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# taz.de -- Katholische „Mother and Baby Homes“: Irlands Schande
> Bis 1998 wurden etwa 56.000 unverheiratete schwangere Irinnen in
> katholische Heime eingewiesen. 9.000 Kinder starben dort laut einer
> Untersuchung.
Bild: Trauerzug in Dublin zum Gedenken an die toten Kinder des Tuam Mother and …
Dublin taz | Neuntausend tote Kleinkinder und Babys: Das ist die Bilanz von
18 katholischen Heimen, in die rund 56.000 ledige schwangere Irinnen
zwischen 1922 und 1998 eingewiesen worden waren, weil sie nicht den
gängigen Moralvorstellungen entsprachen. Das hat eine
Untersuchungskommission unter Leitung der früheren Amtsrichterin Yvonne
Murphy festgestellt.
Die Kommission hat in den vergangenen fünf Jahren die Daten aus „Mother and
Baby Homes“, wie sie offiziell hießen, gesammelt und mit 500 Männern und
Frauen, die in einem solchen Heim geboren wurden, gesprochen. Insgesamt
kamen in den 76 Jahren, in denen solche Heime existierten, dort 57.000
Kinder auf die Welt.
In dem mehr als 3.000 Seiten umfassenden Abschlussbericht, der am Dienstag
vorgelegt wurde, heißt es, dass die Kindersterblichkeit in den Heimen bei
15 Prozent lag – doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. In Bessborough
in der Grafschaft Cork im Süden des Landes lag sie 1944 sogar bei 82
Prozent. Die Leichen von 950 Kindern, die in Dubliner Heimen gestorben
waren, wurden zwischen 1922 und 1977 Universitäten für anatomische Studien
zur Verfügung gestellt. Die meisten sind an Vernachlässigung gestorben oder
verhungert. Überlebende aus den Heimen haben berichtet, dass sie ständig im
Müll nach Essbarem gesucht haben.
In mehr als 6.000 Fällen zwischen 1950 und 1973 wurden die Babys den
Müttern weggenommen und an kinderlose Paare in den USA, Großbritannien und
Deutschland verkauft. Viele Babys wurden als Versuchskaninchen missbraucht.
Der Pharmakonzern Burroughs Wellcome zum Beispiel probierte einen neuen
Impfstoff an ihnen aus.
Ausgelöst wurde die Untersuchung durch die Historikerin Catherine Corless,
die 2015 herausgefunden hatte, dass in einem Heim der Bon Secours Sisters
im westirischen Tuam 796 Babys und Kinder gestorben waren, für die es keine
Bestattungsnachweise gab. Später fand man die Überreste in 20 Kammern, die
zum stillgelegten Abwassersystem des Heims gehörten. Sie stammten von Föten
ab der 35. Schwangerschaftswoche bis hin zu Kleinkindern im Alter von zwei
bis drei Jahren. [1][Die Nonnen hielten die Kinder für „Ausgeburten des
Satans“, sagte eine ehemalige Heiminsassin].
Premierminister Micheál Martin wird sich am Mittwoch im Namen der Regierung
bei den Überlebenden dieser Heime entschuldigen. Ob sich die katholische
Kirche, deren verschiedene Orden die Heime leiteten, ebenfalls
entschuldigen wird, ist nicht klar. Immerhin haben 15 Heime kooperiert und
insgesamt 60.000 Akten zur Verfügung gestellt. Die restlichen drei Heime
erklärten, es gebe keine Unterlagen mehr.
Es ist bereits der sechste Untersuchungsbericht, der sich mit dem
Missbrauch und der Misshandlung in katholischen Institutionen beschäftigt.
In drei dieser Berichte ging es um den sexuellen Kindesmissbrauch durch
Geistliche, einer handelte von den Quälereien, denen Kinder in
Besserungsanstalten und Waisenhäusern ausgesetzt waren, und ein Bericht
beschrieb die Verbrechen an jungen Frauen, die unverheiratet schwanger
geworden oder dem Klerus zu selbstständig waren. Sie wurden in Klöstern
weggesperrt und mussten für die Nonnen arbeiten.
Wie auch bei den Mütter-und-Baby-Heimen spielten die Eltern oftmals mit
oder wagten es nicht, sich dem lokalen Pfarrer zu widersetzen. Die
katholische Kirche hatte die irische Gesellschaft nach der
Teilunabhängigkeit 1922 Stück für Stück in den Würgegriff genommen und ihre
Moralvorstellungen 1937 in die Verfassung schreiben lassen. Aus Angst vor
sozialer Ächtung haben 30 Frauen in den vergangenen 50 Jahren [2][ihre
toten Babys auf Feldern, an Stränden oder am Straßenrand abgelegt] – das
bisher letzte erst 2016, als die Kirche längst ihre Vormachtstellung
eingebüßt hatte.
Teile des Berichts über die Mother and Baby Homes waren bereits am Sonntag
durchgesickert, sehr zum Ärger des Ministers für Kinder, Roderic O’Gorman
von der Grünen Partei. Er entschuldigte sich bei den Opfern dafür, dass sie
die Einzelheiten aus der Presse erfahren mussten. Sie erhalten Einsicht in
den Bericht, die Öffentlichkeit jedoch nicht, weil sowohl den Betroffenen
als auch den katholischen Orden Anonymität zugesichert wurde. Andernfalls
hätte kaum jemand mit der Kommission kooperiert.
12 Jan 2021
## LINKS
[1] /Hunderte-Kinderskelette-in-Irland/!5040461
[2] https://www.irishtimes.com/life-and-style/health-family/ireland-s-abandoned…
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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Katholische Kirche
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Schwangerschaft
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