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# taz.de -- NSU-Prozessrichter Manfred Götzl: Auf der anderen Seite
> Im NSU-Prozess sprach er ein historisches Urteil, dann wurde es ruhig um
> Götzl. Nun trat er im Brandenburger NSU-Untersuchungsausschuss auf.
Bild: Richter Manfred Götzl 2013, kurz vor dem Start des NSU-Prozess in Münch…
Potsdam taz | Es war sein großer Auftritt. Am 11. Juli 2018 sprach Manfred
Götzl im Münchner Oberlandesgericht [1][das Urteil im NSU-Prozess], nach
mehr als fünf Jahren und 438 Verhandlungstagen: lebenslange Haft für die
Hauptangeklagte Beate Zschäpe, dazu Haftstrafen bis zu zehn Jahre für vier
Helfer. Kamerawagen belagerten noch einmal das Gericht, Zuhörer warteten
schon in der Nacht vorm Saal. Ein letzter großer Moment, von Götzl
dirigiert. Dann wurde es ruhig um den Richter.
Bis Donnerstag. Da trat der 65-Jährige erstmals wieder öffentlich auf.
Götzl war in den Brandenburger NSU-Untersuchungsausschuss geladen. Ein
Rollenwechsel: Im NSU-Prozess war er es noch, der mit Strenge und Akribie
die Fragen stellte, den Prozess zusammenhielt. Nun bekam Götzl die Fragen
gestellt.
Berichten sollte er über einen besonderen Zeugenauftritt in seinem Prozess:
den des früheren Brandenburger V-Manns Carsten „Piatto“ S. Voll kostümiert
erschien der Ex-Neonazi damals, und auch das nur nach Widerständen der
Landesregierung. Die Abgeordneten im Potsdamer U-Ausschuss fragen sich, ob
damit etwas vertuscht werden sollte. Denn „Piatto“ ist eines der großen
Fragezeichen im NSU-Komplex. Schon 1998 wies er den Verfassungsschutz auf
das untergetauchte Trio hin, das Überfälle begehe, benannte auch
Kontaktleute der Drei. Die Hinweise aber versandeten.
Die Auflagen des Brandenburger Innenministeriums für „Piattos“
Zeugenaussage seien in seinem Prozess einzigartig gewesen, berichtet nun
Götzl. Das Ministerium wollte zuerst, dass „Piatto“ ganz unter Ausschluss
der Öffentlichkeit aussagte, dazu noch mit verzerrter Stimme. Auch als
dessen V-Mann-Führer später befragt wurde und Götzl dessen mitgebrachte
Unterlagen einsehen wollte, reagierte das Land harsch: Es erklärte einen
Sperrvermerk für die Akte.
## Götzl bleibt wortkarg
Götzl berichtet, wie er das Innenministerium damals auf Rechtsfehler
verwies und sich am Ende durchsetzte: „Piatto“ wurde öffentlich befragt,
der Sperrvermerk der Akte schließlich aufgehoben. Sonst aber bleibt Götzl
äußerst wortkarg. Wie er die Auftritte von „Piatto“ und dessen
V-Mann-Führer im NSU-Prozess bewerte, dazu dürfe er nichts sagen, betont er
wiederholt. Das gehöre zur Beweiswürdigung, und noch sei das NSU-Verfahren
ja nicht abgeschlossen.
Tatsächlich schreiben Götzl und seine Mitrichter noch an der schriftlichen
Urteilsbegründung, mehrere hundert Seiten werden es wohl. Zum Stand dazu
will er auf taz-Nachfrage nichts sagen. Auch die Abgeordneten können dazu
nicht nachfragen, es gehört nicht zu ihrem Untersuchungsauftrag.
Dabei lässt das NSU-Urteil bis heute Fragen offen. Götzl hatte den
historischen Moment damals äußerst nüchtern gestaltet, das Urteil rein
juristisch verlesen. Zur gesellschaftlichen Einbettung der rechtsextremen
Terrorserie sagte er nichts, auch zum Leid der Opfer nicht. Und bei den
Urteilen für die NSU-Helfer blieb Götzl teils weit unter den Forderungen
der Bundesanwaltschaft. Einen Verurteilten, André Eminger, entließ Götzl
noch im Gerichtssaal in die Freiheit. Auf der Zuhörerempore jubelten
Neonazis. Viele Opfer-Angehörige empfinden das NSU-Urteil deshalb bis heute
als Enttäuschung.
## Richter macht Karriere
Götzl aber geht es nun darum, mit der schriftlichen Begründung sein Urteil
rechtssicher zu bekommen, jeder Satz muss stimmen. Alle Angeklagten haben
Revision angekündigt, die Bundesanwaltschaft für den Fall Eminger ebenso.
Am Ende wird der Bundesgerichtshof darüber entscheiden.
Götzl indes hat schon eine neue Aufgabe: Er wurde im Dezember zum
Vizepräsidenten des neuen Obersten Bayrischen Landesgerichts ernannt. Von
„einer der herausragendsten Richterpersönlichkeiten“ schwärmt Präsident
Hans-Joachim Heßler. „Ein Wunschkandidat.“ Derzeit aber ist Götzl weiter
ans Münchner Oberlandesgericht abgeordnet: um dort sein NSU-Urteil zu Ende
zu schreiben.
10 Jan 2019
## LINKS
[1] /Urteile-im-NSU-Prozess/!5517273
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Untersuchungsausschuss
Brandenburg
NSU-Prozess
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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