# taz.de -- LGBT in Namibia: Flagge zeigen für Gleichstellung | |
> Polizisten beschützen Pride-Paraden, Kirchen öffnen sich, koloniale | |
> Gesetze stehen auf dem Prüfstand: In Namibia kommt die LGBT-Bewegung | |
> voran. | |
Bild: Teilnehmer*innen des ersten LGBT Prides in Namibia, Juni 2016 in Swakopmu… | |
WINDHOEK taz | Eine riesige Regenbogenfahne ausgerechnet vor seinem Denkmal | |
in Namibias Hauptstadt Windhoek: Wie Sam Nujoma, der den offiziellen Titel | |
„Gründungsvater der namibischen Nation“, trägt, das wohl findet? Der 89 | |
Jahre alte Ehrenvorsitzende der Regierungspartei Swapo, der das Land 1990 | |
in die Unabhängigkeit führte und bis 2005 als Präsident amtierte, hatte | |
noch vier Jahre vor seinem Rückzug aus der Politik erklärt, Namibia erlaube | |
keine „Homosexuellen und keine Lesben“ auf seinem Territorium, diese | |
sollten stattdessen „festgenommen, deportiert und ins Gefängnis gesteckt“ | |
werden. | |
Und nun demonstrieren Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle (LGBT) am 1. | |
Dezember 2017 mit einer Pride-Parade für mehr Gleichberechtigung. Und sie | |
beginnen ihren Protestzug ausgerechnet vor der Statue Nujomas. Namibia, das | |
wird an diesem Tag an diesem Ort sehr deutlich, wandelt sich. Zwar erschien | |
die Polizei beim zweiten Pride-Umzug in der Geschichte Windhoeks – aber | |
nicht, um die rund 250 Demonstranten zu verhaften, sondern um sie zu | |
schützen. | |
„Zu gewaltsamen Vorfällen kam es aber gar nicht, stattdessen herrschten ein | |
Gefühl von Gemeinschaft und eine feierliche Stimmung“, sagte Mitorganisator | |
Friedel Dausab, Direktor der Menschenrechtsorganisation Out-Right Namibia, | |
gegenüber der taz. Auch an anderen Orten des Landes stießen die | |
Pride-Paraden auf ein positives Echo, so eine Woche später in der | |
viertgrößten Stadt Swakopmund. | |
Carlichia Pretorius, [1][die den ersten Pride in Swakopmund vor zwei Jahren | |
mitorganisiert hat,] erinnert sich, dass sie vor Beginn dieser ersten | |
Demonstration nervös auf die Reaktionen von Polizei und Öffentlichkeit | |
wartete. „Als uns dann aber gleich zu Beginn der Demo ein Polizeioffizier | |
zugelächelt hat, löste sich die Stimmung“, sagt sie. Und von Seiten der | |
Bevölkerung erfuhr die Demonstration freundlichen Applaus. | |
## Geist der Kolonialzeit | |
LGBT-Aktivistinnen und Aktivisten machen ihre Erlebnisse Mut. Um den | |
Rückenwind auch auf politischer Ebene nutzen zu können, haben sich 2017 | |
mehrere LGBT-Organisationen zum Dachverband der Diversity Alliance Namibia | |
(DAN) zusammengeschlossen. Ihr Ziel: [2][Die rechtliche und | |
gesellschaftliche Gleichstellung aller Namibier,] egal ob hetero oder homo, | |
bi oder trans. | |
Dem stehen allerdings noch ein paar Hürden im Weg. Die größte ist das | |
namibische Rechtssystem. Es atmet weiterhin den Geist der Kolonialzeit – | |
[3][denn damals beschlossene Gesetze sind nach der Unabhängigkeit in Kraft | |
geblieben.] Sex zwischen Männern, „Sodomie“ genannt, ist in Namibia noch | |
strafbar, weil die seit der Unabhängigkeit ununterbrochen regierende Partei | |
Swapo bislang keinen Grund sah, das Verbot abzuschaffen. | |
In der Strafprozessordnung wird schwuler Sex sogar auf derselben Stufe wie | |
Mord, Vergewaltigung oder Landesverrat geführt. Dies erlaubt der Polizei | |
theoretisch, Verdächtige auch ohne Gerichtsbeschluss vorläufig festzunehmen | |
und sogar tödliche Gewalt einzusetzen. Aktivisten kritisieren dies als | |
völlig unverhältnismäßig. Allerdings wurde seit der Unabhängigkeit Namibias | |
kein schwuler Mann aufgrund der entsprechenden Paragrafen verurteilt. | |
„Trotzdem können diese Gesetze leicht für Erpressungen genutzt werden“, | |
sagt Friedel Dausab von Out-Right Namibia. Sie führen auch zu Angst und | |
Unsicherheit. Mehr als 18 Prozent der schwulen Namibier hatten einer Studie | |
aus dem Jahr 2009 zufolge Angst davor, zum Arzt zu gehen. Ihre Befürchtung | |
ist, gegen ihren Willen geoutet zu werden, sollten sie mit dem Mediziner | |
über ihre sexuelle Orientierung sprechen. | |
## Absurde Konsequenzen | |
Die Gesetze haben noch weitere, absurd scheinende Konsequenzen: In den | |
Gefängnissen werden beispielsweise keine Kondome zur Verfügung gestellt – | |
diese könnten ja homosexuelle Handlungen unter den Gefangenen fördern, so | |
die Sorge der Behörden. Tatsächlich steigt aber vor allem das Risiko, dass | |
sich Gefangene beim Sex hinter Gittern mit HIV infizieren. Und obwohl | |
lesbische Frauen nicht direkt im Gesetz erwähnt werden, führt die mit ihm | |
verbundene Stigmatisierung dazu, dass auch sie ihre sexuelle Orientierung | |
geheim halten wollen. Immer wieder werden deshalb Vergewaltigungen durch | |
Männer nicht angezeigt, weil die Frauen befürchten, dass im Laufe des | |
Prozesses auch ihre Sexualität zur Sprache kommt. | |
Aus mehreren Gründen hoffen die Aktivisten, das Sodomie-Verbot kippen zu | |
können. Zum einen ist der derzeit amtierende Präsident Namibias, Hage | |
Geingob, auch einer der Autoren der namibischen Verfassung. Er betont | |
öffentlich stets den in der Verfassung festgeschriebenen Schutz der | |
Menschenwürde und die Achtung der Menschenrechte aller. Zum anderen spricht | |
sich McHenry Venaani, der Präsident von Namibias größter Oppositionspartei, | |
dem Popular Democratic Movement, für die Abschaffung des Sodomie-Verbots | |
aus. | |
Schließlich sind mehrere Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof anhängig, | |
die Zeichen setzen können. In einem Fall klagen ein Namibier und ein | |
Südafrikaner, die in Südafrika geheiratet und einen Sohn adoptiert haben, | |
auf Anerkennung ihrer Ehe auch in Namibia. | |
Unterstützung für ihre gesellschaftspolitisch konservativen Vorstellungen | |
findet die Swapo vor allem in den ländlichen Gebieten. Außerhalb der | |
Ballungszentren ist Namibia äußerst dünn besiedelt – die durchschnittliche | |
Bevölkerungsdichte zählt sogar zu den niedrigsten der Welt. Der Einfluss | |
der Kirchen ist hoch, die soziale Kontrolle ebenfalls. Für Angehörige | |
sexueller Minderheiten kann das Leben auf dem Land nach wie vor schwierig | |
sein, sagt Friedel Dausab. Auch deshalb zogen in den vergangenen Jahren | |
viele LGBTs in die Städte. | |
## Enorme soziale Ungleichheit | |
Dort finden LGBTs immer öfter Gehör. So trat im März 2018 in Windhoek die | |
bekannte Sängerin Priscilla bei einer Solidaritätsveranstaltung für LGBT | |
unter dem Titel „Love Yourself“ zusammen mit Drag-Queens auf. Nach der Show | |
diskutierten die Gäste, unter anderem über Gewalterfahrungen. „Wenn wir mit | |
Stars wie Priscilla zusammenarbeiten, erreichen wir eine viel größere | |
Öffentlichkeit, um unsere Probleme anzusprechen“, sagt Rodelio Bonito | |
Lewis, einer der Teilnehmer. | |
Der Schauspieler, der unter anderem im National Theatre, dem größten | |
Theater Windhoeks, auf der Bühne steht, trat unter Künstlernamen Miss Mavis | |
selbst als Drag Queen auf. In den Theatern und auch in den Medien sind | |
LGBTs in den letzten Jahren sichtbarer geworden, sagt er. So übernahm er | |
selbst im Jahr 2014 eine Rolle in dem LGBT-Stück „Prime Colours“, dem | |
ersten seiner Art, das jemals in einem staatlichen Theater in Windhoek | |
aufgeführt wurde – und das prompt zwei Preise gewann. | |
Junge Namibier berichten zudem, dass ihnen ihr Coming-Out gegenüber | |
Familien und Freunden in den letzten Jahren leichter falle. Sollte es | |
dennoch Probleme geben, bieten inzwischen mehrere Organisationen | |
Unterstützung an. „So etwas hat es früher gar nicht gegeben“, sagt der 23 | |
Jahre alte Rodelio. Langsam wache die Gesellschaft auf, meint auch | |
Carlichia Pretorius aus Swakopmund: „Die Leute fühlen sich freier, und das | |
ist natürlich eine positive Entwicklung.“ Selbst bei einigen Kirchen mehren | |
sich die Zeichen für Wandel. „In letzter Zeit hören wir immer wieder, dass | |
sich Kirchenführer dafür aussprechen, Schwule und Lesben zu respektieren, | |
selbst wenn sie die Öffnung der Ehe ablehnen“, berichtet Friedel Dausab. | |
Einige Aktivisten träumen sogar schon davon, Namibia neben Südafrika zum | |
zweiten Vorreiter für LGBT-Rechte im südlichen Afrika zu machen. Für | |
Pretorius kommt der Wandel gerade rechtzeitig. Mit einem Blick auf die | |
enorme soziale Ungleichheit und hohe Arbeitslosigkeit in Namibia sagt sie: | |
„Unsere Nation hat viele Probleme – die Diskriminierung von LGBT aber | |
sollte keins sein.“ | |
13 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mambaonline.com/2016/06/07/namibias-swakopmund-celebrates-first… | |
[2] /Hass-gegen-LGBT-Personen/!5521827 | |
[3] /LGBT-Aktivist-ueber-Urteil-in-Indien/!5533865 | |
## AUTOREN | |
Tobias Sauer | |
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