# taz.de -- Esoterik und Hokuspokus als Business: Schrecklich sympathische Scha… | |
> Auf den Naturheiltagen in Fürth wird gependelt, entgiftet und an | |
> Engelsenergie geschraubt. Was sind das für Leute, die mit Esoterik ihr | |
> Geld verdienen? | |
Bild: Hübsche Heilsteine. Natürlich findet man sie auch auf der Messe in Für… | |
FÜRTH taz | Hans Denterlein ist ein gutes Beispiel für einen Unternehmer | |
neuen Typs. Der Mann mit den aquamarinblauen Haaren, hinten lang, an den | |
Seiten kurz geschoren, ist, wie man sich denken könnte, Friseur. Auf Wunsch | |
bietet er aber mehr als Schneiden und Frisieren, er schiebt seinen Kunden | |
auch eine Kamera mit UV-Licht und Vergrößerungsglas über die Kopfhaut. Auf | |
einem Laptopbildschirm sieht er dann: Das schaut nicht gut aus – alles | |
verstopft und da, an den Haarwurzeln, orange leuchtende Punkte. „Das kommt | |
von der Niere“, weiß Denterlein. | |
Denterlein, der sich „Hansi“ nennt, ist nicht nur Friseur, sondern auch | |
energetischer Heilarbeiter. Wenn er auf der Kopfhaut beispielsweise | |
Anzeichen dafür entdeckt, dass sich Darmbakterien im Ungleichgewicht | |
befinden, dann gerät das Thema Shampoo an sein Limit. Dann ist es Zeit für | |
Fogo Sagrado, was sich nur im ersten Moment nach Zumba anhört, weil es | |
eigentlich eine energetische Heilmethode unter Zuhilfenahme von Geistern | |
ist. | |
Nichts Neues für die anderen, die an diesem Wochenende gemeinsam mit | |
Denterlein und Kollegen in der Stadthalle Fürth im Rahmen der 6. | |
Naturheiltage ausstellen. Was der Name nicht verrät, aber eigentlich klar | |
ist: Eine Messe dieser Art findet weniger für medizinisch relevante | |
Kräuterhexen als für allerlei Hokuspokus statt. Denterlein also Fogo | |
Sagrado, Energietypologie und Psycho-Physiognomie bei Brix Waltraud. | |
Chakra-Scan, Engelbilder, Aurafotos, vitalisiertes Wasser, Bye-bye | |
Cellulite, ihre persönliche Seelenmusik, Gesundbeten, Engel-Energie-Fühlen | |
und, darf nicht fehlen, eine enorme Palette an Heilsteinen … Alles da. | |
Bei Sonja Gumze, sie hat ihren Stand ganz hinten links, gibt es in nur zehn | |
Minuten für 25 Euro eine Quantenfeldreinigung. Nie gehört? Das liegt daran, | |
dass Gumze diese neue, noch bessere Methode der Psychohygiene selbst | |
erfunden hat. Eine Monopolistin. Schon mit acht Jahren habe sie ihre | |
Hellsichtigkeit entdeckt, eine Gabe und eine Bürde für die freundliche Frau | |
mit dem Lockenkopf: „Stellen Sie sich vor, ein Freund sagt, ich will jetzt | |
im Februar nach Sri Lanka fahren und ich hoffe, ich lerne dort jemand | |
kennen. Und Sie wissen, er lernt die Frau seines Lebens kennen. Wie fühlen | |
Sie sich dann?“ | |
## Ideologien zusammenwerfen | |
In der Pubertät hätten die Menschen Angst vor ihr gehabt. Heute lebt Gumze | |
von ihrer angeblichen Befähigung und, das sagt sie ganz offen, sie lebt gut | |
davon, am Starnberger See. Auch für Gumze gilt: Sie hat sich und was sie | |
tut erfunden als eine Kombination von etwas neu Klingendem mit altbekanntem | |
New-Age-Esoterik-Instrumentarium. | |
In ihrem Fall ist das das Pendel. Das kreist über eingeschweißten Karten, | |
auf denen sich Netze aus regenbogenbunten Linien befinden. Zack, hier | |
bleibt es stehen, das heißt, sie muss dorthin blättern und weiter pendeln. | |
Gumze pendelt sich die Wegbeschreibung zu dem Ordner im Bewusstsein ihres | |
Gegenübers, wo das Problem sitzt: „Was ich geil dran finde“, erklärt sie, | |
pendelnd, „ich frage nicht nach dem Problem, sondern nach der Lösung. Durch | |
die Drehung des Pendels gebe ich den Löschauftrag.“ In der Regel stammen | |
die Probleme aus früheren Leben, da kann schon mal was | |
durcheinandergeraten. | |
Auch das ist ein altbewährtes Prinzip in der Szene: Was man sich aus | |
[1][spirituell-religiösen Rezepturen jeder Art leihen kann], wird gern | |
verwendet und mit anderen Inhaltsstoffen zusammengeschmissen. | |
Petra Beate Heckel, am Stand nebenan, wirbt zwar mit enormen betenden | |
Händen, fast Dürer-Style, in ihrem Mental-Institut bezieht man sich aber | |
nicht nur auf Jesus, sondern ganz generell auf das „alte Heilwissen der | |
Hochkulturen“. In den Topf dürfen auch Maya, Inka und Hopi mit rein. | |
Gesundbeten habe also gar nichts mit Kirche zu tun, sagt sie: „Wenn ich | |
meiner Niere, meiner Lunge, meinem Herz Aufmerksamkeit schenke, ist das wie | |
ein Gebet. Und das ist Energie. Und es ist ja so, dass wir alle zu wenig | |
Energie haben.“ | |
## Vertrau mir! | |
Energie ist der Schlüsselbegriff, auf den sich alle Angebote der Aussteller | |
in Fürth einigen können, so unterschiedlich ihre Tinkturen, Symbole und | |
überweltlichen Unterstützer auch sein mögen. Es muss etwas schwingen, in | |
Schwingung gebracht werden, es muss weniger oder woanders schwingen. Zwar | |
lebt der Mensch immer länger, zwar sind seine Arbeitsbedingungen und seine | |
Ernährung – zumindest potenziell – gesünder denn je. Dafür stimmt jetzt … | |
mit der Energie nicht. Es ist leichter, Heilung zu verkaufen, wenn die | |
Krankheit so diffus ist, dass eigentlich jeder darunter leidet. Man muss | |
nur mit absoluter Sicherheit davon sprechen. | |
An der Ausdifferenzierung der Angebote, an den immer neuen, immer | |
verschachtelteren Namen der Therapiemethoden erkennt man, wie es die | |
Esoterik als Branche schafft, sich selbst zu erhalten. Ein [2][bisschen | |
Homöopathie] plus Hellsehen, das reicht heute nicht mehr aus. Im besten | |
Fall liefert jeder Anbieter, jede Anbieterin ihre eigene Schule gleich mit. | |
Hinter den komplizierten Namen steht aber meist ein einfaches Weltbild und | |
ein einfaches Versprechen: Vertrau mir, dann wird dir geholfen! | |
Wie groß dieser Markt genau ist, das lässt sich nur schwer sagen, denn die | |
Grenzen sind fließend und der Anteil der Einzelunternehmer hoch. Das | |
Institut für Zukunftsforschung hat die Branche mal auf 20 Milliarden Umsatz | |
im Jahr geschätzt – Symptom einer gestressten Gesellschaft. Allerdings | |
birgt das Angebot gleich neues Stresspotenzial, wie der Gang über die | |
Naturheilmesse zeigt: Man muss das schließlich alles mal ausprobiert haben. | |
Wenn der Heilstein um den Hals nicht reicht für die endgültige Balance der | |
Schwingungen, sollte man vielleicht noch am Chakra oder der Engelenergie | |
schrauben. | |
## Eine kitschig-kindliche, magische Welt | |
Davon, dass die Esoterik mittlerweile nicht mehr nur ein Ü-40-Publikum, | |
sondern [3][auch die jüngere, hippe Instagram-Szene erreicht], dass vor | |
allem junge Frauen auf Astrologie und Waldbaden schwören, ist in Fürth | |
allerdings wenig zu spüren. Am Ende des Abends spielt der Panflötist Oscar | |
Javelot seine „Heilenden Frequenzen“. Alles andere als hip – aber wenn’s | |
hilft! Die Art von Spiritualität, die hier auf den Warentisch kommt, | |
ermöglicht Zuflucht zurück in eine kitschig-kindliche, eine magische Welt. | |
Je größer die realen Unsicherheiten werden, wenn die Welt von Aufrüstung, | |
Polkappen und Terror spricht, desto attraktiver schillert dieser Ort der | |
Eingeweihten. | |
[4][„Entgiften“], sagt Friseur-Heiler Hansi Denterlein und das hört sich | |
dann schon vergleichsweise vernünftig an. „Das wird das wichtigste Thema in | |
den nächsten Jahren, Jahrzehnten. Wie schaffen wir es, uns zu reinigen?“ | |
Moment, wie passt das zusammen mit der blauen Farbe in seinen Haaren? | |
Denterlein lacht: „Das ist Lebensmittelfarbe. Blau ist für mich ein | |
gewisser Zustand, ich fühle mich mit keiner anderen Farbe wohl. Da bin ich | |
konservativ, ich färbe die jetzt seit 25 Jahren.“ | |
Die Scharlatane unserer Zeit – sie sind ausnehmend sympathisch. Und leisten | |
mit ihrer Psychologie plus X vielen einen gewissen Dienst. Niemand verlässt | |
die Naturheiltage mit leeren Händen, auch nicht der offensichtlich | |
skeptische Autor dieses Textes. Von Beate Schwarz, Coach in chinesischer | |
Quantum-Methode, erhalte ich einen kleinen Zettel, auf dem „Energie“ steht. | |
Von Petra Beate Heckel einen Psalm: Markus 11, 24: „Alles, um was ihr auch | |
betet und bittet, glaubt, dass ihr es empfangen habt.“ Und von Sonja Gumze | |
den Lebenstipp, am Morgen länger mit der Freundin zu kuscheln. Blöd, denke | |
ich, denn am Morgen muss ich diesen Text einreichen. | |
11 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Thamm | |
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