# taz.de -- Niedersachsens Innenminister zur AfD: „Die rote Linie ist übersc… | |
> Boris Pistorius (SPD) spricht über rechte Grenzüberschreitungen, die | |
> Zukunft der SPD und ob heute mit der Weimarer Republik vergleichbar ist. | |
Bild: Boris Pistorius hofft, dass der Verfassungsschutz demnächst die AfD beob… | |
taz: Herr Pistorius, wir sitzen hier im Preußischen Herrenhaus in Berlin, | |
in der NS-Zeit eine der Dienststellen von Hermann Göring. Vor Kurzem haben | |
Sie gesagt: „Wir haben die Chance, Geschichte sich nicht wiederholen zu | |
lassen.“ Sehen Sie so eine große Gefahr? | |
Boris Pistorius: Ich glaube nicht daran, dass sich Geschichte eins zu eins | |
wiederholt. Aber Fehler, die zu verhängnisvollen Entwicklungen führen, | |
können sich wiederholen. Wir leben in einer Zeit, in der es nach meiner | |
Wahrnehmung immer noch sehr viele Menschen gibt, die glauben, wir seien | |
immun gegen Entwicklungen, die unsere Demokratie und den Rechtsstaat | |
gefährden können. | |
In der Besorgnis unterscheiden wir uns dann nicht so sehr. Nur ob Weimar | |
tatsächlich ein sinniger Bezug ist? Das war doch eine ganz andere | |
gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation. | |
Es ist für mich eher eine Projektionsfläche und Mahnung für die Gegenwart | |
und Zukunft: Sehen Sie sich zum Beispiel an, wie sich Wahlergebnisse der | |
NSDAP entwickelt haben. Oder vergleichen Sie Zitate von Herrn Höcke und Co. | |
mit solchen von Nazigrößen der frühen 30er-Jahre. Das ist teilweise so, als | |
ob jemand diese Zitate genommen und nur umformuliert hätte. | |
Die AfD steht ja nun nicht gerade vor einer Machtergreifung … | |
Nein, natürlich nicht. Aber: Die Nazis hatten 1924 bei Reichstagswahlen 3 | |
Prozent bekommen. Erst auch über den Straßenkampf und über eine | |
Landtagswahl in Sachsen mit 14 Prozent hat sich das gesteigert – und zwar | |
landesweit innerhalb von drei Jahren von 18 Prozent 1930, über 37 Prozent | |
bei den Wahlen 1932 auf schließlich 44 Prozent im März 1933. | |
Es gab 2018 zwar hässliche Ereignisse wie [1][Ausschreitungen in Chemnitz] | |
und [2][Demonstrationen in Köthen] oder die Demonstration zum 3. Oktober in | |
Berlin. Das ist aber mit der Straßengewalt der Faschisten nicht | |
vergleichbar. | |
Auf keinen Fall. Es geht aber auch nicht um eine Vergleichbarkeit im | |
engeren Sinne. Ich habe den Kutscher-Roman, der Vorlage für die Serie | |
„Babylon Berlin“ ist, ebenso wie die Folgeromane aus der Reihe, gelesen. | |
Gerade am Übergang 1932/33 wird dort eindrucksvoll beschrieben, was in | |
diesem Land passiert ist, wie sich Staat, Beamtenschaft, Justiz und andere | |
haben vereinnahmen lassen und in der Mehrheit keinen Widerstand geleistet | |
haben. Davor habe ich heute keine Angst. Aber was würde womöglich | |
passieren, wenn die AfD unter schlechteren wirtschaftlichen | |
Rahmenbedingungen stärker würde?! Ein Historiker sagte kürzlich dazu, 1929, | |
also das Jahr, in dem die erste Staffel „Babylon Berlin“ spielt, konnte | |
sich niemand vorstellen, es war völlig undenkbar, was vier Jahre später | |
passieren würde. | |
In der Polizei von Frankfurt am Main wurde, dazu passend, gerade eine | |
rechtsextreme Clique entdeckt. Ist die Büchse der Pandora geöffnet? | |
Ich hoffe, dass die Frankfurter Gruppe ein Einzelfall ist. Zumindest hier | |
in Niedersachsen ist so etwas nicht bekannt. Dennoch müssen wir wachsam | |
sein und auch innerhalb unserer eigenen Strukturen jeglichen Anzeichen | |
extremistischer Gesinnung entgegenwirken. Denn klar ist: wer offenkundig | |
rassistisches oder fremdenfeindliches Gedankengut verbreitet und den | |
Grundwerten unserer Verfassung zuwiderhandelt, hat in der Polizei nichts zu | |
suchen. | |
Sie sagten jüngst auch, nicht die Extremisten allein seien in der Weimarer | |
Republik diejenigen gewesen, die das Scheitern brachten. Die Mehrheit sei, | |
so Ihre These, irgendwann gekippt. Was tun Sie als Innenminister, als | |
Sozialdemokrat, um ein Kippen der Mehrheitsgesellschaft zu verhindern? | |
Wir müssen junge Menschen dazu ermuntern, von ihren Grundrechten Gebrauch | |
zu machen und sich für unseren Staat zu engagieren. Dazu gehört auch eine | |
öffentliche und friedliche Diskussion wie über Polizeigesetze in | |
Niedersachsen und anderswo. Auch wenn ich die Kritik daran nicht immer | |
teile. Es geht darum, dass politische Diskussionen wieder mehr in der Mitte | |
der Gesellschaft stattfinden. | |
Wir müssen außerdem ohne Tabuisierung oder Dramatisierung sagen, was ist. | |
Wir müssen dann konsequenter in unseren politischen Entscheidungen und | |
Konzepten und deren Umsetzung sein. Das heißt, um das etwa am Beispiel | |
Flüchtlinge oder auch Innere Sicherheit festzumachen: Wir müssen einerseits | |
konsequente Integration betreiben, aber natürlich andererseits auch | |
konsequent gegen kriminelle Ausländer vorgehen. Konsequenz und | |
Zuverlässigkeit im Verhalten sind das Einzige, was Vertrauen rechtfertigt | |
und zurückbringt. | |
Keine Debatte über den Rechtsruck kann offenbar ohne das Thema Flüchtlinge | |
auskommen … | |
Kein Thema in den letzten drei Jahren hat so polarisiert wie die | |
Flüchtlingsdebatte. Das Thema hat den Rechten, wie eigentlich noch nie | |
zuvor, ein Fenster dafür geöffnet, ihre Ideologien in Diskussionen in der | |
Mitte der Gesellschaft einfließen zu lassen. Diese Projektionsfläche nicht | |
mehr nur in Hinterzimmern und bei rechten Kader zu finden, sondern auch in | |
der Kneipe, im Sportverein oder sogar im Freundeskreis, das war neu. | |
Aber wenn Sie Integration und konsequentes Vorgehen gegen Kriminelle wieder | |
einfach nebeneinander setzen, suggeriert es doch nur wieder: Es gibt die | |
eine Hälfte, die man integrieren kann, und die andere Hälfte nicht. | |
Darum geht es nicht, und das stimmt auch nicht. Die ganz überwiegende Zahl | |
der Flüchtlinge verhält sich völlig rechtstreu, will sich integrieren und | |
ist auch integrierbar. Aber auch hier geht es um Klarheit und | |
Differenzierung. Wir haben in Niedersachsen 2015 als erstes Bundesland | |
beispielsweise zwei Marker in die Kriminalstatistik aufgenommen: Flüchtling | |
als Beschuldigter und Flüchtling als Opfer einer Straftat. Ich bin dafür | |
kritisiert worden, von Teilen der eigenen Koalition und von links, wie ich | |
denn Flüchtlinge derart stigmatisieren könne. Ich wollte aber den Beweis | |
führen: Stimmt eigentlich das, was bestimmte Gruppen und Teile der | |
Öffentlichkeit weismachen wollen, dass Flüchtlinge krimineller sind als | |
andere? | |
Stimmt es? | |
Siehe da: Nein! Und es beweist: Man muss die Dinge benennen, um sie klären | |
zu können. Man kann ein Problem nicht verdrängen, darf es nicht tabuisieren | |
und dann erwarten, dass die Menschen einem zutrauen, es zu lösen. | |
Im Moment hören wir die ganze Zeit, man muss mehr zum Volk gehen, man muss | |
dieses und jenes tun und vor allem konsequent. Aber was heißt das denn … | |
… für die SPD sollte das eigentlich einfach sein. | |
Einfach ist gut. | |
Als 14-Jähriger habe ich für sie in Wahlkämpfen Handzettel verteilt, mit 16 | |
Jahren bin ich in die SPD eingetreten, und jetzt bin ich seit 42 Jahren in | |
der Partei. Ich bin von der Willy-Brandt-Ära geprägt, in der sich meine | |
Eltern politisiert hatten. Die SPD war die Partei, die es ermöglicht hat – | |
jetzt ganz konkret und Politik muss ja konkret sein – , dass meine Brüder | |
und ich überhaupt Abitur machen konnten. Meine Eltern hätten sich das nicht | |
leisten können. Die SPD war für die Generation meiner Eltern die Partei der | |
Hoffnung. | |
Mein Vater hat als Mercedes-Arbeiter angefangen. Heute sprechen wir … | |
… genau so. Das war die SPD. Für eine ganze Generation stand die SPD für | |
Hoffnung auf ein gutes, auf ein besseres Leben für die eigenen Kinder und | |
eine bessere, gerechtere und friedliche Zukunft. Und das ist die SPD heute | |
nicht mehr in dieser Form. Aber sie muss es wieder werden. | |
In der Partei scheint das alles andere als einfach. Die einen halten die | |
linksliberale Gesellschaftspolitik für ein Elitenkonzept, die SPD müsse | |
sozialpolitisch linker und innenpolitisch härter werden. Kevin Kühnert | |
sagte gerade bei uns im Interview, die SPD dürfe aus Umverteilung und | |
Liberalisierung keinen Widerspruch konstruieren. Wohin soll sie sich denn | |
nun wandeln? | |
Die Menschen suchen in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung nach | |
Orientierung. Es beschäftigt sie die Frage: Was passiert eigentlich, wenn | |
ich alt bin und meine Kinder nicht genug Geld haben, um mich pflegen zu | |
können? Ich bin jetzt gerade seit drei Monaten Opa. Wenn ich 78 bin, dann | |
ist meine kleine Enkelin 20. Wie sieht dann deren Arbeitswelt aus? Arbeiten | |
die Menschen dann eigentlich noch 40 Stunden die Woche, oder gibt es gar | |
nicht mehr genug Arbeit für die Nichtdigitalen? Oder arbeiten die Menschen | |
nur noch 20 Stunden? Aber was machen sie in der restlichen Zeit und wovon | |
leben sie – und wer bezahlt das eigentlich? Anstatt sich damit zu | |
beschäftigen und gleichzeitig die heutigen Probleme zu lösen, kommt aus der | |
SPD beispielsweise die Idee eines Sabbaticals, das man alle zwölf Jahre | |
einlegen dürfe. Darüber kann man generell sprechen, aber ich glaube, dass | |
das an den drängendsten Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung | |
vorbeigeht. | |
Mit dem Sabbatical kommen wir in die Diskussion über die viel kritisierten | |
globalen Eliten. So ist es schwierig … | |
… globale Eliten, ja. Aber doch nicht die Familie meiner Putzfrau. | |
Modern wurde zuletzt immer mit Blick auf die globalen Eliten definiert. Die | |
anderen sind in dieser Sichtweise die Rückständigen. | |
Aber die globalen Eliten sind doch nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Die | |
SPD muss sich doch gerade um die kümmern, die hart arbeiten und sich an die | |
Regeln halten, wie das früher genannt wurde. Das war unsere Klientel. Und | |
das muss sie wieder werden. | |
Sie wollen die SPD wirklich zu einer anderen Partei zurückformen … | |
… nein, nicht zurückformen, sondern die sozialdemokratischen Wurzeln an das | |
Heute und Morgen anpassen. Eine SPD, die sich etwa um die Familien mit | |
Euro-4- oder 5-Diesel kümmert, aber nicht immer um Besserverdienende, die | |
dreimal im Arbeitsleben ein Sabbatical einlegen wollen, um an das Beispiel | |
noch mal anzuknüpfen. Um das an meinem Geschäftsbereich als Innenminister | |
zu verdeutlichen: Wir haben in Niedersachsen beim Thema | |
Kriminalitätsbekämpfung und Sicherheit 50 Prozent Zustimmung. Wir müssen | |
uns als Sozialdemokraten die Frage stellen, woher wir eigentlich kommen und | |
was einmal unsere Kernaufgabe war und was unsere Stärke. | |
Das ist eine interessante Positionierung. Seit der US-Wahl streitet die | |
Sozialdemokratie, die liberale Linke in den USA und in Europa über die | |
Frage: Ist die Emanzipation der Minderheiten der richtige Fokus oder ist es | |
der Bezug auf die Mehrheit? | |
Allein die Summe von Minderheiten ergibt noch keine Mehrheit. Das nicht | |
anzunehmen und danach zu handeln, war ein Denkfehler, den die SPD nach | |
meiner Meinung lange gemacht hat. Ich brauche erst eine Mehrheit, um | |
Politik auch für Minderheiten machen zu können. Und wer, wenn nicht die | |
SPD, ist aufgrund ihrer Geschichte prädestiniert dafür, sich schützend vor | |
die Minderheiten zu stellen? | |
Das mit einer Harz-IV-Diskussion zu erreichen, fällt Ihrer Partei gerade | |
sehr schwer. Muss dieses Symbol nicht endlich fallen? | |
Die Hartz-IV-Diskussion spielt in das, wovon ich spreche, mit hinein. Es | |
gibt heute viele Menschen, die Angst haben. Es gibt vielfältige | |
Unsicherheit, Angst vor der Zukunft, Angst vor dem eigenen oder dem Abstieg | |
der Kinder. Hartz IV steht als Symbol dafür, wobei das heute ein ganz | |
anderes Konstrukt ist als vor 15 Jahren. Natürlich muss man trotzdem noch | |
was tun: Man muss das Schonvermögen höher festsetzen und die Lebensleistung | |
mehr berücksichtigen. Damit jemandem, der 30 Jahre gearbeitet hat, diese | |
Angst, ins Bodenlose zu fallen, genommen wird. Und wenn jemand sagt, dass | |
Hartz IV weg soll, muss er auch sagen, was die Alternative ist. Wieder | |
zurück zum alten System mit der alten Sozialhilfe? Das kann keiner | |
ernsthaft wollen. Und ernsthaft ist das Konzept der Grünen ebenso wenig. | |
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck verplant gedanklich mal eben so | |
nonchalant 30 Milliarden … | |
… für eine Grundsicherung. | |
Bei der die große Gefahr besteht, dass durch die erhöhte Kaufkraft die | |
Preise steigen und das dann wieder zu einer Erhöhung des Grundeinkommens | |
führen muss. Zudem muss die 30 Milliarden oder mehr doch jemand | |
finanzieren. Das Geld muss dann wieder die Putzfrau, muss der Facharbeiter | |
aus seinem Steueraufkommen bezahlen. Und gleichzeitig muss Robert Habeck | |
auch zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, die sagen: Mir reicht das | |
Grundeinkommen, das andere für mich erarbeiten. Das ist doch genau die | |
Politik, die unsere eigentlichen Wähler, die für ihren Urlaub Überstunden | |
machen oder die ihr Auto ein Jahr länger fahren, nicht verstehen. | |
Was Sie sagen, ist eine klare Richtungsansage für die Partei. Im Moment | |
kennt die SPD aber vor allem eine Richtung: nach unten. Sehen Sie eine | |
Chance, wie die SPD den Absturz noch aufhalten kann? | |
Ich sage es einmal ganz einfach: Politik ist Vertrauenssache. Ich habe das | |
neulich mal bei einer Veranstaltung mit Schülern so formuliert: Stellt euch | |
vor, ihr seid nachts im Wald und verlauft euch. Und plötzlich kommt jemand | |
und sagt: „Hah, kein Problem, in drei Minuten sind wir hier raus. Häng dich | |
einfach an mich ran.“ Und dann kommt einer, der sagt: „Es ist ein ziemlich | |
dichter Wald und er ist verdammt groß und dunkel. Ich weiß nicht, ob ich | |
sofort den richtigen Weg kenne, aber ich glaube, zusammen kriegen wir das | |
hin. Ich verspreche euch jetzt nicht, dass wir in einer halben Stunde | |
draußen sind, aber morgen früh denke ich schon.“ Wem würden Sie im Zweifel | |
eher folgen? | |
Dem Zweiten. | |
Ich glaube, die meisten antworten so. Es folgt einem Urinstinkt der | |
Menschen. Sie wollen einerseits Sicherheit, aber sie wollen auch nicht in | |
die Irre geführt werden. Sie wollen nicht mit Heilsversprechen gelockt | |
werden. Sehr viele Menschen jedenfalls. | |
Und Sie wollen uns in Bezug auf die SPD damit sagen, dass … | |
… dass Politiker gerade in Zeiten, in denen die Leute verunsichert sind, | |
selbst Sicherheit ausstrahlen müssen. Die Botschaft muss sein: „Pass auf, | |
ich weiß genau, was ich tue und bin davon überzeugt, dass es richtig ist.“ | |
Es geht nicht darum, den Menschen vorzugaukeln, man sei der liebe Gott – | |
samt Versprechen auf Eigenheim und einen Mittelklassewagen. Und das ist | |
nicht zuletzt eine Frage der Performance. Im Moment sind wir darin nicht | |
gut genug. | |
Warum spricht die AfD genau die Wähler, die Sie erreichen wollen, so viel | |
besser an als die SPD? | |
Die AfD vermittelt doch keine Hoffnung. Sie vermittelt keine Programme. Sie | |
vermittelt kein Versprechen. Die Leute wenden sich der Partei zu, weil sie | |
sich vor allen Dingen erst mal abwenden. „Alles, was die anderen machen, | |
ist sowieso schlecht.“ Das ist doch die Haltung, dazu eine ordentliche | |
Portion Häme. „Dann kann man es auch mal mit der AfD versuchen“, sagen sich | |
dann einige. Marine Le Pen und der Front haben in Frankreich aber zum | |
Beispiel nie irgendeine Lösung für irgendetwas gebracht. Und trotzdem | |
laufen die Leute ihnen zu. Sie haben für nichts eine Lösung. Die AfD ist | |
eine Sammlungsbewegung für Skeptiker und Ignorante, die Rückenwind durch | |
das Jahr 2015 und die Kommunikationsmöglichkeiten sozialer Netzwerke hatte. | |
Alles das, was sie fordern, führt in die 50er- oder in die 30er-Jahre | |
zurück. Aber das nimmt gar keiner wahr. Sehen Sie das anders? | |
Ja. Wenn man heute die AfD wählt, dann weiß man, was man bekommt. | |
Nein, man meint zu wissen, was man bekommt. Aber diese Partei hat kein | |
Konzept für die wirklichen Probleme der Menschen. Und der Rest ist nur | |
Rhetorik. Offenbar schadet jedoch nicht einmal der Spendenskandal der AfD. | |
Deren Rhetorik läuft so: Was wir machen, dürfen wir machen, denn die | |
anderen machen doch auch, was sie wollen. Das ist übrigens das eigentlich | |
Gefährliche. Früher hat so etwas einer Partei geschadet. Heute nicht mehr. | |
Das gilt genauso für den amerikanischen Präsidenten. | |
Kommt im Januar eine [3][Entscheidung über die AfD-Beobachtung]? | |
Das muss das Bundesamt für Verfassungsschutz und letztendlich der | |
Bundesinnenminister entscheiden. Ich denke schon, dass die Behörde unter | |
der neuen Führung auch hinsichtlich der AfD anders tickt – um es sehr | |
diplomatisch auszudrücken. Sie muss auch anders ticken, denn die | |
Entwicklung der AfD seit 2013, 2014 kann man wirklich nicht ignorieren. Für | |
mich ist für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur NPD 2017 | |
wegweisend. Die NPD ist doch nur deshalb nicht verboten worden, weil sie | |
nicht mehr als gefährlich eingestuft wurde. Aber die | |
Verfassungsfeindlichkeit ist ihr eindrucksvoll attestiert worden. Das | |
Verfassungsgericht hat damit die rote Linie, über die eine Partei nicht | |
gehen darf, ohne verfassungsfeindlich zu werden, definiert. Das ist eine | |
Blaupause für den Umgang mit der AfD. Ich bin mir sicher, dass die rote | |
Linie an einigen Punkten überschritten ist. | |
Bitte schön … | |
Björn Höcke am 17. Juni 2017: „Der Verwesungsgeruch einer absterbenden | |
Demokratie wabert durch’s Land. In dieser Lage, liebe Freunde, und das sage | |
ich als staatstreuer Bürger, in dieser Lage ist nicht Ruhe, in dieser Lage | |
ist Mut und Wut und Renitenz und ziviler Ungehorsam die erste | |
Bürgerpflicht. Holen wir uns unser Land zurück.“ Gegenüberstellt, | |
historischer Vergleich, Alfred Hugenberg, Vorsitzender der | |
Deutschnationalen Volkspartei 1929: „In dem verlogenen und sozialistisch | |
korrumpierten neuen deutschen Parlamentarismus und Parteisystem sehen wir | |
einen Feind unseres Vaterlandes“. | |
Oder … | |
Andreas Kalbitz, Vorsitzender der AfD-Fraktion in Brandenburg, 23. | |
Juni.2017: „Die Blockparteien haben sich den Staat zur Beute gemacht und | |
die Regierung unser Land und Volk zum Schlachtfeld ideologischer | |
Experimente überall. Die AfD ist die letzte evolutionäre Chance für dieses | |
Land. Danach kommt nur noch Helm auf.“ | |
Es klingt alles sehr martialisch, fast schon lächerlich. Glauben Sie | |
wirklich, dass die AfD die Demokratie abschaffen will? | |
Nicht von jedem führenden Parteimitglied, aber schon von einigen. Die | |
Äußerungen von Alexander Gauland zur Überwindung des Systems sind | |
eindeutig; auch wenn er versucht hat, sich rauszureden, er habe das System | |
Merkel gemeint, was immer das sein soll. Nachgeschobene Relativierungen | |
sind Teil der Rhetorik. Außerdem gibt es die belegten Aussichten für Ihren | |
Berufsstand, frei nach dem Motto: „Wartet erst ab, wenn wir was zu sagen | |
haben, kommen wir in eure Redaktionsstuben.“ Das kennen wir alles aus den | |
30ern. Die Parallelen kann man nicht leugnen. | |
Nützt es denn mit Blick auf das, was wir am Anfang diskutiert haben, die | |
AfD zu beobachten? | |
Ja natürlich. Möglicherweise in Teilen der Partei, oder als Ganzes. Das | |
wäre ein klares Signal dieser Demokratie, dass sie wachsam ist. Mit einer | |
Beobachtung kann der Teil der Öffentlichkeit, der sich der AfD zugewandt | |
hat, nicht mehr so tun, als sei das eine ganz normale Partei. Die möglichen | |
Bestrebungen wären dann offengelegt. Davor hat die AfD übrigens Angst. Denn | |
die Beobachtung hätte auch in begründeten Einzelfällen vielleicht sogar | |
persönliche Konsequenzen für deren Mitglieder. | |
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass in zehn Jahren ein AfD-Mitglied | |
Ihren Job als Innenminister macht? | |
Was für eine Frage! Ich halte es für unwahrscheinlich. Als | |
leidenschaftlicher Demokrat und Liebhaber des Grundgesetzes glaube ich | |
immer noch daran, dass wir stark genug sind, das zu verhindern. | |
30 Dec 2018 | |
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