| # taz.de -- FDP-Chef Christian Lindner zu Besuch: Chemnitz mal anders | |
| > Christian Lindner kommt nach Chemnitz zum Dialog. Der FDP-Chef | |
| > thematisiert die Sorgen der Mitte, die besorgten Bürger bleiben weg. | |
| Bild: Christian Lindner will in Chemnitz nicht zu viel über Flüchtlinge reden… | |
| Chemnitz taz | „Wir sind weder grau noch braun“, steht auf dem übergroßen | |
| Plakat auf dem grauen Gebäude hinter dem Karl-Marx-Denkmal. Es begrüßt die | |
| Besucher, die zwei Monate nach den Demonstrationen und rechtsextremen | |
| Übergriffen im Wochentakt nach Chemnitz reisen. | |
| Vergangenen Donnerstag war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hier, in | |
| der nächsten Woche kommt Angela Merkel. Und am Dienstagabend reiste | |
| Christian Lindner an. Es ist der Auftakt zu bundesweiten Bürgerdialogen mit | |
| dem FDP-Chef, deren erste Veranstaltung wegen der Krawalle in Chemnitz | |
| stattfand. | |
| Für die FDP war es ein Sommer des Missvergnügens. Von der | |
| Auseinandersetzung um Migration profitieren die Parteien an den | |
| entgegengesetzten Polen; die Grünen und die AfD. Die FDP, die Merkels | |
| Asylpolitik auch deshalb ablehnte, weil sie um die Zustimmung der | |
| Bevölkerung zur Einwanderung von Fachkräften fürchtete, drang kaum noch | |
| durch. | |
| In Chemnitz selbst fühlten sich Liberale auf beiden Seiten unwohl: Der | |
| örtliche Bundestagsabgeordnete Frank Müller-Rosentritt verurteilt am | |
| Dienstag zu Beginn des Bürgerdialogs einerseits die Teilnahme von Bürgern | |
| an der Demonstration der Rechten: „Mein Verständnis hört auf, wenn | |
| ,Deutschland den Deutschen – Ausländer raus´ skandiert wird“, sagte er. V… | |
| der linken Gegendemonstration sei er aber nach acht Minuten geflohen, als | |
| sich Teilnehmer vermummt hätten: „Auch linker Hass macht hässlich.“ | |
| ## Besorgte Bürger bleiben daheim | |
| Der Saal ist mit mehreren hundert Teilnehmern voll, aber der optische | |
| Eindruck, dass eher FDP-Anhänger als besorgte Bürger gekommen sind, täuscht | |
| nicht. Für Lindner, „eines der größten Politiktalente unserer Zeit“ | |
| (Müller-Rosentritt) wird es ein Heimspiel. Der FDP-Chef referiert zunächst | |
| eine gute Dreiviertelstunde im Saal, ehe es in die Fragerunde geht. | |
| Man sei betroffen gewesen, als im Sommer „plötzlich ein Generalverdacht auf | |
| die weltoffene Stadt Chemnitz gefallen ist“, sagt Lindner zum Auftakt. „Die | |
| Mitte ist in Deutschland unter Druck geraten.“ Seitdem die | |
| „völkisch-autoritäre AfD“ im Bundestag sitzt, dominiere sie die Debatten. | |
| „Man macht die AfD nicht kleiner, wenn man sich auf ihr Niveau | |
| herabbegibt“, sagt er in Anspielung auf Martin Schulz´ Faschismusvorwurf an | |
| die Rechtspopulisten. | |
| Die Debatte in Deutschland drehe sich derzeit um „Flüchtlinge und | |
| Superreiche“. Die Grünen wollten eine „grenzenlose Willkommenskultur“ f�… | |
| die einen und den anderen „die Steuern erhöhen“. „Nicht jeder ist aber | |
| Manager oder Flüchtling – die große Mehrheit ist weder bedürftig noch aus | |
| dem Gröbsten raus.“ | |
| ## Lieber über andere Themen reden | |
| Die Strategie: Nicht mehr über Flüchtlinge reden, stattdessen die Sorgen | |
| der breiten Mehrheit in den Vordergrund stellen – und so den | |
| Rechtsextremismus zurückzudrängen. In Lindners Vortrag geht es um | |
| Bürokratie, Steuern, Wohneigentum als Schutz vor Altersarmut und den | |
| Datenschutz bei Facebook. | |
| Und natürlich geht es auch gegen den Lieblingsfeind, die Grünen („Katrin | |
| Göring-Eckardt hat Theologie studiert – sie hat gelernt, ganz fest an etwas | |
| zu glauben“), mit denen man doch bald in einer Koalition zu sitzen hofft. | |
| Und gegen Angela Merkel, mit der der die Liberalen bald nicht mehr zu tun | |
| haben werden („ist schon Person der Zeitgeschichte“). | |
| Dazwischen eingestreut immer wieder kurze Häppchen zur Migrationspolitik | |
| und zum Rechtsextremismus. Deutschland brauche „Weltoffenheit, um | |
| Top-Talente zu holen“. Integration sei zuerst eine Erwartung gegenüber | |
| denjenigen die zu uns kommen: nicht daran, dass sie „Sauerkraut mögen“, | |
| sondern eine „Achtung vor den Gesetzen“ hätten. Und, an die Adresse von | |
| AfD-Sympathisanten: Es sei „nicht klug, erst unser Land kurz und klein zu | |
| schlagen“, um es dann wieder aufbauen zu müssen. | |
| ## Nur die Rente ist gefährlich | |
| Die Fragerunde des Publikums bleibt zahm – kaum Fragen zur Migration, keine | |
| zum Rechtsextremismus. Am gefährlichsten wird Lindner vielleicht die Frage | |
| einer älteren Frau zur Rentenpolitik. Die Antwort der FDP auf die vielen | |
| gebrochenen Erwerbsbiographien im Osten ist eher dünn: Die von der FDP | |
| geforderte Nicht-Anrechnung von Erspartem auf die gesetzliche Mindestrente | |
| dürfte das Problem nur abmildern. | |
| Auch daran hängt die Frage: Wie breit ist die Mitte in Ostdeutschland – und | |
| damit das Potenzial der FDP oder anderer bürgerlicher Parteien? Der Abend | |
| vergeht, ohne dass auch nur einmal über die ostdeutsche und besonders | |
| sächsische Situation gesprochen wird: eine AfD, die bei den Landtagswahlen | |
| stärkste Partei werden könnte – und die Ursachen dafür. | |
| 7 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reeh | |
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