# taz.de -- Autor über das solare Zeitalter: „Wir sind am Anfang des Wandels… | |
> Science-Fiction-Autor Hans-Arthur Marsiske über Stanley Kubrick, | |
> bewaffnete Roboter und den Respekt vor unbekannter Intelligenz. | |
Bild: Testet Grenzen aus: Science-Fiction-Autor Hans-Arthur Marsiske | |
taz: Herr Marsiske, in Ihrem Roman „Die letzte Crew des Wandersterns“ | |
stellen Sie die Raumstation ISS einem vollkommen isoliert lebenden | |
Inselvolk gegenüber. Warum? | |
Hans-Arthur Marsiske: Mich fasziniert, dass es auf der Erde immer noch | |
Völker gibt, die von der Zivilisation völlig unberührt sind. Ich halte das | |
für einen ungeheuer wertvollen Schatz, den wir aber paradoxerweise nicht | |
bergen können, ohne ihn zu zerstören. Die Raumstation ist so etwas wie ein | |
Gegenpol dazu. Ich wollte, dass die beiden einander sehr fremden Kulturen, | |
die hochtechnisierte und die archaische, sich auf Augenhöhe begegnen. Die | |
magisch-mythologische Sicht auf die Welt und die wissenschaftliche sollten | |
als gleichwertig erscheinen. | |
Sind Sie ein spiritueller Mensch? | |
Ich folge keiner Religion oder geistigen Lehre. Ich glaube aber, dass die | |
Menschheit einer neuen geistigen Orientierung bedarf. Die großen Religionen | |
sind nicht in der Lage, den Wandel, in dem wir uns befinden, zu begleiten. | |
Was für einen Wandel meinen Sie? | |
Der Wandel in das solare Zeitalter. Er steht im Mittelpunkt meiner gesamten | |
Arbeit. In meinem Roman verweise ich auf die Kardaschow-Skala, ein sehr | |
einleuchtendes Schema. Darin werden drei Stufen von Zivilisationen | |
definiert. Die erste Stufe bedient sich der Energie des Heimatplaneten. Die | |
zweite Stufe der des Heimatsterns, in unserem Fall die Sonne, und die | |
dritte Stufe nutzt die gesamte Energie der Heimatgalaxis. Wir befinden uns | |
also am Anfang des Übergangs von der ersten zur zweiten Stufe und ich | |
wünsche mir, dass er gelingt. | |
Deshalb beschäftigen Sie sich auch als Journalist mit der technologischen | |
Entwicklung? | |
Genau. Der Regisseur Stanley Kubrick trägt da jedoch eine Gewisse | |
Hauptschuld. Als ich den Film „2001: Odyssee im Weltraum“ gesehen habe, | |
fing meine Pubertät an und es war die Zeit, in der Apollo 8 zum Mond flog … | |
… und die sexuelle Revolution begann. | |
Das hat mich ganz schön durcheinandergebracht und gleichzeitig fasziniert. | |
In den Neunzigerjahren habe ich dann das wissenschaftliche Gebiet für mich | |
entdeckt und mir Gedanken über Emotionen und Computer gemacht. Da wurde mir | |
bewusst, dass alle Themen, mit denen ich mich beschäftige, irgendwie in dem | |
Film stecken: das kosmische Bewusstsein, die große Geschichte. Für mich ist | |
der Film ein philosophisches Werk und eine Art Heiligtum. Ich reagiere | |
immer noch allergisch, wenn sich jemand abfällig über den Film äußert. | |
Glauben Sie, die konstruierten Grenzen der Geschlechter werden in Zukunft | |
weiter verwischen? | |
Ich habe selber immer wieder versucht, die Grenzlinie auszutesten. Wann | |
fühle ich mich noch als Mann in Frauenkleidern, und wann als Frau? Momente, | |
in denen ich mich als Frau fühlte, habe ich immer sehr genossen und mich | |
dabei sehr frei gefühlt. Früher habe ich mir noch mehr Mühe gegeben, auch | |
nach außen wie eine Frau zu wirken, habe mir die Brust ausgestopft, | |
Perücken aufgezogen und mich geschminkt. Mein Ideal war es, auszusehen wie | |
eine 17-Jährige. Davon bin ich mittlerweile Lichtjahre entfernt. | |
Haben sich die Reaktionen mit der Zeit verändert? | |
Ja, die Leute auf der Straße gehen mittlerweile erstaunlich entspannt damit | |
um, wenn ich Kleider und hochhackige Schuhe trage. Ich kriege eher | |
Komplimente als blöde Sprüche zu hören. Unter den gesellschaftlichen | |
Veränderungen, die ich im Lauf meines Lebens erlebt habe, ist das die | |
bemerkenswerteste. Und jetzt, mit der Veröffentlichung des Romans, habe ich | |
noch ein größeres Bedürfnis, mich so zu zeigen, wie ich mich am wohlsten | |
fühle – und das ist nun mal mit Frauenkleidern. | |
Sie sind Robotersportreporter. Wie kam es dazu? | |
1999 habe ich das erste Mal über einen Robo-Cup berichtet. Damit war ich | |
vielleicht der erste Sportreporter dieser Art. Beim Robo-Cup treten Teams | |
mit selbstgebauten und programmierten Robotern gegeneinander an und spielen | |
Fußball. Für Spiegel online habe ich damals einen Livestream aus Stockholm | |
kommentiert – damals noch eine komplizierte Angelegenheit. | |
Was hat Sie daran gereizt? | |
Zum einen war ich von der Vision beeindruckt, bis zum Jahr 2050 mit | |
Robotern die Fußball-WM gewinnen zu wollen – ein ähnlich nutzloses und | |
zugleich inspirierendes Ziel wie die Landung von Menschen auf dem Mond. Ich | |
fand das toll, aber vor allem hat der Robo-Cup ein neues Verständnis von | |
Intelligenz geschaffen. | |
Welches? | |
Verkörperte Intelligenz. Die Idee, dass Intelligenz einen Körper braucht. | |
Der Robo-Cup hat dem ein Forum gegeben. Hier geht es zunächst einmal um | |
vermeintlich „einfache“ Wahrnehmung. Wo ist der Ball? Wo ist das Tor? | |
Obwohl man Fußball ja nicht unbedingt mit Intelligenz verbindet, ist das | |
ein schöner Rahmen für einen solchen Graswurzelansatz zur Bildung | |
künstlicher Intelligenz. | |
Auch die Nato nutzt ja einen Wettbewerb, um autonome Systeme zu testen. | |
Genau, von der Roboterleistungsschau Elrob (European Land-Robot Trial) | |
berichte ich ebenfalls. Dort treten Roboter von Firmen und | |
Forschungsinstituten auf einem Hindernisparcours gegeneinander an, auch im | |
offenen Gelände. Noch bekannter sind wohl die Roboterwettbewerbe der | |
Militärforschungsbehörde Darpa in den USA. Um den Stand der Technik | |
nachvollziehen zu können, sind solche Wettbewerbe enorm aufschlussreich. | |
Die technologische Entwicklung in der Rüstungsindustrie behandeln Sie auch | |
in Ihren Texten. Welche Folgen wird das haben? | |
Ich bin der Überzeugung, dass mit der Bewaffnung der Drohnen eine rote | |
Linie überschritten wurde. Das hat eine Rüstungsspirale in Gang gesetzt, | |
die unvermeidlich auf autonome Waffensysteme hinauslaufen wird – die | |
angeblich niemand will. | |
Sie haben auch von Konferenzen der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik | |
berichtet. | |
Da habe ich miterlebt, wie die Bewaffnung von Robotern voranschreitet. Die | |
Bundeswehr hat die öffentliche Diskussion darüber lange Zeit gemieden. Auf | |
einer Konferenz im Jahr 2009 sprachen dann mindestens fünf Vertreter der | |
Bundeswehr ganz freimütig darüber, wie schön es wäre, wenn die Drohnen | |
bewaffnet wären. | |
In einer öffentlichen Veranstaltung war das möglich? | |
Nun ja, die waren es offenbar nicht gewohnt, dass jemand von der | |
allgemeinen Presse im Publikum saß. Mein Artikel hat dazu geführt, dass die | |
grüne Bundestagsfraktion eine Anfrage mit dreißig Fragen zu unbemannten | |
Systemen an den Bundestag formulierte und die öffentliche Diskussion über | |
die Bewaffnung von Robotern in Gang kam. | |
Welche ethischen Fragen stellen sich mit der Expansion in den Weltraum? | |
Der Mikrobiologe Charles Cockell hat einmal gefordert, dass, sollten wir | |
außerirdisches Leben finden, wir bis zum Beweis des Gegenteils davon | |
ausgehen sollten, dass es intelligent ist. Ich würde sogar sagen, | |
Intelligenz ist gar nicht das entscheidende Kriterium, sondern | |
Empfindungsfähigkeit oder Leidensfähigkeit. Auch wenn es nur Mikroben | |
sind. | |
Warum ist das so wichtig? | |
Vor 500 Jahren haben wir in Amerika und Afrika Völkermorde begangen, weil | |
wir die einheimischen als primitive Völker betrachtet haben. Ich denke, | |
dass darf kein Kriterium sein, wenn wir zu anderen Welten aufbrechen. | |
Ähnliches gilt für künstliche Intelligenz: Was wir heute erfinden, könnte | |
sich früher oder später zu einer empfindungsfähigen Lebensform entwickeln – | |
und verdient entsprechenden Respekt. | |
Künstliche Intelligenz hilft auch bei der Automatisierung der Arbeitswelt. | |
Ist das gut? | |
Auf jeden Fall. Arbeit muss nicht mehr anstrengend sein. Heute haben wir | |
Technologien, die uns vieles abnehmen können. Das ist eine riesige Chance. | |
Die Automatisierung führt zwar nicht automatisch zu einer besseren | |
Gesellschaft, das müssen die Menschen immer noch selbst machen, doch die | |
Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen zeigt, dass ein neues | |
Verständnis von Arbeit entsteht. An einer menschenleeren Fabrik finde ich | |
nichts Erschreckendes. | |
Wie sehen Sie die Zukunft der Mobilität? | |
Laufend. Momentan betreiben wir Mobilität um ihrer selbst willen. Das ist | |
ein aufgeregtes Hin- und Herfahren. In Zukunft werden wir die Städte und | |
unser Leben anders gestalten und weniger auf Mobilität angewiesen sein. Das | |
wird dauern und es fehlt noch ein klares Zeichen, dass man sich der Sache | |
annimmt. Niemand kann doch ernsthaft wollen, dass in zwanzig Jahren immer | |
noch alles zugeparkt ist. | |
Sind solche Probleme nicht dringender als das Vorhaben, den Weltraum zu | |
erschließen? | |
Ich denke, Frieden und Fortschritt auf der Erde gehen mit einem | |
Weltraumprojekt Hand in Hand. Um den Weltraum zu erschließen, brauchen wir | |
klar formulierte Ziele und müssen auf Kooperationen bauen. Dahinter könnte | |
sich die Menschheit versammeln und aus vermeintlich Nutzlosem Großes | |
erreichen. | |
3 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Till Wimmer | |
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