| # taz.de -- Bücher über Italien: Der verhasste Lieblingsnachbar | |
| > Die Deutschen lieben alles an Italien – außer die faulen und mafiösen | |
| > Landesbewohner. Zwei Bücher beleuchten die Italien-Stereotype der | |
| > Deutschen. | |
| Bild: Im Klischee hat der Deutsche Italien gern. Kolosseum in Rom | |
| Spätestens seit man in italienischen Leitmedien [1][ausführlich] über die | |
| Umtriebe trübster Gestalten wie Hans-Georg Maaßen informiert wurde, kann | |
| man nicht mehr darüber hinwegsehen: Im deutsch-italienischen Verhältnis hat | |
| sich Grundlegendes gewandelt. War es noch in den 1980ern selten, zwischen | |
| Mailand und Palermo auf jemanden zu treffen, der das Hörensagen | |
| überschreitende Informationen zum kalten Nachbarland besaß oder an solchen | |
| Interesse gezeigt hätte, so gehört das bewundernde Spotten über „la Merkel… | |
| heute zum Alltag. | |
| Die Deutschen hingegen hatten schon immer ein manisch genau definiertes | |
| Urteil über die italienischen Dinge. Das zeigt jetzt das [2][Buch] des | |
| ehemaligen Leiters des Deutschen Studienzentrums in Venedig, Klaus | |
| Bergdolt: „Kriminell, korrupt, katholisch? Italiener im deutschen | |
| Vorurteil“. Es überzeugt als fleißige Dokumentation der Fülle der Gülle, | |
| die über die Jahrhunderte von insbesondere evangelischen Norddeutschen über | |
| Italien ausgegossen worden ist. | |
| Über ganz Italien? Nicht ganz. Was die deutschen Besucher sich wünschten, | |
| war ja durchaus das Land, wo die Zitronen blühen – nur eben ohne dessen | |
| Einwohner. Diese „niedrigste Brut“ hinderte den geistigen Nordländer durch | |
| „infamste Betrügereien“ das „tausendfach Schönste“ (Karl Friedrich | |
| Schinkel) recht zu genießen, wenn sie einen mit ihrem „Tierblick“ | |
| anstarrten (Thomas Mann): Oder, wie es der Dichter Kotzebue zusammenfasste, | |
| seien sie eben insbesondere in der Erscheinungsform der Neapolitaner „faul, | |
| unreinlich, sinnlich, abergläubisch, völlig gleichgültig gegenüber Künsten | |
| und Wissenschaften, bloß Flitterstaat liebend, der ehelichen Treu fremd“. | |
| So weit, so abgeschmackt – und so lange her. Ein großes Verdienst von | |
| Bergdolts sonst eher an der Moderne uninteressierten Arbeit ist es, an die | |
| „Vier Tage von Neapel“ zu erinnern, vom 27. bis 30. September 1943. Zum | |
| ersten Mal in der Geschichte des deutschen Raub– und Vernichtungskrieges | |
| wurden die Okkupanten ausgerechnet im geschmähten Neapel gezwungen „auf | |
| Augenhöhe mit zivilen Aufständischen zu verhandeln“ und schließlich | |
| abzuziehen. | |
| Und seitdem – alles gut und vorurteilsfrei im Verhältnis der Nachbarn? | |
| Natürlich nicht. Erschütternder als etwa die Manie des Spiegel, das Land | |
| mit den meisten Unesco-Welterbestätten sowie der achtgrößten | |
| Volkswirtschaft der Welt beständig als vernudelten Mafiastaat zu zeichnen, | |
| ist vielleicht die Ignoranz der Dichter und Denker. Das Italienbild Rolf | |
| Dieter Brinkmanns etwa – der als repräsentativer Dichter der alten | |
| Bundesrepublik gelten kann –, ist eben auch in seiner Arroganz | |
| repräsentativ: Wenn ein unter anderem mit der Marke „Neuer Realismus“ | |
| versehener Schriftsteller in seinen hochsensiblen Gebilden die meisten | |
| italienischen Wörter schlicht falsch schreibt (Tabacci statt Tabacchi; | |
| Marcelleria statt Macelleria, Fredo satt freddo, Buena sera satt Buona | |
| sera: Beispiele aus dem kanonischen Gedichtband „Westwärts 1&2“), dann | |
| setzt er damit genau die Tradition der Herablassung fort, die Bergdolt aus | |
| den Archiven hervorgehoben hat. | |
| Dass man schon alles weiß, ist nicht nur das älteste, es ist auch das am | |
| berühmtesten widerlegte Vorurteil. Seit Sokrates wissen wir, dass wir | |
| nichts wissen. Und das ist vielleicht die beste Methode, sich einer anderen | |
| Neuerscheinung zu nähern: [3][„Mafia. 100 Seiten“] heißt es und ist in der | |
| gleichnamigen Reihe bei Reclam erschienen. | |
| Wer sich ein wenig mit der italienischen organisierten Kriminalität und der | |
| entsprechenden Literatur beschäftigt hat, wird das Büchlein der | |
| ausgewiesenen, seit vielen Jahren in Venedig lebenden Mafia-Expertin Petra | |
| Reski vielleicht skeptisch zur Hand nehmen. Und wird dann aufs anregendste | |
| überrascht: Denn Reskis Schwerpunkt ist nicht, Standardwerke wie etwa John | |
| Dickies „Cosa Nostra: Die Geschichte der Mafia“ noch einmal hübsch | |
| aufbereitet und eingekürzt neu zu erzählen. Reski schreibt nicht über das, | |
| was wir hier in diesem supersauberen Deutschland von der Mafia zu wissen | |
| glauben, sondern darüber, was wir trotz immer näher kommender und in immer | |
| kürzeren Abständen erfolgender Einschläge einfach nicht zur Kenntnis nehmen | |
| wollen: dass es sich nämlich bei der Mafia (’Ndrangheta, Camorra, Cosa | |
| Nostra) wie bei Pizza und Pasta um ein höchst erfolgreiches Exportprodukt | |
| handelt. | |
| Reski hat ein persönliches Buch über die Mafia in Deutschland geschrieben, | |
| die wir spätestens seit den Erkenntnissen der jüngsten | |
| [4][„Pollino“–Ermittlungen] auch einfach die deutsche Mafia nennen könne… | |
| wenn eben deutsche PolizistInnen und BeamtInnen Informationen an den Mob | |
| weitergeben und deutsch-türkische Subunternehmen den Drogentransport in | |
| umgebauten Autos organisieren. | |
| Das Ergebnis von Reskis Analyse ist eindeutig „Deutschland ignoriert die | |
| Mafia bewusst, weil Deutschland von der Mafia profitiert“. Und sie benennt | |
| etwas sehr einfaches, was diejenigen Journalistinnen, die sich mit dem | |
| Phänomen ernsthaft beschäftigen, nur zu gerne unterschreiben würden, wenn | |
| sie denn nicht zum hundertsten mal nach dem „Paten“ gefragt würden: „Die | |
| Faszination des Bösen hat mich nie interessiert. Denn diese Form der | |
| Darstellung tut der Mafia nicht weh. Ganz im Gegenteil.“ | |
| Deswegen lässt Reski ausführlich ProtagonistInnen des italienischen | |
| Justizapparates zu Wort kommen, die ein Leben wie im Hochsicherheitstrakt | |
| führen müssen, weil sie gegen die Mafia kämpfen; und deswegen betonen | |
| andere JournalistInnen mit einem anderen Schwerpunkt die Beharrlichkeit der | |
| zivilgesellschaftlichen Anti-Mafia-Bewegung. Beide Gruppen stehen in der | |
| besten italienischen Tradition – der der „Vier Tage von Neapel“. | |
| Die Mafia ist eine bewaffnete Bande, deren Ziel der Profit ist. Wenn sie | |
| wie in Italien bis in die 1980er Jahre hinein, die Linke bekämpfen soll, | |
| dann tut sie das mit faschistoider Gewalt; wenn sie im alternativlosen | |
| System des Neoliberalismus ihr Ziel meist mit anderen Mitteln erreicht – | |
| auch gut. In den an die Jugend gerichteten Worten eines bei einem | |
| ’Ndrangheta-Meetings in der Schweiz abgehörten Bosses: „Wer arbeiten will, | |
| kann arbeiten! Es gibt Arbeit für alle: Erpressungen, Kokain, Heroin!“ | |
| 22 Dec 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.repubblica.it/protagonisti/Hans-Georg_Maassen | |
| [2] http://www.steiner-verlag.de/reihe/view/titel/61512.html | |
| [3] https://www.reclam.de/detail/978-3-15-020525-9/Reski__Petra/Mafia__100_Seit… | |
| [4] /Razzien-gegen-Ndrangheta-in-Europa/!5556988 | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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