, die am Konzil mitgearbeitet haben, zu weit.“ Dass
der damalige Dogmatikprofessor Joseph Ratzinger von Theologiestudenten aus
Tübingen vertrieben wurde, ist für Wolf ein klares Zeichen dafür. Ratzinger
zählte zu der Zeit als charismatischer Reformer.
„Im Theologiestudium habe ich ihn noch angehimmelt“, erzählt Norbert Arntz.
„Dann entdeckte ich die Theologie von Johann Baptist Metz“. Arntz –
randlose Brille, Lachfalten um die Augen – empfängt im Institut für
Theologie und Politik (ITP), keine zehn Gehminuten vom Münsteraner
Hauptbahnhof.
Das Institut ist so etwas wie ein theologisch-politischer Versuch, den
Arntz mit anderen kritischen Theologen wagte: eine Mischung aus Bibliothek,
unabhängiger Forschungseinrichtung und Treffpunkt für soziale Bewegungen.
Das Netzwerk Kirchenasyl Münster hat hier seine offizielle Anschrift. In
den Regalen stehen die Werke südamerikanischer Befreiungstheologen: Gustavo
Gutiérrez, Ernesto Cardenal, Óscar Romero. Manche Schriften hat Arntz
selbst ins Deutsche übersetzt.
Eine Kirche für die Leidenden
Wer den katholischen Pfarrer hier besucht, erkennt, wie sehr ihn der
Fundamentaltheologe Metz prägte. Denn Metz’ „Neue Politische Theologie“
richtete den Blick weg von den Schuldigen und hin zu den Leidenden. Diese
Lehre politisierte den angehenden Priester. „Ist es gerecht, wenn einem
Diktator die Schuld vergeben wird, seine Opfer aber keinen Augenblick die
Aufmerksamkeit der Kirche verdienen?“
Arntz begehrte auf. Einmal fuhr er einem herablassenden Gesandten aus Rom
über den Mund. Bei seiner Priesterweihe 1970 wurde er getadelt. Der
Leitspruch, den er sich für seine spätere Seelsorge auserkoren hat, war zu
politisch. Als junger Pfarrer fällt Arntz als „Propagandist“ für
Wehrdienstverweigerer und Anti-Atomkraft-Aktivist auf.
Was den Pfarrer Arntz mit der Feministin Laakmann verbindet: Beide wollten
eine andere Kirche. Laakmann kämpfte dafür von außen, Arntz von innen. Es
dauerte jedoch bis zum Katholikentag 1980 in Berlin, bis sich die
verschiedenen Gruppierungen – darunter die Arbeitsgemeinschaft Priester-
und Solidaritätsgruppen (AGP), der Bensberger Kreis und die Leserinitiative
Publik – für ihre gemeinsame Anliegen zusammenschlossen.
Losgetreten hatte die „Oberkirche“ die Lawine selbst: 1979 entzog sie dem
Kirchenkritiker Hans Küng die Lehrerlaubnis. Fast zeitgleich verwehrte
Kardinal Ratzinger dem politischen Theologen Baptist Metz – Arntz’ Vorbild
– den Ruf auf einen Münchner Lehrstuhl. Der Protest folgte umgehend: 40
kirchenkritische Gruppen organisierten in Berlin den ersten „Katholikentag
von unten“ – der Vorläufer des „Katholikentags plus“.
Selbst der Papst sieht die Notwendigkeit der Erneuerung
Norbert Arntz, damals im Sprecherteam, freut sich noch heute, wenn er an
das überfüllte Audimax an der Freien Universität denkt, in dem die beiden
sanktionierten Theologen Küng und Metz über die Zukunft der Kirche
stritten. 10.000 Neugierige seien gekommen, sagt Arntz: „Das hat uns
gezeigt, dass es eine große Ablehnung im Kirchenvolk gegen das von oben
verordnete Einheitsdenken gibt.“
Diese Haltung hat sich das Institut für Theologie und Politik bewahrt. Es
ist nicht nur Mitveranstalter des diesjährigen „Katholikentags plus“. Zwei
Mitarbeiter*innen haben den Protest gegen die offizielle Teilnahme der AfD
in Münster mit initiiert.
Dass die katholische Kirche dringend reformiert werden muss, das ist heute
nicht nur bei vielen Gläubigen unstrittig. Selbst Papst Franziskus hat
eingeräumt, dass die Kirche über eine Änderung des Zölibats und über
weibliche Diakone nachdenken muss, um den Anschluss an die Jugend nicht zu
verlieren.
Feministin Annegret Laakman geht das nicht weit genug. „Jede Person, die
sich auf Jesus beruft, sollte zur Priesterweihe zugelassen werden.“ Die
Teile des Abschlussgottesdienstes, die sonst nur ein Priester ausführen
darf, übernehmen deshalb – alle gemeinsam.
11 May 2018
## AUTOREN
Ralf Pauli
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