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# taz.de -- Debatte Autoritäre Struktur in Religionen: Abschied vom Guru
> Auch der Buddhismus in Deutschland hat seine Missbrauchsdebatte. Einiges
> spricht dafür, sich selbst die eigene Mischreligion zu basteln.
Bild: Der buddhistische Lehrer Sogyal Rinpoche (r.) soll MitarbeiterInnen regel…
Der Bericht der britischen Anwaltskanzlei Lewis Silkin liest sich auf den
ersten Blick wie eine schrille Kolportage: Der tibetische Meister predigte
Gewaltlosigkeit, liebte im Privaten aber Filme wie „Der Pate“. Er neigte zu
Gewaltausbrüchen und zur Demütigung seiner MitarbeiterInnen. Seine
Geliebten fand er praktischerweise unter seinen Anhängerinnen.
Der Fall Sogyal Lakar, besser bekannt als Sogyal Rinpoche, einer der
bekanntesten buddhistischen Lehrer im Westen und Gründer des
Rigpa-Netzwerks, zeigt, was man aus ähnlichen Fällen weiß: Autoritäre
Meister-Schüler-Strukturen führen zu nichts Gutem. Die bewunderten Gurus,
Lamas und Rinpoches sind im Westen mit der Verehrung ihrer SchülerInnen
überfordert, es kommt nicht selten zu tyrannischem oder missbräuchlichem
Verhalten.
Der [1][Bericht über die Vorwürfe gegen Lakar,] die eine britische
Anwaltskanzlei auf Wunsch von kritischen Rigpa-Mitgliedern untersuchte, ist
seit Kurzem auch auf Deutsch verfügbar. Er reiht sich ein in eine Reihe von
Berichten über buddhistische Lehrer in Deutschland, denen man emotionalen
oder sexuellen Missbrauch vorwirft. Oder auch Islamophobie und eine
rechtslastige politische Einstellung: Ole Nydahl, Leiter der großen
buddhistischen Organisation Diamantweg, fiel durch entsprechende Äußerungen
mehrfach unangenehm auf.
Die Krise des Buddhismus im Westen zeigt vor allem eines: Die Zeit der
Romantisierung östlicher Religionen durch das westliche Bürgertum ist
vorbei. Denn auch wenn sich die Vorstellung, dass alle Buddhisten friedlich
sind, spätestens mit der Verfolgung der Rohingya in Myanmar erledigt hat
und auch wenn im Westen wohl kaum noch jemand an die persönliche
Erleuchtung glaubt – so bleiben doch Konzepte und Meditationstechniken aus
dem Buddhismus bestehen, die hilfreich sind auch für eine alternde,
westliche Wohlstandsgesellschaft, die größte Probleme damit hat, mit ihrem
eigenen Vergehen klarzukommen.
## Gute Gründe für selbstgemachte Spiritualität
Sogyal Lakar ist für diese Adaption sogar ein ganz gutes Beispiel. Er, der
inzwischen von allen Ämtern bei Rigpa zurückgetreten ist, hat erhebliche
Verdienste zum Thema Sterbebegleitung und Krankheitsverarbeitung erworben.
Sein Bestseller „Das tibetische Buch vom Leben und Sterben“ war vor 25
Jahren ein Novum in der Sterbebegleitung. Einige der wichtigsten
LehrerInnen in der Hospizbewegung haben bei Lakar gelernt.
Das hat mit Esoterik und Sektentum nichts zu tun. Ein wichtiges Konzept im
Buddhismus ist die Beschäftigung mit der eigenen Vergänglichkeit und die
radikale Akzeptanz des Lebens. Diese Akzeptanz von Krisen, Scheitern,
Verlusten, kann tröstend wirken in einer alternden westlichen
Leistungsgesellschaft, die ständige Selbstoptimierung verspricht, während
der oder die Einzelne im Laufe des Lebens aber das Gegenteil erfährt.
Es erfordert soziale Kompetenzen, mit Alter, Behinderung, Demenz, schweren
Erkrankungen, dem Sterben von Nahestehenden oder auch mit der Freundin
umzugehen, die die Diagnose einer lebensverkürzenden Krankheit erhalten
hat. Die Frage lautet: Wo bekommt man die Kompetenzen dafür eigentlich her?
Die Lücke kann von den christlichen Kirchen meist nicht geschlossen werden,
weil viele Menschen damit ungute Kindheitserinnerungen an Schuld und Sühne
verbinden. Importreligionen wecken diese bösen Kindheitserinnerungen nicht.
Es gibt also gute Gründe, für eine selbstgemachte Spiritualität zu
plädieren, die in Meditationstechniken oder in Lebenshaltung Elemente aus
anderen Religionen integriert, aber eben nicht irgendeinem reinen Glauben
oder einem übermächtigen Meister verpflichtet ist. Kombireligionen sind
nicht oberflächlich und bequem, sondern ein Zeichen von Selbstverantwortung
und Integrationsfähigkeit.
## Kombireligionen sollten sich säkularer Moral unterordnen
Der israelische Historiker Yuval Noah Harari meditiert seit Jahren
intensiv, wie er in seinem Bestseller „21 Lektionen für das 21.
Jahrhundert“ beschreibt. Harari bezeichnet sich aber keineswegs als
religiös, sondern weist daraufhin, dass Religionen heute in vielen Teilen
der Welt mehr Probleme schaffen als sie lösen. Die Weltreligionen werden
benutzt zur Vernichtung des Fremden, Verleugnung des Körpers, Unterdrückung
der Frauen, [2][wie auch im Kinofilm „Female Pleasure“ eindrucksvoll
dokumentiert wird].
Harari befürwortet eine säkulare Moral, die sich an den Menschenrechten
orientiert. Eine solche Moral ist nicht auf die Vermittlung irgendwelcher
Glaubenssysteme fokussiert, sondern auf die Verminderung von konkretem
menschlichem Leid, dem eigenen und dem der anderen. Zu einer säkularen
Moral gehören die Gleichberechtigung der Geschlechter,
Nichtdiskriminierung, Meinungs- und Glaubensfreiheit, die Unverletzlichkeit
des Körpers. Auch jede Kombireligion sollte sich diesen Werten unterordnen.
Bei allem Totalitärem hingegen ist Vorsicht geboten. Bei Wörtern wie
„Opfer, Ewigkeit, Reinheit, Erlösung“ sollten die Alarmglocken schrillen,
rät Harari. Im Rigpa-Netzwerk, das aus 130 Zentren in 30 Ländern besteht,
muss man jetzt ohne Sogyal Rinpoche auskommen. Es existiert eine neue
Beschwerdestelle für Mitglieder und es gibt neue Richtlinien, nach denen
zum Beispiel sexuelle Verhältnisse zwischen LehrerInnen und SchülerInnen
während Rigpa-Kursen untersagt sind. Auch im Dachverband Deutsche
Buddhistische Union gibt es Anlaufstellen für Mitglieder, die mit dem
Verhalten von LehrerInnen und der Dynamik in bestimmten Gruppen Probleme
haben.
Die interessanteste Phase kommt jetzt: Wie funktionieren diese westlichen
Gruppen nun weiter, auch ohne eine Guru-ähnliche Autorität? Der Schritt weg
vom Sektenverdacht wäre endgültig getan, wenn die Adaption anderer
religiöser Elemente auch mit demokratischen Strukturen klappt.
27 Nov 2018
## LINKS
[1] https://static1.squarespace.com/static/580dbe87e6f2e16700cb79fe/t/5ba3c81ef…
[2] /Doku-Film-ueber-Sexismus-und-Gewalt/!5549120
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Buddhismus
Missbrauch
Spiritualität
Lesestück Meinung und Analyse
Esoterik
sexueller Missbrauch
Australien
Kindesmissbrauch
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