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# taz.de -- Kommentar Razzia gegen die Mafia: Machtfaktor mitten in der Gesells…
> Die organisierte Kriminalität verbindet sich mit gesellschaftlichen
> Eliten. Ihr Ziel ist eine totalitäre Herrschaft. Das muss thematisiert
> werden.
Bild: Auch hier in Pulheim in NRW waren die Ermittler im Rahmen der Razzia
Kokain ist erst mal eine Droge wie jede andere auch; und in einer freien
Gesellschaft sollte jede und jeder das Recht haben, sich das Hirn auf
individuelle Art wegzublasen. Eigentlich. Das Problem am Kokain ist die
enorme Gewinnspanne. Das Problem ist das Geld, das in den normalen –
gewiss: kapitalistischen – Wirtschaftskreislauf eingespeist wird, in Form
von Immobilien, von Firmen, von Spielhöllen. Geld das die jenigen, die
diesen Kreislauf kontrollieren sollen, korrumpieren kann, die Vertreter des
Rechtsstaates also.
Spricht man von Mafien, dann sind nicht in erster Linie die berüchtigten
Großfamilien gemeint, die wie in Berlin die eine oder andere [1][Goldmünze]
klauen. Gemeint sind Strukturen, in der sich organisierte Kriminelle mit
technischen Eliten – Bankern, Anwälten, Architekten, Ärzten – sowie mit
Politikern und Justizangehörigen in einer Grauzone zusammenfinden und eine
totalitäre Herrschaft anstreben.
In Kalabrien, dem Ursprungsort der Mafiaorganisation 'Ndrangheta, gegen die
europäische wie südamerikanische Behörden in der globalen, unter dem
Codenamen „Pollino“ laufenden [2][Polizeiaktion] vorgegangen sind, hat eine
rechtsstaatlich fragwürdige Anti-Mafia-Gesetzgebung und (Abhör-)Praxis an
dieser Herrschaft bislang nur wenig ändern können.
Nach jüngsten Zahlen der zivilgesellschaftlichen Anti-Mafia-Organisation
Libera zahlen in Kalabriens Metropole Reggio 90 Prozent der
Wirtschaftsbetriebe Schutzgeld oder sehen sich gezwungen, Geld zu
Wucherzinsen bei mafiösen Geldverleihern aufzunehmen. Anschläge auf
Geschäfte bis hin zu Mordanschlägen gegen alle, die sich diesem
Herrschaftsanspruch widersetzen, sind in Kalabrien an der Tagesordnung. Das
ist erstmal ernüchternd. Vor allem, wenn man die großen persönlichen Opfer
eines Lebens in ständiger Gefahr einberechnet, der sich mutige Bürger,
Ermittler und nicht zuletzt Journalisten im Mafialand täglich ausgesetzt
sehen.
Der entscheidende Punkt, vor allem in Hinsicht auf die aktuellen Festnahmen
in Deutschland, ist aber ein anderer. Der erste offizielle Bericht über die
'Ndrangheta vom Anti-Mafia-Ausschuss des italienischen Parlaments stammt
aus dem Jahr 2008, der Begriff 'Ndrangheta selbst taucht im italienischen
Strafgesetzbuch erst 2010 auf. Heute kann in Italien niemand mehr die
Existenz der Mafia verleugnen oder ihre Gefährlichkeit bestreiten, ohne
zumindest auf deutlichen Gegenwind zu stoßen.
Hatte sich in Deutschland nach dem [3][Clan-Massaker von Duisburg] 2007
kurz Aktivismus gezeigt, der aber letztlich unter dem Motto
„solange-sie-sich-nur-gegenseitig-umbringen“ schnell wieder ad acta gelegt
wurde, so kommen die Einschläge nun wieder näher und werden häufiger: Von
den Festnahmen im Rahmen der [4][Aktion gegen den Clan Farao-Marincola]
Anfang des Jahres bis hin zur Existenz einer Ndrangheta-Zelle in Erfurt und
ihrer vielfältigen juristischen Aktivitäten, die eine kritische
Berichterstattung über sie verhindern sollen.
Wenn bei der Pressekonferenz zur „Pollino“- Ermittlung bei der EU-Behörde
Eurojust der oberste italienische Anti-Mafia-Staatsanwalt Cafiero de Raho
die entscheidende Bedeutung eines mafiösen Bürgertums betonte, während der
deutsche Kriminaldirektor Christian Hoppe die „Potenz“ der 'Ndrangheta
daran festmachte, dass es „Durchstechereien“ während der seit August 2017
andauernden Ermittlungen gegeben habe, dann ist klar, wohin die Reise gehen
muss: Über die Mafia muss auch in Deutschland kontinuierlich gesprochen
werden und zwar nicht unter dem Stichwort „kriminelle Kreise“, sondern als
Machtfaktor mitten in der Gesellschaft.
5 Dec 2018
## LINKS
[1] /Muenzen-Diebstahl-im-Bode-Museum/!5426286
[2] /Razzien-gegen-Ndrangheta-in-Europa/!5556988
[3] /10-Jahre-Mafia-Morde-von-Duisburg/!5433928
[4] /Schlag-gegen-die-Mafia/!5476325
## AUTOREN
Ambros Waibel
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