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# taz.de -- Debatte Künstliche Intelligenz: Wunderwaffe als Herrschaftssystem
> Haushalt, Verkehr, Militär: Die Diskussion um KI-gesteuerte Maschinen
> wird vielfältiger. Nur: Wie intelligent ist „künstliche Intelligenz“?
Bild: Dumm, dümmer, KI? Oder doch eher: Nur so dumm oder schlau, wie die Mensc…
Die [1][sogenannte künstliche Intelligenz (KI)] ist derzeit in aller Munde.
Computer, die Menschen nachahmen: Bei der KI handelt es sich um eine
vielversprechende neue Technologie. Ihre Anwendung wird aber auch Alltag
und Gesellschaft radikal verändern. Sorgen bereiten sollte uns dabei
weniger die Technik selbst als vielmehr die Tatsache, dass sie von den
größten Unternehmen der Menschheitsgeschichte entwickelt und gestaltet
worden ist, die sie auch künftig betreiben wollen.
Diese Unternehmen beeinflussen damit auch wesentlich, was KI kann und was
nicht, wofür sie benutzt werden wird und wofür nicht. Denn wie man auch an
Dieselautos, Kriegswaffen oder dem Internet sieht, gibt es nicht die
Technik, sondern jeweils ganz unterschiedliche Versionen und
Entwicklungspfade.
In der Öffentlichkeit werden meist die möglichen Vorteile von künstlicher
Intelligenz dargestellt und dann immer nur deren unmittelbare soziale
Folgen diskutiert, wie am Beispiel des KI-gesteuerten autonomen Autos: Es
heißt, wir könnten künftig lesen oder mit den Kindern spielen, während wir
an unsere Ziele gefahren werden. Es gebe dank KI und Vernetzung der Autos
auch weniger Unfälle und weniger Staus.
Ob das stimmt, muss sich erst noch zeigen. Ausgeblendet wird dabei aber,
dass die zukünftige Bedeutung von KI sich nicht auf selbstfahrende Autos
beschränkt. Ein besonders kritischer Punkt ist eine [2][möglicherweise
militärische Nutzung]. Parallel zu selbstfahrenden Autos werden
selbstfahrende Panzer, selbstständig kämpfende Roboter und selbst
organisierte Drohnen für Überwachung und Luftangriffe entwickelt und
gebaut.
Die Technologie soll außerdem voraussagen können, wo demnächst welche
Verbrechen begangen werden und wen man am besten schon vorher verhaftet. In
China werden künftig die Einwohner KI-gestützt mit Punkten bewertet, damit
der Staat die guten von den schlechten Bürgern unterscheiden kann. [3][Wozu
wohl?] Bald werden auch Start-ups gegründet werden, die Journalisten und
womöglich Politiker durch KI ersetzen, kann KI doch viel preiswerter
Artikel schreiben und Entscheidungen viel effizienter treffen.
## Technik und die Interessen der Entwickler
Derzeit erinnert die öffentliche Diskussion insgesamt daran, wie einst die
Atomkraft eingeführt wurde: Alles wird technisch prima, und den Rest
kriegen wir auch noch hin. Wir brauchen aber stattdessen eine
grundsätzliche Debatte und auf breiter Ebene eine Verständigung darüber,
wie wir als Gesellschaft mit künstlicher Intelligenz umgehen wollen. Wie
kann KI zu Demokratie und Frieden, zur Achtung der Menschenrechte und zur
Selbstverwirklichung beitragen statt nur zu maximalen Gewinnen von
Facebook, Google und Apple?
Im öffentlichen Dialog wird ausgeblendet, dass Technik immer längs der
Interessen der Entwickler entsteht und auch nicht einfach zu einer
Gesellschaft dazukommt, sondern dass sie in die Gesellschaft
hineinorganisiert werden muss. Davon hängt es aber vor allem ab, wie sie
sich auf Gesellschaft, Demokratie und Zusammenleben auswirkt.
Autos waren einmal eine solche Neuheit. Sie benötigten Straßen,
Verkehrsregeln, Parkplätze, Fabriken, Tankstellen. Die in diesem Kontext
entstandenen Konzerne verdienen sich heute noch mit immer mehr Autos und
deren Nutzung dumm und dämlich. Der öffentliche Raum und die Atemluft der
Menschen wurden dabei auf rücksichtslose Weise zerstört. Ähnliche
Entwicklungen lassen sich bei der Atomkraft aufzeigen, die letztlich nur
durch die Einschränkung bürgerlicher Rechte durchgesetzt werden konnte. Und
die Computertechnologie entstand mit dem Versprechen, neue
Kommunikationsformen, bessere soziale Beziehungen und mehr Teilhabe möglich
zu machen.
Anfangs gab es dann beispielsweise selbst organisierte lokale soziale
Netze, die den Menschen und ihrem Zusammenleben dienten. Heute ist das
alles von dem Datenkraken Facebook verschluckt und monopolisiert, der mit
„Social Media“ völlig irreführend bezeichnet wird. Denn den Betreibern ge…
es um Geld und Macht, die sie sich dadurch sichern, dass sie die
Kommunikation ihrer Nutzerinnen und Nutzer auf ihr Geschäftsmodell hin
optimieren. Es besteht darin, sie an eine wahre Werbeflut zu verkaufen.
## Gefährliche Monopole
Auch auf anderen Feldern sind gefährliche Monopole entstanden: Google
kontrolliert unser Wissen, Amazon die materiellen Bedürfnisse, YouTube und
Instagram bestimmen unsere Bilderwelten. Zusammen mit einigen weiteren
weltweit tätigen Internetgiganten setzten sie sich heute immer
aufdringlicher im Leben der Menschen fest, indem sie mehr und mehr Bereiche
menschlichen Kommunizierens und Handelns organisieren und kontrollieren.
Jetzt kommt die künstliche Intelligenz auf uns zu. Da sollten wir nicht bei
der Diskussion versprochener Vorteile stehen bleiben. Am Beispiel von
KI-gesteuerten Autos sollten wir vielmehr fragen: Von wem und wie werden
das Verkehrswesen, der öffentliche und städtische Raum und unsere
Umweltbedingungen künftig organisiert? Wir werden jedenfalls keinen wie
bisher von der Kommunalpolitik bereitgestelltenen öffentlichen Nahverkehr
mehr haben. Niemand sollte davon träumen, dass er künftig statt im Bus
bequem im selbstfahrenden Elektro-Mercedes zu seinem Ziel geschaukelt wird.
Vielmehr wird es große und kleine, schnelle und langsame, bequeme und
unbequeme, pünktliche und unpünktliche, jedenfalls teure und noch teurere
Beförderungsmodi geben, und alle Fahrzeuge werden statt Fenstern
Bildschirme haben, über die lauthals personalisierte Werbung läuft. Denn
auch hier werden gigantische international tätige Firmen wie Uber die Sache
gewinnbringend in die Hand nehmen – und zu deren Geschäftspraktiken gehören
bekanntlich Rechtsbrüche, Kundenbetrug, Mitarbeiterausbeutung und jede
Menge Druck auf Politik und Öffentlichkeit. Auf Fußgänger, Fahrradfahrer
und sonstige kulturelle Besonderheiten werden sie dabei kaum Rücksicht
nehmen.
In Zukunft werden auch immer mehr menschliche Lebensbereiche KI-gestützt
neu organisiert werden: die Bildung, die Musik und Unterhaltungsbranche,
sicher auch die Bürokratie, die halt noch etwas länger braucht. Der Handel
optimiert den Umgang mit seinen Kunden, in den Betrieben werden
Arbeitsprozesse von Computern übernommen, Polizei und Justizverwaltung
erproben KI für Aufklärung, Kontrolle und Fahndung. Im Gesundheitsbereich
soll KI Epidemien voraussagen, medizinische Diagnosen stellen und dem
Chirurgen das Skalpell führen. KI kann aber auch unerwünschte Kranke
aussortieren oder als Querulanten eingestufte Patienten blockieren: Je nach
Programmierung können die jeweiligen Geschäftsmodelle auf attraktive oder
auf grauenhafte Weise durchgesetzt werden.
## Lauschende Wunschmaschinen
Grundsätzlich geht es darum, dass KI manches übernehmen kann, was bisher
nur Menschen leisten konnten. Derartige KI-gesteuerte Algorithmen operieren
aber völlig intransparent. Die Betroffenen werden nicht gefragt, es gibt
keine wirksame rechtliche oder demokratische Kontrolle. So gut wie niemand
weiß beispielsweise heute, welche Daten sein oder ihr Auto bereits
aufzeichnet und was damit geschieht. Auch werden in immer mehr Haushalten
KI-gesteuerte Smartspeaker wie Siri, Alexa oder der Google Assistant als
Familienmitglieder aufgenommen, aber es bleibt völlig unklar, was genau
diese lauschenden Wunschmaschinen eigentlich tun.
Insgesamt sollten wir davon ausgehen, dass die von weltweit agierenden
Monopolen kontrollierte KI sich von einer eigentlich menschenfreundlichen
Technik derzeit zum Kern eines neuen Herrschaftssystem entwickelt, mittels
dessen der Kapitalismus alle lohnenden Bereiche des menschlichen Lebens
durchdringt und kolonisiert.
Fassen wir nun zusammen: Nicht KI oder ihre möglichen Vorteile sind das
Entscheidende, das wir diskutieren müssen. Vielmehr geht es um die Frage,
wie und wozu sie entwickelt und in die Gesellschaft hineinorganisiert und
betrieben wird. Sie kann helfen – und sie kann unterdrücken. Wenn die
Internetgiganten die Bürgerinnen und Bürger erst einmal zum Objekt
KI-gesteuerter Algorithmen gemacht haben, wird das nur schwer zu ändern
sein.
Aber die zukünftige Entwicklung der Menschheit darf so nicht festgelegt
werden. Die Verwendung von KI muss vielmehr mithilfe des Staates
demokratisch und unter wesentlicher Beteiligung der Zivilgesellschaft
gestaltet werden.
## Künstliche „Intelligenz?“
Ein erster Schritt dazu könnte es sein, sich klarzumachen, dass der Begriff
der künstlichen Intelligenz seit den 1950er Jahren, als noch ehrfürchtig
vom „Elektronengehirn“ die Rede war, eine völlig übertriebene
Vermenschlichung von Computern beinhaltet. Gewiss, Computer, die ihre
Aufgaben mithilfe von KI erledigen, können viele Probleme oft schneller
und systematischer erledigen als Menschen. Von daher sind sie ein
effizientes Instrument, und für so zu bearbeitende Probleme sollten wir sie
benutzen.
Aber es sind nur ganz bestimmte Probleme, die mittels KI, also letztlich
mit statistischen Verfahren auf hypothetischer Ebene gelöst werden können.
Computer haben keinen Körper und machen keine Erfahrungen, sie wissen
nichts von Gendergerechtigkeit, Empathie, Solidarität oder Ethik. Sie
können zwar Daten übertragen und menschliche Sprache verwenden, aber das
ist kein Kommunizieren, nur eine Simulation menschlichen Kommunizierens.
Sie können nicht verstehen und auch nicht lernen. Von daher sollten wir
nicht von künstlicher Intelligenz sprechen, sondern von
Problemlösekapazität. Sonst vernebelt diese falsch verstandene Technik doch
noch das menschliche Denken.
13 Jan 2019
## LINKS
[1] /kuenstliche-Intelligenz/!t5025529
[2] /Petition-der-Woche--autonome-Waffen/!5521072
[3] /Big-Data-und-Ueberwachung-in-China/!5431172
## AUTOREN
Friedrich Krotz
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