| # taz.de -- Regisseurin über Serie „Holocaust“: „Es hat Verkrustungen au… | |
| > Vor 40 Jahren löste die Serie „Holocaust“ eine große Debatte aus. In | |
| > ihrer neuen Doku zeichnet Alice Agneskirchner die Entstehung und die | |
| > Reaktionen nach. | |
| Bild: Sorgte vor 40 Jahren für eine große Debatte: die Serie „Holocaust“ | |
| taz am wochenende: Frau Agneskirchner, warum soll man [1][die TV-Serie | |
| „Holocaust“] nach 40 Jahren noch mal anschauen? | |
| Alice Agneskirchner: Weil die Serie noch immer frisch und eindringlich | |
| wirkt. Die Idee, die NS-Geschichte als doppeltes Familienporträt zu zeigen, | |
| funktioniert heute so gut wie damals. Der Regisseur Marvin Chomsky hat mir | |
| im Interview gesagt, dass er die Täter „normal zeigen wollte, nicht als | |
| intellektuell oder moralisch mangelhaft“. Und das gelingt der Serie. Die | |
| Täterfamilie wird nicht dämonisiert. Man versteht, dass der | |
| Nationalsozialismus für die Täter nicht böse, sondern etwas | |
| Selbstverständliches war. Sie erzeugt das Gefühl: Das hätte ich, [2][das | |
| hätte mein Vater, mein Onkel auch sein können]. Das gilt natürlich noch | |
| weit mehr für die jüdische Familie. | |
| Erklärt das die enorme Wirkung, die „Holocaust“ 1979 in Deutschland hatte? | |
| Im Kern ja. „Holocaust“ eröffnete die Möglichkeit, sich in beide Seiten | |
| einzufühlen. Das ist davor und auch danach keinem anderen Film so intensiv | |
| gelungen. | |
| Aber hat der Mehrteiler die bundesdeutsche Erinnerung wirklich verändert? | |
| Oder ist das Legende? | |
| Es hat Verkrustungen aufgesprengt. Viele Jüngere haben sich gefragt, wieso | |
| sie davon nichts oder nur wenig wussten und vor allem was ihre Eltern | |
| damals gemacht haben. Viele Ältere haben sich durchaus von der Figur des | |
| SS-Manns Erik Dorf angesprochen gefühlt, der in die SS eher hineinstolpert. | |
| Es gab rund tausend Briefe von Wehrmachtssoldaten an den WDR mit dem Tenor: | |
| Es gab die Massenerschießungen von jüdischen Zivilisten im Osten, die die | |
| Serie zeigt. Ich war selbst dabei. Dass eine Fernsehserie solche | |
| Bekenntnisse oder Beichten provoziert, ist ungewöhnlich. Die Identifikation | |
| mit der Familie Weiss hat bei manchen Fragen provoziert: Wo sind die | |
| jüdischen Nachbarn von damals geblieben? Wer ist damals in ihre Wohnungen | |
| gezogen? Wie geht es Juden heute in Deutschland? Diese Fragen erscheinen | |
| uns heute selbstverständlich. 1979 war das anders. Besonders vor dem | |
| Hintergrund, dass damals nur noch 26.000 Juden in Deutschland lebten. | |
| In den USA hat der Überlebende Elie Wiesel 1978 die Serie in der New York | |
| Times scharf als triviale Seifenoper angegriffen. Zu Recht? | |
| „Holocaust“ hat Elemente davon. Es ist als amerikanische TV-Serie | |
| produziert worden – die Werbepausen sind in den USA selbstverständlich. Und | |
| es war der Versuch, an den Erfolg von „Roots“ (eine Serie, die von der | |
| Unterdrückung einer afroamerikanischen Familie erzählt, Anm. d. R.) | |
| anzuknüpfen. Chomsky hatte sechs der zwölf Folgen inszeniert. Aber vor | |
| allem ist „Holocaust“ ein handwerklich gut gebautes Fernsehspiel. Es setzt | |
| nicht nur auf Gefühle, nicht auf überwältigende Bilder, sondern darauf, die | |
| Stationen und die Mechanismen der eskalierende Vernichtung zu | |
| veranschaulichen. | |
| Himmler und Heydrich, die NS-Führer, werden von britischen Schauspielern | |
| gespielt, die unteren SS-Ränge und auch Erik Dorf, die Hauptfigur, von | |
| US-Schauspielern. Warum? | |
| „Holocaust“ wurde in erster Linie für den US-Markt produziert. Es gab | |
| offenbar die Überlegung, dass das US-Publikum in Wyoming und Wisconsin sich | |
| mit dem SS-Mann Dorf eher identifizieren würde, wenn er keinen | |
| distinguierten, britischen Akzent hat. Chomsky wollte auf keinen Fall das | |
| Nazi-Hollywood-Klischee – blond, böse, dumm – bedienen. Er wollte zeigen, | |
| dass die Mechanismen des Massenmordes überall möglich sind. Das war für das | |
| US-Fernsehen neu. | |
| Die Macher der Serie, Autor, Regisseur, Produzenten, sind allesamt jüdische | |
| US-Amerikaner. Hat das in der deutschen Debatte 1978 eine Rolle gespielt? | |
| Gar keine. Es gab Hunderte von Artikeln, dies wurde nur in einem Text in | |
| einer Regionalzeitung erwähnt. Offenbar war das tabuisiert. | |
| Das ist bemerkenswert, weil die Debatte zwischen Elie Wiesel und Gerald | |
| Green, dem Autor des Buches, ein Streit zwischen jüdischen US-Bürgern war, | |
| ob und welche Bilder legitim sind, um den Judenmord zu zeigen. In der | |
| Bundesrepublik wurde die Deutung von Wiesel übernommen – triviales | |
| Fernsehen … | |
| Die deutsche Presse schrieb Wiesels Position einfach ab, die die | |
| US-Korrespondentin der FAZ verbreitet hatte. Wiesel war als Überlebender | |
| des Judenmordes und Intellektueller ein Kronzeuge. Bemerkenswerterweise | |
| hatte damals kaum ein Deutscher die Serie gesehen. Sie war ja nur in den | |
| USA gelaufen. Aber Hollywood, die Judenvernichtung als TV-Serie – diese | |
| Assoziationskette reichte, um sich zu positionieren. | |
| Chomsky hat spektakuläre Gewaltbilder bewusst gemieden, um das Normale zu | |
| betonen. Sie zitieren in Ihrem Film „Wie ‚Holocaust‘ ins Fernsehen kam“… | |
| beiden brutalsten Szenen: eine Massenerschießung und den Gang in die | |
| Gaskammer. Warum? | |
| Weil diese beiden Szenen Kulminationspunkte sind. In der einen muss Erik | |
| Dorf, der Schreibtischtäter, selbst mit der Pistole Zivilisten hinrichten. | |
| Die andere Szene zeigt den Tod von der jüdischen Deutschen Bertha Weiß, | |
| gedreht in der Gaskammer in dem früheren KZ Mauthausen. Man muss dieses | |
| Ende zeigen, weil es unausweichlich war. | |
| Ein roter Faden in Ihrem Film ist die Vermischung von Realem und | |
| Inszeniertem. Wir sehen Schauspieler, die 2018 die Drehorte von damals | |
| aufsuchen. Zu Beginn sagt Rosemarie Harris, die Bertha Weiß darstellt, dass | |
| sie beim Drehbuch weinen musste, und betont, wie nah ihr die Rolle war. Am | |
| Ende steht Hannah Lessing, die 1978 eine Jugendliche spielte, die in die | |
| Gaskammer geht, in der realen Gaskammer des KZ Mauthausen, dem damaligen | |
| Drehort, und beginnt zu weinen. So wird die Fiktion mit Gefühlen | |
| beglaubigt. Das ist nicht Kitsch? | |
| Im Sinne von zu viel Gefühl? | |
| Nein, als falsche Unmittelbarkeit. Und als Überschreibung des Realen durch | |
| die Inszenierung. | |
| Ich glaube nicht. Lessing weint, weil sie sich daran erinnert, wie der Dreh | |
| auf sie als 14-Jährige wirkte. Sie wollte die Rolle damals unbedingt | |
| spielen, in Gedenken an ihre Großmutter, die in Auschwitz ermordet wurde. | |
| Diese Tränen zeigen die Überforderung der 14-Jährigen. Insgesamt spielen | |
| die Drehorte eine wichtige Rolle. Gedreht wurde in Österreich, weil das | |
| billiger war, als in Studios zu drehen. Aber die Produzenten, der | |
| Regisseur, die Schauspieler – niemand hatte damit gerechnet, dass es einen | |
| Unterschied machen würde, ob man in Kulissen dreht oder an authentischen | |
| Orten wie Mauthausen oder dem früheren Gestapo-Hauptquartier in Wien. | |
| Inwiefern? | |
| An authentischen Orten NS-Verbrechen darzustellen hatte Auswirkungen: David | |
| Warner, der Heydrich spielt, bekam am ganzen Körper Ekzeme und musste | |
| täglich am ganzen Körper einbandagiert werden, um die SS-Uniform zu tragen. | |
| Michael Moriarty, der Erik Dorf spielt, hatte dauerhaft Schlafstörungen und | |
| hat Nacht für Nacht Piano gespielt. | |
| Das heißt? | |
| Es ist auffällig, dass solche Störungen nur bei den Schauspielern | |
| auftraten, die Täter spielten. Das war kein Zufall. | |
| Es gab also nicht nur die Überschreibung des Realen durch die Inszenierung, | |
| sondern auch eine Einschreibung des Realen in die Inszenierung? | |
| Das war für viele aus dem Filmteam so, sie haben das Dargestellte bis heute | |
| in sich getragen. | |
| Die letzte Szene Ihres Films zeigt Rosemarie Harris, die erzählt, dass sie | |
| nach „Holocaust“ jemand auf der Straße mit den Worten ansprach: „Frau We… | |
| Sie leben ja.“ Warum ist das die Schlussszene? | |
| Weil das eine treffende Schlusspointe ist, die die Verschränkungen von | |
| Inszenierung und Realität spiegelt. | |
| 6 Jan 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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