| # taz.de -- LGBT-Radio in Tunesien: Eine Stimme für queere Hörer*innen | |
| > „Shams Rad“ ist das erste queere Radioprogramm in der arabischen Welt. | |
| > Der Sender aus Tunesien ist dem Hass konservativer Geistlicher | |
| > ausgesetzt. | |
| Bild: Die feministische Aktivistin Amina Sbouï ist Moderatorin des queeren Rad… | |
| Es ist nichts weiter als ein kleines Radiostudio irgendwo in Tunis, aber | |
| die Vereinigung Tunesischer Imame sieht darin nicht weniger als „ein | |
| Propagandainstrument des Lasters und der Kriminalität“. Es geht um „Shams | |
| Rad“, den ersten queeren Radiosender in der arabischsprachigen Welt. Die | |
| Geistlichen haben den Sender gerade verklagt, und staatliche Behörden haben | |
| seine Räumlichkeiten daraufhin mit Überwachungskameras ausgestattet. | |
| Am Eingang finden Personenkontrollen statt. „Ich schätze, es ist zu unserer | |
| Sicherheit“, sagt Mounir Baatour, Leiter des Senders und der | |
| dahinterstehenden Association Shams. „Nichtsdestotrotz werden wir | |
| weitersenden, die Einschaltquoten steigen kontinuierlich.“ | |
| Shams Rad wird gerade ein Jahr alt. Als sich der kleine Sender im Dezember | |
| 2017 gründete, erreichten die Redaktion allein in den ersten zwei Wochen | |
| viertausend Hassmails. Vor allem konservative Geistliche verurteilen das | |
| Projekt, dennoch wird seitdem täglich ausgestrahlt, und Shams Rad ist | |
| inzwischen bereits fester Bestandteil der Kulturlandschaft Tunesiens. Und | |
| das, obwohl das nordafrikanische Land Homosexualität weiter kriminalisiert | |
| und mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug bestraft. | |
| Der Sender versucht, queeren Hörer*innen eine Stimme zu geben sowie gegen | |
| die Homophobie in der arabischen Welt anzusenden. Shams Rad ist benannt | |
| nach dem persischen, mittelalterlichen Mystiker Shams Tabrizi, über den | |
| Historiker*innen vermuten, dass er erotische Verhältnisse zu anderen | |
| Gelehrten pflegte. Eine Hommage an die Freizügigkeit historischer | |
| arabischer Gesellschaften in Bezug auf Homosexualität. | |
| ## Imame rufen zum Mord auf | |
| Die gegenwärtige Lage für die LGBTQ-Community in Tunesien ist hingegen | |
| katastrophal. [1][Imame rufen in Talkshows öffentlich dazu auf,] | |
| Homosexuelle von hohen Gebäuden zu werfen. Sowohl verbale als auch | |
| körperliche Angriffe sind Teil des Alltags. | |
| Um dem entgegenwirken zu können, kämpft der Verein Association Shams seit | |
| 2015 für die Rechte und Belange von sexuellen Minderheiten in Tunesien. Der | |
| Staat hat die Vereinigung sogar offiziell als Nichtregierungsorganisation | |
| anerkannt, was er jedoch in der Zwischenzeit bereut, sagt Shams-Präsident | |
| Baatour. | |
| „Als sich die staatliche Seite jedoch bewusst wurde, dass die Vereinigung | |
| die Rechte der LGBTQ-Community verteidigte, hat die Regierung vor Gericht | |
| ein Verfahren zur Auflösung von Association Shams eingeleitet.“ Das Gericht | |
| jedoch stellte das Verfahren ein. Bestärkt von der Entscheidung wurde der | |
| Radiosender gegründet. | |
| Gegenüber der taz erinnert sich Baatour: „Das größte Hindernis bestand | |
| darin, finanzielle Mittel aufzutreiben.“ Finanzielle Förderung kam | |
| schließlich von der niederländischen Botschaft, so konnte Shams die | |
| technische Einrichtung in der Sendezentrale in Tunis bezahlen. | |
| ## Import Homosexualität? | |
| Die Idee, gegen die Shams Rad ankämpft, ist die, [2][dass | |
| gleichgeschlechtliche Liebe ein Import sei.] Samir Dilou etwa, tunesischer | |
| Menschenrechtsminister von 2011 bis 2014, sprach damals von Homosexualität | |
| als „westlichem“ Konzept und sah Tunesien in einer arabisch-muslimischen | |
| Tradition, in der derartige „Perversitäten“ keinen Platz hätten. Diese | |
| Sicht ist weit verbreitet. | |
| Dabei unterschlägt sie, dass die Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher | |
| Handlungen ein Relikt der französischen Kolonialherrschaft ist und mit | |
| einer arabisch-muslimischen Tradition wenig zu tun hat. | |
| Shams Rad versucht, die Idee starkzumachen, dass die „Kategorie | |
| Homosexualität“ der Import ist, nicht das gleichgeschlechtliche Begehren an | |
| sich. Dass nämlich die binären Kategorien Homo- und Heterosexualität aus | |
| der viktorianischen Sexualethik des 18. und 19. Jahrhunderts stammen und | |
| nicht aus dem Islam. Homophobie ist zwar keine Erfindung der | |
| Kolonialmächte, aber ihr normatives Sexualkonzept mitsamt besagter | |
| Kategorien, haben sie in die arabische Welt exportiert. | |
| Ohne in eine postkoloniale Romantik zu verfallen, muss man anerkennen, dass | |
| bis ins 20. Jahrhundert kein einziger Fall in der islamischen | |
| Geschichtsschreibung dokumentiert ist, wo Homosexualität bestraft wurde. | |
| ## Erniedrigende Behandlung | |
| In der jüngeren Geschichte Tunesiens war das allerdings anders: In der | |
| Autokratie von Zine el-Abidine Ben Ali verfolgte die Geheimpolizei | |
| systematisch Personen aus der LGBTQ-Community. In den 1990er Jahren gaben | |
| sich Beamt*innen in Foren und Chatrooms als homosexuell aus und verhafteten | |
| ihre ahnungslosen Blind Dates beim ersten gemeinsamen Treffen. | |
| 2011 endete zwar die Diktatur mit dem „arabischen Frühling“, Schwule, | |
| Lesben und Bisexuelle wurden dennoch weiter verfolgt. Bis heute trauen sich | |
| die wenigsten, offen über ihr Begehren zu sprechen. | |
| Deshalb hat eine Sendung im Programm von Shams Rad eine besondere Stellung: | |
| In „Hkeyet Shams“ („Shams Geschichten“) berichten Hörer*innen selbst v… | |
| ihren Erfahrungen als Homosexuelle in der tunesischen Gesellschaft. Sie | |
| reflektieren den Umgang mit der eigenen Sexualität, thematisieren | |
| Reaktionen von Familie und Freund*innen auf ihr Coming-out oder berichten | |
| von Gewaltsituationen im privaten und öffentlichen Raum. | |
| Immer wieder wird von Rektaluntersuchungen durch die Polizei berichtet. | |
| [3][Menschenrechtsorganisationen stufen diese erniedrigende Praxis als | |
| Folter ein.] Die Behörden wollen damit angeblich Homosexualität | |
| diagnostizieren – viel mehr geht es wohl um Einschüchterung. | |
| „Wir müssen die Mentalität der tunesischen Gesellschaft verändern – sie | |
| lehnt alles ab, was sich von der Mehrheit unterscheidet“, sagt Bouhdid | |
| Belhedi, der 25-jährige Geschäftsführer des Radiosenders. „Ich hoffe, mit | |
| dem Sender werden wir das ändern können und mehr Toleranz schaffen. Dafür | |
| machen wir das.“ | |
| 2 Dec 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Düsterhöft | |
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