| # taz.de -- Irland exhumiert Baby- und Kinderleichen: Ihre Mütter galten als u… | |
| > In einem katholischen Heim entsorgten Nonnen heimlich 796 Baby- und | |
| > Kinderleichen. Irland will sie nun identifizieren – doch das ist | |
| > kompliziert. | |
| Bild: Ingenieure suchen 2014 mit einem Bodenradar das Massengrab in Tuam ab | |
| Dublin taz | Die irische Regierung lässt die Skelette von 796 Babys | |
| exhumieren, die in einem stillgelegten Abwassertank im westirischen Tuam | |
| gefunden worden sind. Daniel McSweeney, der früher dem Vorstand des | |
| Internationalen Roten Kreuzes angehörte, soll die komplizierte forensische | |
| Operation leiten. | |
| Die Existenz der Leichen ist seit Jahren bekannt: 2014 machten sie | |
| Schlagzeilen, weil die 68-jährige Hobby-Historikerin [1][Catherine Corless | |
| herausgefunden] hatte, dass im „Mother and Baby Home“ in Tuam fast 800 | |
| Kinder gestorben waren, bei denen Bestattungsnachweise fehlten. Deren | |
| Überreste fand man in 17 der 20 Kammern des hauseigenen Abwassersystems. | |
| Solche „Mutter-Baby-Heime“ führte die katholische Kirche. In sie wurden | |
| 57.000 ledige schwangere Irinnen von 1922 bis 1998 unter Duldung der Eltern | |
| eingewiesen. Sie entsprachen nicht gängigen Moralvorstellungen. In mehr als | |
| 6.000 Fällen wurden Babys an kinderlose Paare in den USA, Großbritannien | |
| und Deutschland verkauft. | |
| Für das Heim in Tuam waren die Nonnen der Bon Secours Sisters zuständig; | |
| sie übernahmen es 1925. Mittlerweile gibt es das Heim nicht mehr, das | |
| Gebäude wurde längst abgerissen. An der Stelle stehen Sozialwohnhäuser und | |
| ein Spielplatz. An einer Wand haben Überlebende des Heims eine | |
| Gedenkstätte mit Blumen, Teddybären, Spielzeug und der Zahl 796 in riesigen | |
| Ziffern errichtet. Auf einer Tafel sind die Namen und das Alter der toten | |
| Kinder verzeichnet. | |
| ## Schon 1975 entdeckt | |
| Sie starben an verschiedenen Krankheiten – oder verhungerten. Die Nonnen, | |
| das ergaben Catherine Corless’ Nachforschungen, begruben die [2][Kinder | |
| zwischen 1925 und 1939 in Kisten]. Dann wählten sie einen anderen Platz. | |
| Als das Heim an das städtische Abwassersystem angeschlossen wurde, wurde | |
| die eigene Anlage überflüssig. „Von 1940 bis 1961 haben sie die Leichname | |
| in den stillgelegten Kammern entsorgt“, sagt Corless. „Im Durchschnitt | |
| starb alle zwei Wochen ein Kind.“ | |
| 1975 entdeckten spielende Kinder Skelette. Anwohner vermuteten, es handle | |
| sich um Opfer der Hungersnot. Erst durch Corless’ Recherche kam die wahre | |
| Geschichte ans Licht. | |
| [3][Catherine Corless hat selbst einen persönlichen Bezug zu den | |
| Heimkindern]. Sie wurde in Tuam geboren und begegnete ihnen oft. Sie galten | |
| als minderwertig, als Ausgeburten Satans, sagt sie. Einmal gab sie einem | |
| Kind einen Stein, den sie in Bonbonpapier gewickelt hatte. Heute schämt | |
| sich Corless dafür. „Die Kinder hatten absolut nichts“, sagt sie. „Ich s… | |
| heute noch das enttäuschte Gesicht des Mädchens vor mir.“ Mit ihrer | |
| Recherche wolle sie Unrecht wiedergutmachen. | |
| Die Reaktion der katholischen Kirche, die versucht hat, die Sache | |
| herunterzuspielen, macht sie wütend: „Ruhe in Frieden? Es ist ein | |
| Abwassertank! Holt sie da raus!“ | |
| ## Wenig hinterlegte DNS | |
| Die nun geplante Exhumierung wird Jahre dauern. „Die Knochen sind vermischt | |
| worden“, erklärt Corless. Sie hofft, dass man mithilfe von DNS-Proben die | |
| meisten Toten identifizieren kann. | |
| Der Leiter McSweeney fürchtet, viele Kinder nicht identifizieren zu können. | |
| Die, bei denen die Namen bekannt seien, sollen an die Angehörigen übergeben | |
| werden, für ein ordentliches Begräbnis. Allerdings haben bisher nur sehr | |
| wenige potenzielle Verwandte ihre DNS hinterlegt. | |
| Tuam ist beileibe kein Einzelfall. Eine Kommission unter Leitung der | |
| früheren [4][Amtsrichterin Yvonne Murphy hat nach einer fünf Jahre | |
| dauernden Untersuchung im Januar 2021] festgestellt, dass in den 18 | |
| katholischen Heimen in Irland rund 9.000 Babys und Kleinkinder gestorben | |
| sind. Wo sie begraben sind, ist in den meisten Fällen unbekannt. | |
| 6 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hunderte-Kinderskelette-in-Irland/!5040461 | |
| [2] /Massengrab-mit-Kinderleichen-in-Irland/!5389272 | |
| [3] https://www.nytimes.com/interactive/2017/10/28/world/europe/tuam-ireland-ba… | |
| [4] /Katholische-Mother-and-Baby-Homes/!5739051 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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