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# taz.de -- Christian Lindner im taz-Interview: „Deutschland als Motivationst…
> Vor einem Jahr sagte der FDP-Chef Nein zu einer Jamaika-Koalition. Jetzt
> glaubt er: 2017 ist Vergangenheit. Deutschland brauche eine neue
> Regierung.
Bild: „Ich halte nichts davon, mit erhobenem Zeigefinger durch Europa zu gehe…
taz am wochenende: Herr Lindner, Annegret Kramp-Karrenbauer ist neue
CDU-Vorsitzende. Chance oder Problem für die FDP?
Christian Lindner: Die Erneuerung der CDU kann eine Chance werden. Frau
Merkel war ja nicht mehr bereit, alte Entscheidungen zu korrigieren oder
wirklich Neues anzustoßen. Ich bin gespannt, ob Annegret Kramp-Karrenbauer
neue Akzente setzt.
Könnten Sie mit einer Kanzlerin Kramp-Karrenbauer zusammenarbeiten?
Im Prinzip schon. Ein Selbstläufer ist es nicht. In der
Gesellschaftspolitik gab es verstörende Zitate. Die Ehe für alle kann man
nicht zusammen mit Inzest erwähnen. Die ökonomische Bilanz im Saarland war
nicht überzeugend. Generell scheint sie in der Wirtschaftspolitik eher auf
Staat und Gleichheit ausgerichtet zu sein als auf Dynamik und Freiheit.
Die Zukunft der Groko ist ungewiss. Wünschen Sie sich eine Neuauflage einer
Jamaika-Koalition?
Das ist offen. Im vergangenen Jahr wäre das kein Aufbruch gewesen. Es gab
damals den Versuch von Frau Merkel, die Grünen aus dem linken Lager in das
bürgerliche Lager einzukaufen, um eine lagerübergreifende Koalition zu
schmieden. Die FDP sollte für die dafür notwendigen Kompromisse den Preis
zahlen. Wir sind aber immer bereit zur Verantwortung, wenn Gutes bewirkt
werden kann. Unser Land braucht besser heute als morgen eine neue
Regierung, vor oder nach neuen Wahlen.
Warum haben Sie Ihre Meinung zu Jamaika geändert?
Das habe ich noch nicht. Aber das Jamaika von 2017 ist Vergangenheit. Union
und Grüne haben ihre Führungen ausgetauscht. Die CDU hat beim Soli gerade
die Übernahme unserer Position beschlossen. Ich rechne also mit neuer
Verhandlungsführung. Das würde im Falle eines Falles Sondierungen lohnen.
Vermutlich würden die Grünen aber vorher lieber neu wählen wollen.
Aber Hartz IV abschaffen, was die Grünen heute wollen, ist doch für Sie der
pure Horror?
Ja, es gab einen Linksruck bei den Grünen. Aber Kompromisse sind immer
möglich. Zum Beispiel wollen auch wir die Zuverdienstmöglichkeiten bei
Hartz IV verbessern und durch Pauschalen das System vereinfachen. Was
freilich nicht geht, das sind 30 Milliarden Euro höhere Steuern für die
arbeitende Mitte, um das Geld denen zu geben, die nicht arbeiten wollen.
Das deformiert den Wert der Solidarität, das nimmt Raum für private
Investitionen. Vor allem würde eine Rente ab Geburt soziale Desintegration
fördern, da Arbeit Element sozialer Teilhabe ist. Der Vorschlag
widerspricht auch dem Gerechtigkeitsgefühl der Mehrheit der Deutschen. Der
Zuspruch zu den Grünen in Umfragen beruht auf einem Missverständnis.
Auf welchem?
Viele denken, die Grünen seien eine Partei der Mitte. Doch sie sind
programmatisch unverändert eine linke Partei, die also eher auf Lenkung und
Umverteilung setzt. Das ist okay, aber sie werden eben anders wahrgenommen.
Ihr Parteikollege Wolfgang Kubicki hat gesagt, Anton Hofreiter mache ihn
aggressiv. Der Grüne könne ihn dazu verleiten, ihm eine zu „knallen“.
Welcher Grüne senkt Ihre Aggressionsschwelle?
Grüne machen mich nicht aggressiv, auch Anton Hofreiter nicht. Ich bedauere
allerdings, dass die Verständigung schwierig ist, wenn das Gegenüber nicht
auf fachliche Argumente eingeht, sondern Widerspruch umdeutet in mangelnde
Kenntnis oder bösen Willen.
Müssen wir Mitleid mit Ihnen haben?
Nein. Die Grünen haben die Abneigung gegenüber der FDP gezüchtet, um über
ein zu einer Karikatur gewordenes Feindbild ihre Stammanhängerschaft zu
mobilisieren. Das hat letztes Jahr manchen grünen Ministerposten gekostet.
Hätten wir zusammengearbeitet, statt der Union die Führung zu überlassen,
wäre manches vielleicht anders gekommen.
Die FDP beschimpft die Grünen auch. Bevormundende Verbotspartei, das ist
doch ein Klischee.
Davon finde ich einiges im Programm wieder. In jedem Fall haben wir uns
spätestens nach 2013 verändert. Die Grünen haben dagegen noch 2017
gefälschte FDP-Plakate in Umlauf gebracht. Solche Fouls kämen uns nicht in
den Sinn.
Der liberale Welt-Chef Ulf Poschardt wirft den Grünen vor, sie säßen im
Elfenbeinturm. Das impliziert, sie seien so etwas wie eine
Marie-Antoinette-Partei, die den Armen sagt, sie möchten doch bitte Kuchen
essen, wenn kein Brot da ist. Sie sagen, die Grünen seien links. Was denn
nun?
Steuererhöhungen trotz Rekordeinnahmen, Verbot des Verbrennungsmotors,
Verzicht auf Fleisch, europäische Umverteilung in die Hände von Links- und
Rechtspopulisten in Rom – oder den dauerhaften Aufenthalt für den
Bin-Laden-Leibwächter Sami A. in Deutschland in Kauf zu nehmen: Ich finde
das alles typisch grün.
Was haben Sie gegen E-Autos?
Nichts. Ich sehe die Elektromobilität nur nicht als exklusives
Mobilitätskonzept. Sie wirft soziale und ökologische Fragen auf. Die
Rohstoffe, die dafür gebraucht werden, sind zum Beispiel knapp – es wird
globale Verteilungskonflikte geben. Warum sollten wir im Übrigen
Verbrennungsmotoren ab 2030 verbieten? Mit synthetischen Kraftstoffen, die
aus CO2 und mit erneuerbaren Energien gewonnen werden, könnten sich
Verbrennungsmotoren klimaneutral betreiben lassen. Dafür sollten wir offen
bleiben.
Was könnten Grüne und FDP gemeinsam voranbringen?
Aus unserer Kontroverse könnte vielleicht eine wirklich innovative
Klimapolitik hervorgehen. Ehrgeizige Ziele, aber den Weg dahin überlassen
wir Technikern und Ingenieuren. Wir wollen den Ideen- und
Effizienzwettbewerb der Marktwirtschaft nutzen, um mit weniger Kosten mehr
CO2 einzusparen. Freilich sind die Grünen noch anders aufgestellt. Der
verstorbene Soziologe Ulrich Beck äußerte einmal, seine Freunde aus der
Klimabewegung liebäugelten mit der Figur der Steuerung von oben wie im
chinesischen Staatskapitalismus.
Sie ziehen zusammen mit dem französischen Präsidenten in den
Europawahlkampf. Macron hat dem Protest der gelben Westen nachgegeben. War
das richtig?
Ich kann nicht Einzelheiten der französischen Innenpolitik bewerten. Seinen
Reformwillen begrüßen wir. Liberaler als mit ihm wird Frankreich auch nie
sein. Man kann aber lernen, dass die Mitte der Gesellschaft in der
Demokratie ökologische Politik mittragen muss. Das Bemühen um ihr
wirtschaftliches Vorankommen ist wichtig. Da sehe ich hierzulande unsere
Rolle.
Noch während der Jamaika-Verhandlungen galten Sie Macron als größte Gefahr
für seine europapolitischen Vorschläge. Was hat sich verändert, dass er
jetzt mit Ihnen ein Bündnis eingeht?
Emmanuel Macron hat damals befürchtet, dass wir seine Reformideen
verhindern würden. Frau Merkel hatte bei ihm die falsche Erwartung geweckt,
man könne einen EU-Finanzminister und einen Haushalt für die Euro-Zone in
Höhe von zwei, drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Europäischen
Währungsunion etablieren. Die Grünen haben das unterstützt. Wir haben
gewarnt, dass das weder realistisch noch ökonomisch sinnvoll sei. Wie sich
nach einem Jahr herausgestellt hat, sieht das auch die Mehrheit der
Mitgliedstaaten der Währungsunion so. Mit einem FDP-Finanzminister in einer
Jamaika-Koalition hätten wir von Anfang an über machbare Europa-Pläne
reden können.
Was haben Sie Macron anzubieten?
Zum Beispiel eine Stärkung der Investitionen in der Europäischen
Währungsunion. Wir können uns einen gemeinsamen Fonds vorstellen, der
konkrete Investitionsvorhaben für Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz
fördert. Geld für das Budget in Rom aber, mit dem Wahlgeschenke der
Populisten finanziert werden, macht Europa nicht stärker.
Die harte deutsche Reformpolitik, die Sie mittragen, hat in Italien Links-
und Rechtspopulisten erst gestärkt.
Na ja. Die rechte Lega in Norditalien beschäftigt sich vor allem mit der
Migrationsfrage. Die hat vielleicht auch etwas mit Frau Merkel zu tun, aber
nicht mit dem Versuch, den Süden Europas wettbewerbsfähig zu machen.
Süditalien, wo die Fünf-Sterne-Bewegung stark ist, leidet unter einer
jahrzehntelangen falschen Politik der eigenen Regierung. Die ist keine
Frage von Austeritätspolitik. Ich halte aber nichts davon, mit erhobenem
Zeigefinger durch Europa zu gehen und zu sagen, ihr macht zu viel Schulden
und müsst sparen, sparen, sparen.
Sondern?
Wir waren der kranke Mann Europas. Aber wir haben eine Reformpolitik
gemacht, sodass Deutschland heute ökonomisch stark dasteht. Deutschland
müsste als Motivationstrainer auftreten und sagen: Schaut auf uns. Ihr
könnt das genauso bewerkstelligen wie wir.
Herr Lindner, Sie sind Porschefahrer. Wenn das E-Auto kommt, macht dann
Porschefahren überhaupt noch Spaß?
Sicher. Auch Elektromobilität kann Spaß machen.
Die Geräusche eines E-Autos sind nicht dieselben.
Das stimmt. Mich faszinieren der Maschinenbau und die mangelnde Perfektion
bei einem alten Auto, wenn etwas knarzt. Oder dass das Auto manchmal nicht
anspringt.
Und was passiert mit Ihrem alten Porsche in der Öko-Zukunft?
Irgendwann steht in meiner Garage der 60 Jahre alte Porsche für eine
Ausfahrt am Wochenende ins Bergische Land. Alltag werden aber autonom
agierende Fahrzeuge mit verschiedenen Antriebstechnologien im Sharingmodell
sein. Mein altes Auto nutze ich heute schon nur für wenige hundert
Kilometer im Jahr. Solche Autos wird man zukünftig haben, wie heute manche
Menschen reiten, auch wenn man nicht mit dem Pferd an den Arbeitsplatz
kommt.
15 Dec 2018
## AUTOREN
Ulrich Schulte
Martin Reeh
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