# taz.de -- Spielfilm über italienische Mafia: Armut und Camorra | |
> „Paranza – Der Clan der Kinder“, nach einer Romanvorlage Roberto | |
> Savianos, erzählt von einer Jugend im Schatten des organisierten | |
> Verbrechens. | |
Bild: „Paranza – Der Clan der Kinder“ handelt von den Verlockungen der Ca… | |
Nicola ist 15 Jahre alt. Seine Mutter hat eine Wäscherei in Sanità, einem | |
der ärmeren Viertel Neapels. Mit seinen Freunden knattert er auf dem Moped | |
durch die Straßen der Stadt und träumt von einem besseren Leben. Die | |
Dringlichkeit, Träume Realität werden zu lassen, erhöht sich, als er die | |
junge Letizia kennenlernt. Um sie wiederzusehen, muss er in eine Edeldisco | |
reinkommen. Also braucht Nicola dringend Geld, viel Geld. | |
Er überfällt mit seinen Freunden einen Juwelier, was aber nur dazu führt, | |
dass zwei Handlanger des lokalen Camorra-Bosses ihn und seine Freunde mit | |
Tritten zu ihrem Chef bringen. Der gibt dem Juwelier alles zurück, was die | |
Jungs gestohlen haben. Nicola und seine Freunde kriegen Schläge. | |
Geistesgegenwärtig bittet Nicola den Boss, ihnen einen Job zu verschaffen. | |
„Paranza – Der Clan der Kinder“ schildert das Leben von Jugendlichen aus | |
ärmlichen Verhältnissen im Neapel der Gegenwart und die Verlockungen der | |
Camorra, der neapolitanischen Spielart der Mafia. Im Auftrag des Clan-Chefs | |
dürfen Nicola und seine Freunde von nun an Hasch vor der Universität von | |
Neapel verkaufen. Kurz darauf nimmt der Chef die Jungs als Bedienung mit | |
auf die Hochzeit seiner Nichte. Die Hochzeit wird von der Polizei gestürmt, | |
die meisten der Clan-Chefs werden verhaftet. | |
Nicola plant, die Gunst der Stunde zu nutzen und das Viertel gemeinsam mit | |
einem ehemaligen Clan-Chef unter seine Kontrolle zu bringen. Sie besorgen | |
sich eine Waffe und schießen auf einen der Angehörigen des rivalisierenden | |
Clans. Der Angriff geht schief und Nicola verschafft sich eilig die | |
Unterstützung eines anderen Clan-Oberhaupts, das unter Hausarrest steht. | |
Frisch mit Waffen versorgt, krempelt Nicola das Viertel um und übernimmt | |
die Macht. | |
## Ein aufgeblähter Fernsehfilm | |
Claudio Giovannesi, der bei dieser Verfilmung des dritten Romans von | |
Roberto Saviano Regie führt, hat bislang eine Reihe von eher | |
vernachlässigenswerten Filmen gedreht. Hinzu kommen zwei Folgen der | |
Fernsehserie, die auf Roberto Savianos erstem Roman „Gomorra“ beruhte. | |
„Paranza“ ist nie mehr als die solide Verfilmung des erfolgreichen Romans | |
eines Autors, der zur festen Marke für Antimafialiteratur geworden ist. Die | |
Figuren sind selten mehr als Funktionen des Drehbuchs, ihre Träume bleiben | |
Gemeinplätze, ihre Pläne schematisch und die Konflikte zwischen den Clans | |
weitgehend angedeutet. | |
Giovannesi hat die Handlung des Romans vom Stadtrand von Neapel ins | |
Stadtzentrum verlegt, badet den Film in Aufnahmen der pittoresken Armut im | |
spanischen Viertel und in Sanità. Ein paar weitere Sehenswürdigkeiten | |
werden eher uninspiriert mit abgehandelt. | |
Zur Postkartenästhetik trägt bei, dass der Film teils mit Laiendarstellern | |
auf Neapolitanisch gedreht wurde, was wohl die Authentizität erhöhen | |
sollte. „Paranza“ ist jedoch gegenüber Mafiafilmen und Thrillern der | |
jüngsten italienischen Filmgeschichte wie Francesco Munzis „Anime nere“ | |
oder Stefano Sollimas „Suburra“ so unterkomplex, dass der Eindruck eines | |
aufgeblähten, arg schematischen Fernsehfilms nie recht verschwindet. | |
## Das organisierte Verbrechen in Europa | |
Von der Lässigkeit, Neapel zu inszenieren, die die Filme der Brüder Manetti | |
durchzieht, deren letzter Film, das Camorramusical „Ammore e malavita“, | |
Ende letzten Jahres auch in Deutschland zu sehen war, ist der Film noch | |
weiter entfernt. Angesichts der allumfassenden Mediokrität ist es wohl nur | |
mit der Bekanntheit des Autors der Romanvorlage zu erklären, wie es | |
Giovannesis Film in den Wettbewerb der diesjährigen Berlinale geschafft | |
hat. | |
Auch in „Paranza“ wie zuvor in „Gomorra“ erschreckt die Alltäglichkeit… | |
der sich Jugendliche wie Nicola für das organisierte Verbrechen als Ausweg | |
aus dem Leben in ärmlichen Verhältnissen entscheiden. Dessen Entscheidung | |
für die Camorra bei der Suche nach einer Einnahmequelle bleibt auch für | |
Letizia, deren Vater seinen Lebensunterhalt mit einem Restaurant verdient | |
und der der Beziehung mit Nicola skeptisch gegenübersteht, nichts, woran | |
sie Anstoß nähme. | |
Roberto Savianos Bücher haben erheblich dazu beigetragen, die Ausweitung | |
des italienischen organisierten Verbrechens in Europa wieder sichtbar | |
werden zu lassen und es zugleich in seiner Anschlussfähigkeit an lokale | |
Schwachstellen plausibel zu machen. In „Paranza“ als Film ist dies nur noch | |
sehr ansatzweise der Fall. Dennoch: Sollte der Film Ausgangspunkt einer | |
weiteren Beschäftigung mit dem organisierten Verbrechen in Italien sein, | |
der sich etwa in der Lektüre der Romanvorlage fortsetzt, wäre das nicht | |
nichts. Sollten einige Zuschauer den Anti-Mafia-Initiativen Neapels nach | |
dem Ansehen des Films Spenden zukommen lassen, um konkrete Arbeit gegen die | |
Perspektivlosigkeit zu unterstützen, wäre der Film sogar für etwas gut | |
gewesen. | |
22 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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