| # taz.de -- Falsche Angaben zu Stickoxid: Lungenarzt mit Rechenschwäche | |
| > Dieter Köhler hat mit seiner Kritik an den Grenzwerten für Stickoxid viel | |
| > Staub aufgewirbelt. Die taz zeigt, dass er sich verrechnet hat. | |
| Bild: Lungenarzt Dieter Köhler hat nie wissenschaftlich zur Schädlichkeit von… | |
| Berlin taz | Wenn es um andere WissenschaftlerInnen geht, hat Professor | |
| Dieter Köhler hohe Ansprüche. Ihn störe die „extreme wissenschaftliche | |
| Unsachlichkeit“ der Debatte über Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid, | |
| sagte er [1][mit großer Empörung in einem ZDF-Interview]. Er meint, die | |
| Grenzwertdosen für diese Stoffe seien „jenseits jeder Gefährlichkeit“. | |
| Seinen KollegInnen wirft er offen vor, Daten zu manipulieren. Sie würden | |
| „so lange rechnen und drehen“, bis die gewünschte Botschaft herauskomme, | |
| dass Stickoxid und Feinstaub schädlich seien. | |
| Sich selbst bezeichnet er dagegen ohne jede Spur eines Zweifels als „einen | |
| der wenigen Experten auf diesem Gebiet“. In vielen weiteren Sendungen – von | |
| „Stern TV“ über „Hart aber Fair“ bis zu „Anne Will“ – durfte er … | |
| Thesen wieder und wieder verbreiten. Aufsehen erregt hat Köhler im Januar | |
| mit einer [2][von ihm verfassten Stellungnahme], die von 112 Mitgliedern | |
| der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, darunter 107 Lungenärzten, | |
| unterzeichnet wurde. Darin stellte er den gesamten Forschungsstand zur | |
| Schädlichkeit von Luftschadstoffen pauschal in Frage, wirft seinen | |
| KollegInnen vor, sie hätten einen „systematischen Fehler“ begangen und | |
| Daten „extrem einseitig interpretiert“. | |
| Dass Köhler [3][nie wissenschaftlich zum Thema publiziert hat] und dass mit | |
| 112 Unterzeichnern nur ein Bruchteil der 3.800 angefragten Mitglieder der | |
| Pneumologie-Gesellschaft seine Thesen unterstützte, änderte nichts daran, | |
| dass Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) aufgrund der Stellungnahme | |
| sofort eine Überprüfung der geltenden Grenzwerte forderte. Während alle | |
| Medien breit über sein Papier berichteten und Köhler von einer Talkshow zur | |
| nächsten wanderte, sorgten seine Äußerungen in der Fachwelt nur für | |
| Kopfschütteln. | |
| „Die Grenzwert-Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO beruhen auf | |
| der gesamten weltweit verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz zu den | |
| Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit“, meint etwa | |
| Professor Nino Künzli vom Schweizerischen Tropen und Public Health Institut | |
| in Basel. „Das sogenannte ‚Positionspapier‘ dieser Ärzte entbehrt jeglic… | |
| wissenschaftlicher Grundlage und argumentativer Kohärenz.“ (Eine | |
| ausführliche Stellungnahme von Künzli und weiteren WissenschaftlerInnen | |
| findet sich [4][hier].) | |
| Kritik von KollegInnen aus der Wissenschaft | |
| Ein zentrales Argument in Köhlers Papier ist der Vergleich der Atemluft in | |
| Innenstädten mit dem Schadstoffgehalt von Zigarettenrauch. Einen solchen | |
| Vergleich von kurzfristigen Spitzenbelastungen mit einer permanenten | |
| Dauerbelastung halten andere Wissenschaftler ohnehin für unseriös. „Das ist | |
| schon aufgrund des unterschiedlichen zeitlichen Zusammenhangs nicht | |
| sinnvoll“, meint etwa Wolfgang Straff, Mediziner und Abteilungsleiter für | |
| Umwelthygiene beim Umweltbundesamt. | |
| Wenn man sich aber trotzdem auf seine Vergleiche einlässt, zeigt sich, dass | |
| Köhler unabhängig von seinem mangelhaften Verständnis der Epidemiologie | |
| offenbar sehr viel grundlegendere Probleme hat – mit der Chemie und vor | |
| allem der Mathematik. Die Fehler, die Köhler unterlaufen, sind so | |
| gravierend, dass er teilweise das Gegenteil dessen beweist, was er aussagen | |
| wollte. Dazu muss man einen Blick auf seine Rechnungen zum Vergleich | |
| zwischen Stickoxidkonzentration im Zigarettenrauch und bei Dieselabgasen | |
| werfen. | |
| Wohl gemerkt, Köhlers Vergleich macht wissenschaftlich keinen Sinn, aber | |
| selbst wenn man sich darauf einlässt, steht am Ende die Feststellung: Wer | |
| an einer viel befahrenen Straße wohnt, atmet während eines Lebens von 80 | |
| Jahren so viel Stickoxide ein wie ein starker Raucher in 6 bis 32 Jahren. | |
| Köhler behauptet stets, es handle sich lediglich um die Dosis von wenigen | |
| Monaten Rauchen.Dazu hat er in früheren Publikationen eine detaillierte | |
| Rechnung vorgelegt. | |
| Große Gefahr durch Stickoxide | |
| Das [5][Deutsche Ärzteblatt] etwa zitierte Köhler im Jahr 2018 in einem | |
| Artikel mit folgender Rechnung: | |
| „‚Man kann die Studie relativ einfach dadurch widerlegen, dass man die | |
| NO2-Menge im Zigarettenrauch als Vergleich nimmt‘, sagt Köhler im Gespräch | |
| mit dem Deutschen Ärzteblatt. Die liege bei rund 500 μg (also 500 | |
| Millionstel) pro Zigarette. ‚Nimmt man zur Konzentrationsberechnung ein | |
| Atemvolumen beim Rauchen einer Zigarette von 10 Litern an, so inhaliert man | |
| 50 000 μg pro Kubikmeter Luft. Bei einer Packung am Tag wäre das 1 Million | |
| Mikrogramm‘, rechnet Köhler vor.“ | |
| Hier liegt ein offensichtlicher Rechenfehler vor (auf den auch die taz erst | |
| durch einen externen Hinweis aufmerksam wurde): Wenn eine Zigarette 500 | |
| Mikrogramm (µg) NO2 freisetzt, dann liegt der Wert bei einer Schachtel mit | |
| 20 Zigaretten nicht bei 1 Million Mikrogramm, sondern nur bei 10.000 | |
| Mikrogramm. Die Verantwortung für diesen Fehler wollte Köhler auf Anfrage | |
| zunächst der Redaktion des Ärzteblatts zuschieben. | |
| Die zuständige Redakteurin sagte der taz jedoch, dass Köhlers Aussagen | |
| einem schriftlichen Manuskript entstammen, das dieser eingereicht hatte. In | |
| einer späteren Mail an die taz bestätigte Köhler dies. Auch in der | |
| Redaktion der Tageszeitung Die Welt, die über Köhlers Rechnung fast | |
| wortgleich [6][berichtet] hatte, lagen seine Äußerungen nach | |
| taz-Informationen schriftlich vor. | |
| Zusätzlich zu diesem Rechenfehler, der das Ergebnis um Faktor 100 | |
| verfälscht, stimmt auch hier der Ausgangswert nicht, mit dem Köhler | |
| rechnet. Der von ihm genannte Wert von 500 Mikrogramm pro Zigarette gilt | |
| nicht für Stickstoffdioxid (NO2), also jenes Gas, für das die Grenzwerte | |
| gelten und das für die Fahrverbote in deutschen Städten verantwortlich ist, | |
| sondern für Stickoxide generell (NOx). | |
| Als Anteil von NO2 an NOx beim Zigarettenrauch nennt Köhler zunächst 10 | |
| Prozent – damit wäre das Ergebnis insgesamt um den Faktor 1.000 verkehrt. | |
| In einer späteren Mail revidierte der Lungenarzt die Angabe wieder, nannte | |
| nun – ohne klare Quellenangabe – einen Bereich von 10 bis 50 Prozent; das | |
| Ergebnis seiner Rechnung wäre dann entsprechend um den Faktor 200 bis 1.000 | |
| verkehrt. | |
| Zigarettenrauch versus Nox | |
| Damit verändert sich eine zentrale Aussage von Köhler. In seiner berühmten | |
| Stellungnahme heißt es zum Vergleich zwischen einem Raucher und einem | |
| Nichtraucher, der „permanent Feinstaub oder NOx im Grenzwertbereich“ | |
| einatmet: „Dabei erreichen Raucher (eine Packung/Tag angenommen) in weniger | |
| als zwei Monaten die Feinstaubdosis, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher | |
| im Leben einatmen würde. Beim NOx sind die Unterschiede ähnlich, wenn auch | |
| etwas geringer.“ | |
| Das trifft nicht einmal von der Größenordnung her zu. Statt NOx sei auch | |
| hier NO2 gemeint, räumt Köhler ein – denn nur für diesen Stoff gibt es | |
| einen Grenzwert, sodass nur hierfür ein Vergleich möglich ist. Wenn man | |
| zudem Köhlers Umrechnungsfehler berücksichtigt, entspricht die in 80 Jahren | |
| mit der Außenluft eingeatmete NO2-Menge nicht dem, was ein Raucher in | |
| wenigen Monaten einatmet, sondern (je nach angenommenem NO2-Anteil am NOx) | |
| in 6,4 bis 32 Jahren. | |
| Statt die Unschädlichkeit der Außenluft im Vergleich zum Zigarettenrauch zu | |
| belegen, wie von Köhler mit seinem (ohnehin fragwürdigen) Vergleich | |
| gedacht, zeigt dieser bei korrekter Rechnung das Gegenteil. Auch bei seinen | |
| Überlegungen zur Belastung durch Feinstaub ist Köhler ein simpler | |
| Rechenfehler unterlaufen. „Die Konzentration an Feinstaub im Hauptstrom des | |
| Zigarettenrauches erreicht tatsächlich 100–500 g/m3 und ist damit bis zur | |
| (sic) 1 Million mal größer als der Grenzwert“, heißt es in der von Köhler | |
| verfassten Stellungnahme. | |
| Rechenfehler auch beim Feinstaub | |
| Eine einfache Überprüfung zeigt: Der Tagesgrenzwert für Feinstaub, auf den | |
| sich Köhler stets bezieht, liegt bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. | |
| Köhlers für den Zigarettenrauch genannter Maximalwert von 500 Gramm pro | |
| Kubikmeter entspricht umgerechnet 500 Millionen Mikrogramm pro Kubikmeter. | |
| Stimmte die genannte Zahl, wäre die Konzentration im Zigarettenrauch | |
| demnach nicht 1 Million Mal so hoch wie der Grenzwert auf der Straße, | |
| sondern 10 Millionen Mal. | |
| Angesprochen auf diesen offensichtlichen Rechenfehler gibt sich Köhler am | |
| Telefon überrascht. „Das ist bisher noch niemandem aufgefallen“, meint er. | |
| Auch von den 112 UnterzeichnerInnen hat demnach niemand so genau geschaut, | |
| unter was für eine Rechnung der eigene Name gesetzt wurde. Korrekt wäre | |
| nach Aussage Köhlers für den Zigarettenrauch statt 100 bis 500 Gramm pro | |
| Kubikmeter ein Wert von 10 bis 50 Gramm. Dann wäre zumindest der genannte | |
| Faktor von 1 Million korrekt. | |
| Doch auch die korrigierte Zahl von Köhler stimmt nicht. Den Feinstaubwert | |
| berechnete er nach eigenen Angaben auf Grundlage des Kondensatgehalts der | |
| Zigaretten, umgangssprachlich auch als Teer bezeichnet. Dabei ging er für | |
| aktuelle Zigaretten von 10 bis 25 Milligramm pro Zigarette aus. Allerdings | |
| gilt für Kondensat seit 2004 – also seit mittlerweile 15 Jahren – ein | |
| EU-weiter Grenzwert von 10 Milligramm. „Die Vorgabe der EU kannte ich | |
| nicht“, erklärt Köhler – und lobt den Redakteur dafür, dass er diese im | |
| Internet leicht aufzufindende Information recherchiert habe: „Sie hängen | |
| sich aber richtig rein.“ | |
| Köhler selbst sieht in diesen Fehlern kein großes Problem. Die | |
| „Größenordnung“ sei trotzdem richtig, meint er. Und für seine Rechenfehl… | |
| und seine veralteten Angaben hat er eine einfache Erklärung: „Ich mache ja | |
| praktisch alles allein und habe nicht einmal mehr eine Sekretärin als | |
| Rentner.“ | |
| 13 Feb 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/koehler-aufregung-voellig-kuen… | |
| [2] https://www.lungenaerzte-im-netz.de/fileadmin/pdf/Stellungnahme__NOx_und__F… | |
| [3] /Diskussion-um-Stickoxid-Grenzwerte/!5565421 | |
| [4] https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/rapid-reaction/details/news… | |
| [5] https://www.aerzteblatt.de/archiv/197064/Stickstoffdioxid-(1)-Krankheitsris… | |
| [6] https://www.welt.de/wirtschaft/article174334804/Diesel-Woran-es-Studien-ueb… | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Kreutzfeldt | |
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