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# taz.de -- Soziologe über Künstliche Intelligenz: „Soviel Zeit nehmen wie …
> Florian Butollo erklärt die Grenzen Künstlicher Intelligenz. Der
> Arbeitswissenschaftler ist Mitglied der gleichnamigen Enquetekommission.
Bild: „Picker“ werden die MitarbeiterInnen genannt, die bei Amazon die best…
taz: Herr Butollo, so leistungsstark wie das menschliche Gehirn seien
Computerprozessoren im Jahr 2025, also quasi übermorgen, sagen manche
Expert*innen. Ist das nicht ein bisschen zu euphorisch?
Florian Butollo: Nein, das halten viele Leute, die sich auskennen, für
realistisch. Die Rechenleistung von Computern und Programmen wächst
tatsächlich exponenziell. Das Ergebnis darf man jedoch nicht mit
menschlicher Intelligenz verwechseln.
Einzelne Unternehmen vergeben Sitze in ihren Führungsgremien nicht mehr an
Menschen, sondern an Maschinen, die zu Künstlicher Intelligenz (KI) fähig
sind. Ein Grund, die Aktien solcher Firmen schnell zu verkaufen?
Vielleicht wäre das ein guter Rat. Denn viele Entscheidungen in Unternehmen
und anderen Organisationen sind so komplex, dass sie unmöglich von
Maschinen getroffen werden können. Wer das trotzdem befürwortet, hängt
einem eindimensionalen Verständnis menschlicher Intelligenz an.
Beispielsweise die Intuition kommt darin nicht vor.
Was kann KI, was Menschen nicht beherrschen?
Sie funktioniert schon heute gut, wenn es um die schnelle Berechnung und
Analyse großer Datenmengen geht. Programme, die Millionen Muster von
Krebstumoren kennen, entdecken Krebszellen besser als spezialisierte
Diagnostiker. Ähnliches gilt für die Gesichtserkennung, das automatische
Herausfiltern von Individuen aus Menschenmengen.
Und was kann KI grundsätzlich nicht, was Menschen ganz normal beherrschen?
Maschinen sind nicht dafür ausgelegt, ihre Kenntnisse in zahlreiche andere
Bereiche zu übertragen. Ihre Transferleistung beträgt meist exakt null.
Solches Denken ist dem menschlichen Hirn vorbehalten – vermutlich
prinzipiell. Denn Programme dienen immer dazu, ein bestimmtes Problem zu
lösen, das aber teilweise besser als Menschen. Jedoch kann die Software,
die die weltbesten Go-Spieler schlägt, keine Gesichter erkennen. Dafür
wurde sie nicht programmiert. Sie würde es auch nicht schaffen, den Müll
rauszubringen, selbst wenn sie in einer mobilen Maschine steckte. Das
Go-Programm verfügt zwar über eine immense Rechenkapazität, kann sie jedoch
nur für einen einzigen Zweck einsetzen. Die menschliche Intelligenz ist
ungleich vielschichtiger als die künstliche Variante.
Das soll der Begriff „schwache KI“ ausdrücken?
So ist es. Starke KI gibt es noch nicht. Humanoide Intelligenzformen stehen
heute überhaupt nicht zur Debatte. Darüber sind wir uns in der
Enquetekommission des Bundestages einig.
Regisseur Stanley Kubrick zeigte 1968 in seinem Film „2001: Odyssee im
Weltraum“ den empfindungsfähigen Bordcomputer HAL, der mit den Astronauten
kommunizierte. Das ist immer noch Utopie?
Heute kann man Chatbots wie Alexa oder Siri befehlen, sie sollen das Licht
im Zimmer anschalten. Das schaffen sie auch. Sinnvoll über klassische Musik
unterhalten kann man sich mit ihnen jedoch nicht. Schließlich werden die
Programme nur auf bestimmte Standardsituationen und Standardantworten
trainiert. Jenseits davon sind sie hilflos.
Die spezielle menschliche Intelligenz ist nicht nur geistig, sondern auch
körperlich und emotional. Diese Dimension ist Maschinen und Computern
weitgehend verschlossen. Wird das so bleiben?
Wenn es um Gefühle und Sensibilität geht, sind Maschinen grundsätzlich im
Hintertreffen. Figuren wie das KI-System „Samantha“ im Film „Her“, in d…
sich der Protagonist verliebt, existieren nur in der Fiktion. Trotzdem
lassen sich heute schon Bestandteile menschlichen Verhaltens nachbauen, die
wirklichem sozialen Austausch ähneln. Auf Krankenpflege spezialisierte
Programme können in begrenztem Umfang mit Patienten kommunizieren.
Das bedeutet, dass Tätigkeiten und Arbeitsplätze, die viel emotionale und
soziale Kompetenz erfordern, von sogenannten intelligenten Maschinen auch
später nur teilweise ersetzt werden?
Pflegende Tätigkeiten in Krankenhäusern oder Alteneinrichtungen sind
weitgehend resistent gegen Substitution. Zwar kann die sogenannte
Pflegerobotik dabei helfen, Pflegebedürftige etwa aus dem Bett zu heben,
Daten über ihren Zustand zu sammeln oder für Zeitvertreib durch Spiele zu
sorgen. Schwierige, tröstende Gespräche funktionieren jedoch mit Maschinen
nicht. Deshalb nimmt der Bedarf an menschlicher Pflegearbeit wohl nicht ab.
Wegen der größeren Zahl Pflegebedürftiger dürfte er eher wachsen.
Nennen Sie bitte weitere Berufsbilder, bei denen sich die Arbeitnehmer
wenig Sorgen machen müssen, dass Künstliche Intelligenz ihre Stellen
bedroht.
Möglicherweise gilt das sogar für die meisten Arbeitsplätze. Sehr viele
Tätigkeiten werden sich zwar verändern, aber sie fallen nicht weg. Das
betrifft auch sogenannte einfache Jobs, die angeblich stark gefährdet sind.
Beispiel Amazon: Obwohl die sogenannten Picker in den Verteilzentren, die
durch die Regalreihen eilen und die Sendungen zusammenstellen, wenig
formale Qualifikation brauchen, sind sie schwer durch Automaten zu
ersetzen. Denn die zu verpackenden Gegenstände weisen so unterschiedliche
Eigenschaften auf, dass Maschinen teilweise überfordert wären.
Bis 2035 führe die Digitalisierung in der Bundesrepublik unter dem Strich
nicht zum Abbau vieler Arbeitsplätze, schrieb das Forschungsinstitut der
Bundesagentur für Arbeit kürzlich in einer Studie. Teilen Sie diese
Einschätzung?
Im Großen und Ganzen klingt das realistisch. Wir verfügen ja über Erfahrung
mit Rationalisierung. In der bundesdeutschen Industrie arbeiten heute viel
weniger Leute als früher, und trotzdem steigt die Zahl der Beschäftigten.
Vor allem im Dienstleistungssektor entstehen mehr neue Jobs, als woanders
alte abgebaut werden. Freilich sollte man ehrlich sein: Ob dieser
Auffangprozess unter dem Vorzeichen der Digitalisierung so weiterläuft,
wissen wir einfach nicht.
Sie plädieren dafür, die Modernisierung zu „entschleunigen“. Warum?
Die größte Gefahr sehe ich darin, dass wir mit Verweis auf den
Standortwettkampf relativ unkritisch alles vorantreiben oder zumindest
mitmachen, was technisch möglich erscheint. Aber hängt unser Wohlstand
wirklich von der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz ab? Überschätzen
wir nicht ihre Potenziale – und unterschätzen die Gefahren, etwa die
mögliche Überwachung der Bürger durch Datensammlungen? Wir sollten
versuchen, souverän und autonom darüber zu diskutieren, welche Technologien
unsere Gesellschaft zu welchem Zweck anwenden will, und uns so viel Zeit
nehmen wie nötig, um verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.
23 Feb 2019
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Florian Butollo
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