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# taz.de -- Debatte Katholische Kirche: Kein Rücktritt, nirgends
> Die Kirche veröffentlicht hunderte Fälle von Missbrauch in ihren Reihen.
> Die Täter bleiben bisher anonym. Nun muss die tatsächliche Aufarbeitung
> folgen.
Bild: Die katholische Kirche ohne Machtstrukturen – ist das möglich?
Acht Männer und eine Frau hatten auf dem Podium fast zwei Stunden lang
geredet. Dann noch schnell eine letzte Frage bei der übervollen
Pressekonferenz zur [1][Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz
(DBK)] am Dienstag in Fulda: Ob denn einer der rund 60 Bischöfe an diesem
Morgen nun Verantwortung übernommen und seinen Rücktritt erklärt habe? Die
Antwort von Kardinal Reinhard Marx, dem DBK-Vorsitzenden: „Nein!“ Ende der
Konferenz.
Eine bezeichnende Episode. Die Bischöfe mögen es mehrheitlich durchaus
ernst meinen mit ihrem stets betonten Willen, nach Jahrzehnten des
kirchlichen Wegschauens, Leugnens und Schweigens endlich reinen Tisch zu
machen. Dass sie unabhängige ForscherInnen damit betrauten, den sexuellen
Missbrauch von jungen Menschen, meist Jungen, in ihrer Kirche zu
untersuchen, spricht dafür. Die letzte Konsequenz aus der erschütternden
Studie aber haben die Oberhirten gescheut: kein Rücktritt, nirgends. Haben
sie sich wirklich nichts vorzuwerfen, was es erzwänge, für sich einen
Schlussstrich zu ziehen, und sei es aus (kirchen-)politischen Gründen?
Genau dies ist eines der vielen Probleme dieser Studie, die – das sei
fairerweise gesagt – in den katholischen Kirchen Europas in ihrer Tiefe,
mit Ausnahme vielleicht Irlands, ihresgleichen sucht: Sie wurde
anonymisiert erstellt. Das heißt, es ist darin nicht zu erfahren, welcher
Pfarrer X wann und wo den Ministranten Y vergewaltigt hat und trotzdem vom
Bischof Z gedeckt und lediglich in ein anderes Dorf entsorgt wurde. Es sind
nur Zahlen, Analysen und Statistiken zu lesen. Die herzzerreißenden
Schicksale dahinter lassen sich bloß erahnen. Die Bischöfe wollten es so,
ihnen ging es darum, so betonten sie, den Missbrauch begünstigende
Strukturen zu erkennen, um in Zukunft diese abbauen zu können.
Und die WissenschaftlerInnen waren mit diesen Grenzen ihres
Untersuchungsfeldes, auch in zeitlicher und räumlicher Hinsicht (nicht alle
Bistümer wurden über den ganzen Zeitraum untersucht), einverstanden. Aber
wird dies dem drängenden Wunsch vor allem der Opfer gerecht? Nein, hat der
unermüdliche und bewundernswert faire Opfer-Vertreter Matthias Katsch
gesagt. Sie fänden ihre eigene Geschichte in dieser 356-seitigen Studie
nicht wieder. Das ist, nach so vielen Jahren des Wartens, mehr als bitter.
Es ist wie ein zweiter Schlag gegen die Opfer. Denn mehr als ihre
Geschichte und ihren Mut zum Wieder-Aufstehen haben sie nicht.
## Die Studie kann nur der erste Schritt sein
Wurden also in und mit dieser Studie die Täter ein zweites Mal geschützt –
auch durch die Tatsache, dass die WissenschaftlerInnen nur Akten erhielten,
die zuvor durch die Hände von Bistumsangestellten im Archiv gingen? Nach
Ansicht der Bischöfe geboten der Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte
ihrer Geistlichen dieses Vorgehen. Denn selbstverständlich gelten auch für
sie diese Rechte, ebenso wie die Unschuldsvermutung und die Fürsorgepflicht
der Bischöfe für ihre Pfarrer.
Außerdem stimmten die ForscherInnen auch dieser Begrenzung ihrer Studie zu.
Denn sie hatten ja das Interesse der Erkenntnis über Strukturen – kein
kriminalistisches oder juristisches Interesse. Es wäre unfair und falsch,
dies als abgekartetes Spiel abzutun. Denn Bischöfe und WissenschaftlerInnen
erhielten auch bei diesem begrenzten Studiendesign das, was sie in erster
Linie suchten: eine valide Übersicht. Dies ist gelungen, auch wenn nicht
alle Akten vorlagen und viele manipuliert und vernichtet wurden.
Deshalb ist richtig, was in Fulda alle Seiten immer wieder unterstrichen:
Die Studie kann und muss nur der erste Schritt sein. Sie ist keine
generelle [2][Aufarbeitung dieser Verbrechen]. Sondern eine Basis, von der
aus weiter aufgeklärt werden muss, voraussichtlich über Jahre, wenn nicht
Jahrzehnte.
Die eigentliche Aufklärung beginnt erst jetzt, nämlich die von Bistum zu
Bistum, mit Klarnamen der Täter, vor allem der Vertuscher, Verdränger und
Verschweiger auf den Bischofsthronen. In Fulda gab es dazu eine
Aufforderung, mehr nicht. Die Öffentlichkeit muss in den kommenden Jahren
sehr genau aufpassen, welcher Bischof ihr nachkommt und wer nicht. Und der
Staat, dem im Verdachtsfall Zugriffsrechte auf Akten zustehen, muss tätig
werden und durch Ermittlungsverfahren Licht ins Dunkel bringen.
## Die Kirche von Grund auf verändern
Am Ende müssen aus den Bistumskassen richtige Entschädigungen an die Opfer
fließen, nicht bloß die bisherigen, juristisch unverfänglichen
Anerkennungszahlungen, die zudem in ihrer Höhe meist eher beschämend sind.
Ob staatliche oder staatlich unterstützte Untersuchungen in Zukunft mehr
Erkenntnisse über Missbrauch begünstigende Strukturen erbringen werden, ist
zwar fraglich, aber überfällig – genau wie eine Teilnahme der Opfer daran.
Bestenfalls wird dann endlich ein Bischof seinen Hirtenstab abgeben, aus
persönlicher Schuld, aus politischer Verantwortung oder als Zeichen der
Reue – denn darin, in Zeichen zu sprechen, ist die katholische Kirche ja
groß.
Der Jesuitenpater Klaus Mertes, der die Aufarbeitung des
Missbrauchsskandals vor acht Jahren angestoßen hat, fordert zu Recht, das
Geschehene müsse die Kirche von Grund auf verändern: ihr Verhältnis zur
Homosexualität etwa, zum Zölibat, zur Sexualität, zu Frauen – und vor allem
zur Macht. Denn wie selbst Papst Franziskus sagt, ist der Klerikalismus,
also die Überhöhung des Priesteramtes und die damit einhergehende
unkontrollierte Machtfülle ein Hauptgrund dafür, dass die Kirche sich so
an jungen Menschen versündigt und Leben zerstört hat.
Pater Mertes schreibt optimistisch: „Die Weltkirche wird aus dieser tiefen
Krise grundlegend verändert hervorgehen.“ Das wäre zu hoffen. Aber
vielleicht würde auch schon reichen, was Jesus im 8. Kapitel des
Johannes-Evangeliums verspricht: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“
28 Sep 2018
## LINKS
[1] /Studie-zur-katholischen-Kirche/!5535457
[2] /Konsequenzen-aus-Missbrauchsstudie/!5534913
## AUTOREN
Philipp Gessler
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