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# taz.de -- „Werbeverbot“ für Abtreibungen: Paragraf 219a belastet die Gro…
> Die FDP will per Antrag im Bundestag den Paragrafen 219a zu Fall bringen.
> Doch mit den Stimmen der SPD ist derzeit kaum zu rechnen.
Bild: Während in Berlin um 219a gestritten wird, läuft in Gießen der Berufun…
Berlin taz | Ein Jahr ist es her, seit die Debatte um den Paragrafen 219a
in Deutschland begonnen hat – am Donnerstag wird der Bundestag nun
möglicherweise über die Abschaffung des sogenannten „Werbeverbots“ für
Schwangerschaftsabbrüche abstimmen. Der FDP-Fraktionsvorstand habe am
Montag beschlossen, ein sofortiges Votum über den Paragrafen 219a
herbeizuführen, sagte Stephan Thomae, Vizechef der FDP-Fraktion im
Bundestag, der taz. Ein entsprechender Antrag mit dem Arbeitstitel
„Paragraf 219a unverzüglich streichen – Informationen über
Schwangerschaftsabbruch zulassen“ werde derzeit erarbeitet. Es gilt als
wahrscheinlich, dass die Fraktion dem Beschluss des Vorstands zustimmt.
„Wenn eine Änderung des Tatbestands mit der Union nicht möglich ist, dann
soll eine Streichung an uns nicht scheitern“, sagte Thomae. Auch Parteichef
Christian Lindner [1][machte am Montag per Twitter Druck] auf die SPD: „Das
Gewürge der Groko ist inzwischen wirklich abwegig“, schrieb Lindner. „Wenn
CDU und CSU da so altbacken und ideologisch sind, sollte die SPD mit uns
die Modernisierung ermöglichen.“
Der Paragraf, der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verbietet, ist d…
erste große Belastungsprobe der Großen Koalition, seit die neue
CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer ihr Amt übernommen hat – und er
führt zu einem Machtkampf zwischen den beiden Parteichefinnen in der
Regierungskoalition. Noch auf dem Bundesparteitag in Hamburg
[2][bekräftigte Kramp-Karrenbauer ihre Haltung], den Paragrafen beibehalten
zu wollen. SPD-Chefin Nahles wiederum hatte nach monatelanger Diskussion
einen Kompromissvorschlag bis zum gestrigen Montag zugesagt. Dieser blieb
aus, ein Gespräch zwischen den beiden Parteivorsitzenden am Sonntagabend
endete ergebnislos.
Hintergrund der Kontroverse ist das Gerichtsurteil gegen die
Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel. Das Amtsgericht Gießen hatte Hänel im
November 2017 zu einer Strafe von 6.000 Euro [3][verurteilt], weil sie auf
ihrer Website sachlich darüber informiert, dass sie neben
Lungenfunktionsuntersuchungen und Blutegeltherapien auch
Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Der politische Aufschrei war groß –
und noch Anfang des Jahres sah es so aus, als sei die parlamentarische
Abschaffung des 219a ein Selbstläufer. Grüne, Linke, FDP und SPD brachten
Gesetzentwürfe zur Abschaffung oder zumindest Änderung ein. Doch nach
langem Herumlavieren kassierte die SPD ihren Entwurf im März, um den gerade
erst besiegelten Koalitionsfrieden mit der Union nicht zu gefährden.
## Nahles will keinen Koalitionsbruch riskieren
Seitdem hofft die Partei auf einen Kompromiss, den Justizministerin
Katarina Barley, Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD),
Gesundheitsminister Jens Spahn, Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU) und
Innenminister Horst Seehofer (CSU) seit Monaten erfolglos zu finden
versuchen. Andernfalls, so der SPD-Vorstand im April, müsse
fraktionsübergreifend abgestimmt werden. Doch viele in Union und SPD
befürchten, dies käme einem Koalitionsbruch gleich. Könnte dieser Paragraf
wirklich dazu führen, dass die Koalition scheitert?
Noch Anfang Dezember hatte Nahles gesagt, sie persönlich befürworte die
Streichung des Paragrafen 219a. Sie kenne niemanden in der Fraktion, der
das anders sehe. Einen Koalitionsbruch und somit möglicherweise Neuwahlen
will Nahles mit ihrer derzeit schwachen SPD aber offenbar nicht riskieren.
Sie setzt auf Kompromiss: „Es geht jetzt um die Frage, was die Koalition
konkret umsetzen kann, um die Situation der Ärzte zu verbessern“, sagte
sie.
Zwar setzte Nahles am Dienstag zum wiederholten Mal eine Frist für einen
Kompromissvorschlag: „Noch diese Woche“. Zugleich heißt es aus SPD-Kreisen
jedoch, dieses Jahr werde es wohl „keine konkrete Einigung“ mehr geben –
sondern „maximal eine abgestimmte Spracheregelung der MinisterInnen und
Parteivorsitzenden“.
Die Union gibt sich entspannt. Zwar sollen die verhandelnden MinisterInnen
am Mittwoch noch ein weiteres Mal über eine Lösung beraten. Doch seine
Fraktion werde sich mit den Ergebnissen der Runde erst im Januar
beschäftigen, sagte Michael Grosse-Brömer, parlamentarischer
Geschäftsführer der Unionsfraktion, am Dienstag. Man werde „in aller Ruhe“
über mögliche Vorschläge diskutieren, so Grosse-Brömer. Den
Koalitionspartner lässt die Union damit kalt im Regen stehen.
## Ein Erfolg für die Union
Für CDU und CSU zeichnet sich ab, die Auseinandersetzung um den Paragrafen
als vollen Erfolg verbuchen zu können. Nach all den internen Querelen des
vergangenen Jahres hat die Fraktion offenbar das Thema gefunden, mit dem
sie geeint und bewusst konservativ auftreten kann.
„Schwangerschaftsabbrüche dürfen nicht so behandelt werden wie ganz normale
medizinische Eingriffe“, [4][bekräftigte Kramp-Karrenbauer am Sonntag in
der ARD ihre Position]. „Das passt nicht zu einer Partei mit dem C im
Namen.“ Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe legte nach:
Die Debatte lasse leider oft vermissen, „dass wir auch über das Lebensrecht
Ungeborener reden“, sagte er und bediente damit das Wording der sogenannten
Lebensschutzbewegung.
Den Schaden hat die SPD. Mit ihrem Vorstoß Anfang des Jahres hatte sich die
Partei an der Seite der Frauen positionieren wollen, büßt nun aber an
Glaubwürdigkeit ein. Ein ums andere Mal vertagte sie in den vergangenen
Monaten die versprochene Lösung aus Rücksicht auf die Union. Innerhalb der
Fraktion fliegen bereits die Fetzen. Der bayerische Abgeordnete Florian
Post hatte Nahles aufgefordert, bis Dienstag eine Lösung zu präsentieren –
sonst werde er in der Fraktionssitzung auf eine Gewissensentscheidung
hinwirken, drohte er. Der Abgeordnete Falko Mohrs sagte der taz: „Den
Vorstoß von Florian Post halte ich für die Sache an sich für schädlich.“
Die SPD müsse inhaltlich weiter kommen.
Der Antrag der FDP, am Donnerstag im Bundestag spontan abstimmen zu wollen,
erhöht nun den Druck auf die SPD. „Die SPD hat eine Lösung erst bis zum
Herbst, dann im Herbst und letztlich bis Ende Herbst angekündigt“, sagte
Thomae der taz. Nun sei es an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen.
## Geringe Chance für Änderung
Sollte die Abstimmung tatsächlich kommen, ist die Chance darauf, dass der
Antrag mit den Stimmen der SPD angenommen wird, gering. Auch wenn SPD, FDP,
Grüne und Linkspartei geschlossen dafür stimmten, würde die Mehrheit mit
nur 13 Stimmen Vorsprung knapp ausfallen – und mit den Stimmen der SPD ist
in dieser Situation kaum zu rechnen. Wahrscheinlicher ist aber, dass die
Große Koalition den Antrag auf Abstimmung ablehnt – mit einer SPD, die
damit gegen ihre eigentliche Position handelt.
Aus der SPD-Fraktion heißt es verärgert, das Vorgehen der FDP heize den
Konflikt nur an – manche SPDlerInnen würden gern mitstimmen, könnten es
aber nicht, ohne ihrer Partei zu schaden. „Aber wenn man der Sache dienen
will, müssen die Gespräche zwischen Union und SPD zu Ende geführt werden“,
heißt es.
Die Opposition derweil steht, mit Ausnahme der AfD, auf Seiten der FDP.
Zwar werde der Vorstoß in der Sache nicht viel bringen, sagte die
frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Möhring, der taz.
„Aber das Positive ist, dass sich die FDP nun auch auf die Streichung des
Paragrafen 219a festlegt.“ Bislang hatte die Partei auf einen
Kompromissvorschlag gesetzt.
Die frauenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Bundestag, Ulle
Schauws, sagte der taz: „Unsere Linie bei Paragraf 219a ist klar: Es darf
keinen Fall Hänel mehr geben.“ Dass sich jetzt auch die FDP klar für die
Streichung ausspricht, sei gut. „Wir stehen als demokratische Opposition
geschlossen – auch bei einer Sofortabstimmung.“
11 Dec 2018
## LINKS
[1] https://twitter.com/c_lindner/status/1072167044337025024
[2] /Werbung-fuer-Schwangerschaftsabbruch/!5557305
[3] /Geldstrafe-wegen-Abtreibungswerbung/!5466133
[4] /Grosse-Koalition-ringt-um-Paragraf-219a/!5554324
## AUTOREN
Dinah Riese
Patricia Hecht
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