| # taz.de -- Niedersachsens Innenminister zur AfD: „Die rote Linie ist übersc… | |
| > Boris Pistorius (SPD) spricht über rechte Grenzüberschreitungen, die | |
| > Zukunft der SPD und ob heute mit der Weimarer Republik vergleichbar ist. | |
| Bild: Boris Pistorius hofft, dass der Verfassungsschutz demnächst die AfD beob… | |
| taz: Herr Pistorius, wir sitzen hier im Preußischen Herrenhaus in Berlin, | |
| in der NS-Zeit eine der Dienststellen von Hermann Göring. Vor Kurzem haben | |
| Sie gesagt: „Wir haben die Chance, Geschichte sich nicht wiederholen zu | |
| lassen.“ Sehen Sie so eine große Gefahr? | |
| Boris Pistorius: Ich glaube nicht daran, dass sich Geschichte eins zu eins | |
| wiederholt. Aber Fehler, die zu verhängnisvollen Entwicklungen führen, | |
| können sich wiederholen. Wir leben in einer Zeit, in der es nach meiner | |
| Wahrnehmung immer noch sehr viele Menschen gibt, die glauben, wir seien | |
| immun gegen Entwicklungen, die unsere Demokratie und den Rechtsstaat | |
| gefährden können. | |
| In der Besorgnis unterscheiden wir uns dann nicht so sehr. Nur ob Weimar | |
| tatsächlich ein sinniger Bezug ist? Das war doch eine ganz andere | |
| gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation. | |
| Es ist für mich eher eine Projektionsfläche und Mahnung für die Gegenwart | |
| und Zukunft: Sehen Sie sich zum Beispiel an, wie sich Wahlergebnisse der | |
| NSDAP entwickelt haben. Oder vergleichen Sie Zitate von Herrn Höcke und Co. | |
| mit solchen von Nazigrößen der frühen 30er-Jahre. Das ist teilweise so, als | |
| ob jemand diese Zitate genommen und nur umformuliert hätte. | |
| Die AfD steht ja nun nicht gerade vor einer Machtergreifung … | |
| Nein, natürlich nicht. Aber: Die Nazis hatten 1924 bei Reichstagswahlen 3 | |
| Prozent bekommen. Erst auch über den Straßenkampf und über eine | |
| Landtagswahl in Sachsen mit 14 Prozent hat sich das gesteigert – und zwar | |
| landesweit innerhalb von drei Jahren von 18 Prozent 1930, über 37 Prozent | |
| bei den Wahlen 1932 auf schließlich 44 Prozent im März 1933. | |
| Es gab 2018 zwar hässliche Ereignisse wie [1][Ausschreitungen in Chemnitz] | |
| und [2][Demonstrationen in Köthen] oder die Demonstration zum 3. Oktober in | |
| Berlin. Das ist aber mit der Straßengewalt der Faschisten nicht | |
| vergleichbar. | |
| Auf keinen Fall. Es geht aber auch nicht um eine Vergleichbarkeit im | |
| engeren Sinne. Ich habe den Kutscher-Roman, der Vorlage für die Serie | |
| „Babylon Berlin“ ist, ebenso wie die Folgeromane aus der Reihe, gelesen. | |
| Gerade am Übergang 1932/33 wird dort eindrucksvoll beschrieben, was in | |
| diesem Land passiert ist, wie sich Staat, Beamtenschaft, Justiz und andere | |
| haben vereinnahmen lassen und in der Mehrheit keinen Widerstand geleistet | |
| haben. Davor habe ich heute keine Angst. Aber was würde womöglich | |
| passieren, wenn die AfD unter schlechteren wirtschaftlichen | |
| Rahmenbedingungen stärker würde?! Ein Historiker sagte kürzlich dazu, 1929, | |
| also das Jahr, in dem die erste Staffel „Babylon Berlin“ spielt, konnte | |
| sich niemand vorstellen, es war völlig undenkbar, was vier Jahre später | |
| passieren würde. | |
| In der Polizei von Frankfurt am Main wurde, dazu passend, gerade eine | |
| rechtsextreme Clique entdeckt. Ist die Büchse der Pandora geöffnet? | |
| Ich hoffe, dass die Frankfurter Gruppe ein Einzelfall ist. Zumindest hier | |
| in Niedersachsen ist so etwas nicht bekannt. Dennoch müssen wir wachsam | |
| sein und auch innerhalb unserer eigenen Strukturen jeglichen Anzeichen | |
| extremistischer Gesinnung entgegenwirken. Denn klar ist: wer offenkundig | |
| rassistisches oder fremdenfeindliches Gedankengut verbreitet und den | |
| Grundwerten unserer Verfassung zuwiderhandelt, hat in der Polizei nichts zu | |
| suchen. | |
| Sie sagten jüngst auch, nicht die Extremisten allein seien in der Weimarer | |
| Republik diejenigen gewesen, die das Scheitern brachten. Die Mehrheit sei, | |
| so Ihre These, irgendwann gekippt. Was tun Sie als Innenminister, als | |
| Sozialdemokrat, um ein Kippen der Mehrheitsgesellschaft zu verhindern? | |
| Wir müssen junge Menschen dazu ermuntern, von ihren Grundrechten Gebrauch | |
| zu machen und sich für unseren Staat zu engagieren. Dazu gehört auch eine | |
| öffentliche und friedliche Diskussion wie über Polizeigesetze in | |
| Niedersachsen und anderswo. Auch wenn ich die Kritik daran nicht immer | |
| teile. Es geht darum, dass politische Diskussionen wieder mehr in der Mitte | |
| der Gesellschaft stattfinden. | |
| Wir müssen außerdem ohne Tabuisierung oder Dramatisierung sagen, was ist. | |
| Wir müssen dann konsequenter in unseren politischen Entscheidungen und | |
| Konzepten und deren Umsetzung sein. Das heißt, um das etwa am Beispiel | |
| Flüchtlinge oder auch Innere Sicherheit festzumachen: Wir müssen einerseits | |
| konsequente Integration betreiben, aber natürlich andererseits auch | |
| konsequent gegen kriminelle Ausländer vorgehen. Konsequenz und | |
| Zuverlässigkeit im Verhalten sind das Einzige, was Vertrauen rechtfertigt | |
| und zurückbringt. | |
| Keine Debatte über den Rechtsruck kann offenbar ohne das Thema Flüchtlinge | |
| auskommen … | |
| Kein Thema in den letzten drei Jahren hat so polarisiert wie die | |
| Flüchtlingsdebatte. Das Thema hat den Rechten, wie eigentlich noch nie | |
| zuvor, ein Fenster dafür geöffnet, ihre Ideologien in Diskussionen in der | |
| Mitte der Gesellschaft einfließen zu lassen. Diese Projektionsfläche nicht | |
| mehr nur in Hinterzimmern und bei rechten Kader zu finden, sondern auch in | |
| der Kneipe, im Sportverein oder sogar im Freundeskreis, das war neu. | |
| Aber wenn Sie Integration und konsequentes Vorgehen gegen Kriminelle wieder | |
| einfach nebeneinander setzen, suggeriert es doch nur wieder: Es gibt die | |
| eine Hälfte, die man integrieren kann, und die andere Hälfte nicht. | |
| Darum geht es nicht, und das stimmt auch nicht. Die ganz überwiegende Zahl | |
| der Flüchtlinge verhält sich völlig rechtstreu, will sich integrieren und | |
| ist auch integrierbar. Aber auch hier geht es um Klarheit und | |
| Differenzierung. Wir haben in Niedersachsen 2015 als erstes Bundesland | |
| beispielsweise zwei Marker in die Kriminalstatistik aufgenommen: Flüchtling | |
| als Beschuldigter und Flüchtling als Opfer einer Straftat. Ich bin dafür | |
| kritisiert worden, von Teilen der eigenen Koalition und von links, wie ich | |
| denn Flüchtlinge derart stigmatisieren könne. Ich wollte aber den Beweis | |
| führen: Stimmt eigentlich das, was bestimmte Gruppen und Teile der | |
| Öffentlichkeit weismachen wollen, dass Flüchtlinge krimineller sind als | |
| andere? | |
| Stimmt es? | |
| Siehe da: Nein! Und es beweist: Man muss die Dinge benennen, um sie klären | |
| zu können. Man kann ein Problem nicht verdrängen, darf es nicht tabuisieren | |
| und dann erwarten, dass die Menschen einem zutrauen, es zu lösen. | |
| Im Moment hören wir die ganze Zeit, man muss mehr zum Volk gehen, man muss | |
| dieses und jenes tun und vor allem konsequent. Aber was heißt das denn … | |
| … für die SPD sollte das eigentlich einfach sein. | |
| Einfach ist gut. | |
| Als 14-Jähriger habe ich für sie in Wahlkämpfen Handzettel verteilt, mit 16 | |
| Jahren bin ich in die SPD eingetreten, und jetzt bin ich seit 42 Jahren in | |
| der Partei. Ich bin von der Willy-Brandt-Ära geprägt, in der sich meine | |
| Eltern politisiert hatten. Die SPD war die Partei, die es ermöglicht hat – | |
| jetzt ganz konkret und Politik muss ja konkret sein – , dass meine Brüder | |
| und ich überhaupt Abitur machen konnten. Meine Eltern hätten sich das nicht | |
| leisten können. Die SPD war für die Generation meiner Eltern die Partei der | |
| Hoffnung. | |
| Mein Vater hat als Mercedes-Arbeiter angefangen. Heute sprechen wir … | |
| … genau so. Das war die SPD. Für eine ganze Generation stand die SPD für | |
| Hoffnung auf ein gutes, auf ein besseres Leben für die eigenen Kinder und | |
| eine bessere, gerechtere und friedliche Zukunft. Und das ist die SPD heute | |
| nicht mehr in dieser Form. Aber sie muss es wieder werden. | |
| In der Partei scheint das alles andere als einfach. Die einen halten die | |
| linksliberale Gesellschaftspolitik für ein Elitenkonzept, die SPD müsse | |
| sozialpolitisch linker und innenpolitisch härter werden. Kevin Kühnert | |
| sagte gerade bei uns im Interview, die SPD dürfe aus Umverteilung und | |
| Liberalisierung keinen Widerspruch konstruieren. Wohin soll sie sich denn | |
| nun wandeln? | |
| Die Menschen suchen in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung nach | |
| Orientierung. Es beschäftigt sie die Frage: Was passiert eigentlich, wenn | |
| ich alt bin und meine Kinder nicht genug Geld haben, um mich pflegen zu | |
| können? Ich bin jetzt gerade seit drei Monaten Opa. Wenn ich 78 bin, dann | |
| ist meine kleine Enkelin 20. Wie sieht dann deren Arbeitswelt aus? Arbeiten | |
| die Menschen dann eigentlich noch 40 Stunden die Woche, oder gibt es gar | |
| nicht mehr genug Arbeit für die Nichtdigitalen? Oder arbeiten die Menschen | |
| nur noch 20 Stunden? Aber was machen sie in der restlichen Zeit und wovon | |
| leben sie – und wer bezahlt das eigentlich? Anstatt sich damit zu | |
| beschäftigen und gleichzeitig die heutigen Probleme zu lösen, kommt aus der | |
| SPD beispielsweise die Idee eines Sabbaticals, das man alle zwölf Jahre | |
| einlegen dürfe. Darüber kann man generell sprechen, aber ich glaube, dass | |
| das an den drängendsten Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung | |
| vorbeigeht. | |
| Mit dem Sabbatical kommen wir in die Diskussion über die viel kritisierten | |
| globalen Eliten. So ist es schwierig … | |
| … globale Eliten, ja. Aber doch nicht die Familie meiner Putzfrau. | |
| Modern wurde zuletzt immer mit Blick auf die globalen Eliten definiert. Die | |
| anderen sind in dieser Sichtweise die Rückständigen. | |
| Aber die globalen Eliten sind doch nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Die | |
| SPD muss sich doch gerade um die kümmern, die hart arbeiten und sich an die | |
| Regeln halten, wie das früher genannt wurde. Das war unsere Klientel. Und | |
| das muss sie wieder werden. | |
| Sie wollen die SPD wirklich zu einer anderen Partei zurückformen … | |
| … nein, nicht zurückformen, sondern die sozialdemokratischen Wurzeln an das | |
| Heute und Morgen anpassen. Eine SPD, die sich etwa um die Familien mit | |
| Euro-4- oder 5-Diesel kümmert, aber nicht immer um Besserverdienende, die | |
| dreimal im Arbeitsleben ein Sabbatical einlegen wollen, um an das Beispiel | |
| noch mal anzuknüpfen. Um das an meinem Geschäftsbereich als Innenminister | |
| zu verdeutlichen: Wir haben in Niedersachsen beim Thema | |
| Kriminalitätsbekämpfung und Sicherheit 50 Prozent Zustimmung. Wir müssen | |
| uns als Sozialdemokraten die Frage stellen, woher wir eigentlich kommen und | |
| was einmal unsere Kernaufgabe war und was unsere Stärke. | |
| Das ist eine interessante Positionierung. Seit der US-Wahl streitet die | |
| Sozialdemokratie, die liberale Linke in den USA und in Europa über die | |
| Frage: Ist die Emanzipation der Minderheiten der richtige Fokus oder ist es | |
| der Bezug auf die Mehrheit? | |
| Allein die Summe von Minderheiten ergibt noch keine Mehrheit. Das nicht | |
| anzunehmen und danach zu handeln, war ein Denkfehler, den die SPD nach | |
| meiner Meinung lange gemacht hat. Ich brauche erst eine Mehrheit, um | |
| Politik auch für Minderheiten machen zu können. Und wer, wenn nicht die | |
| SPD, ist aufgrund ihrer Geschichte prädestiniert dafür, sich schützend vor | |
| die Minderheiten zu stellen? | |
| Das mit einer Harz-IV-Diskussion zu erreichen, fällt Ihrer Partei gerade | |
| sehr schwer. Muss dieses Symbol nicht endlich fallen? | |
| Die Hartz-IV-Diskussion spielt in das, wovon ich spreche, mit hinein. Es | |
| gibt heute viele Menschen, die Angst haben. Es gibt vielfältige | |
| Unsicherheit, Angst vor der Zukunft, Angst vor dem eigenen oder dem Abstieg | |
| der Kinder. Hartz IV steht als Symbol dafür, wobei das heute ein ganz | |
| anderes Konstrukt ist als vor 15 Jahren. Natürlich muss man trotzdem noch | |
| was tun: Man muss das Schonvermögen höher festsetzen und die Lebensleistung | |
| mehr berücksichtigen. Damit jemandem, der 30 Jahre gearbeitet hat, diese | |
| Angst, ins Bodenlose zu fallen, genommen wird. Und wenn jemand sagt, dass | |
| Hartz IV weg soll, muss er auch sagen, was die Alternative ist. Wieder | |
| zurück zum alten System mit der alten Sozialhilfe? Das kann keiner | |
| ernsthaft wollen. Und ernsthaft ist das Konzept der Grünen ebenso wenig. | |
| Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck verplant gedanklich mal eben so | |
| nonchalant 30 Milliarden … | |
| … für eine Grundsicherung. | |
| Bei der die große Gefahr besteht, dass durch die erhöhte Kaufkraft die | |
| Preise steigen und das dann wieder zu einer Erhöhung des Grundeinkommens | |
| führen muss. Zudem muss die 30 Milliarden oder mehr doch jemand | |
| finanzieren. Das Geld muss dann wieder die Putzfrau, muss der Facharbeiter | |
| aus seinem Steueraufkommen bezahlen. Und gleichzeitig muss Robert Habeck | |
| auch zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, die sagen: Mir reicht das | |
| Grundeinkommen, das andere für mich erarbeiten. Das ist doch genau die | |
| Politik, die unsere eigentlichen Wähler, die für ihren Urlaub Überstunden | |
| machen oder die ihr Auto ein Jahr länger fahren, nicht verstehen. | |
| Was Sie sagen, ist eine klare Richtungsansage für die Partei. Im Moment | |
| kennt die SPD aber vor allem eine Richtung: nach unten. Sehen Sie eine | |
| Chance, wie die SPD den Absturz noch aufhalten kann? | |
| Ich sage es einmal ganz einfach: Politik ist Vertrauenssache. Ich habe das | |
| neulich mal bei einer Veranstaltung mit Schülern so formuliert: Stellt euch | |
| vor, ihr seid nachts im Wald und verlauft euch. Und plötzlich kommt jemand | |
| und sagt: „Hah, kein Problem, in drei Minuten sind wir hier raus. Häng dich | |
| einfach an mich ran.“ Und dann kommt einer, der sagt: „Es ist ein ziemlich | |
| dichter Wald und er ist verdammt groß und dunkel. Ich weiß nicht, ob ich | |
| sofort den richtigen Weg kenne, aber ich glaube, zusammen kriegen wir das | |
| hin. Ich verspreche euch jetzt nicht, dass wir in einer halben Stunde | |
| draußen sind, aber morgen früh denke ich schon.“ Wem würden Sie im Zweifel | |
| eher folgen? | |
| Dem Zweiten. | |
| Ich glaube, die meisten antworten so. Es folgt einem Urinstinkt der | |
| Menschen. Sie wollen einerseits Sicherheit, aber sie wollen auch nicht in | |
| die Irre geführt werden. Sie wollen nicht mit Heilsversprechen gelockt | |
| werden. Sehr viele Menschen jedenfalls. | |
| Und Sie wollen uns in Bezug auf die SPD damit sagen, dass … | |
| … dass Politiker gerade in Zeiten, in denen die Leute verunsichert sind, | |
| selbst Sicherheit ausstrahlen müssen. Die Botschaft muss sein: „Pass auf, | |
| ich weiß genau, was ich tue und bin davon überzeugt, dass es richtig ist.“ | |
| Es geht nicht darum, den Menschen vorzugaukeln, man sei der liebe Gott – | |
| samt Versprechen auf Eigenheim und einen Mittelklassewagen. Und das ist | |
| nicht zuletzt eine Frage der Performance. Im Moment sind wir darin nicht | |
| gut genug. | |
| Warum spricht die AfD genau die Wähler, die Sie erreichen wollen, so viel | |
| besser an als die SPD? | |
| Die AfD vermittelt doch keine Hoffnung. Sie vermittelt keine Programme. Sie | |
| vermittelt kein Versprechen. Die Leute wenden sich der Partei zu, weil sie | |
| sich vor allen Dingen erst mal abwenden. „Alles, was die anderen machen, | |
| ist sowieso schlecht.“ Das ist doch die Haltung, dazu eine ordentliche | |
| Portion Häme. „Dann kann man es auch mal mit der AfD versuchen“, sagen sich | |
| dann einige. Marine Le Pen und der Front haben in Frankreich aber zum | |
| Beispiel nie irgendeine Lösung für irgendetwas gebracht. Und trotzdem | |
| laufen die Leute ihnen zu. Sie haben für nichts eine Lösung. Die AfD ist | |
| eine Sammlungsbewegung für Skeptiker und Ignorante, die Rückenwind durch | |
| das Jahr 2015 und die Kommunikationsmöglichkeiten sozialer Netzwerke hatte. | |
| Alles das, was sie fordern, führt in die 50er- oder in die 30er-Jahre | |
| zurück. Aber das nimmt gar keiner wahr. Sehen Sie das anders? | |
| Ja. Wenn man heute die AfD wählt, dann weiß man, was man bekommt. | |
| Nein, man meint zu wissen, was man bekommt. Aber diese Partei hat kein | |
| Konzept für die wirklichen Probleme der Menschen. Und der Rest ist nur | |
| Rhetorik. Offenbar schadet jedoch nicht einmal der Spendenskandal der AfD. | |
| Deren Rhetorik läuft so: Was wir machen, dürfen wir machen, denn die | |
| anderen machen doch auch, was sie wollen. Das ist übrigens das eigentlich | |
| Gefährliche. Früher hat so etwas einer Partei geschadet. Heute nicht mehr. | |
| Das gilt genauso für den amerikanischen Präsidenten. | |
| Kommt im Januar eine [3][Entscheidung über die AfD-Beobachtung]? | |
| Das muss das Bundesamt für Verfassungsschutz und letztendlich der | |
| Bundesinnenminister entscheiden. Ich denke schon, dass die Behörde unter | |
| der neuen Führung auch hinsichtlich der AfD anders tickt – um es sehr | |
| diplomatisch auszudrücken. Sie muss auch anders ticken, denn die | |
| Entwicklung der AfD seit 2013, 2014 kann man wirklich nicht ignorieren. Für | |
| mich ist für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur NPD 2017 | |
| wegweisend. Die NPD ist doch nur deshalb nicht verboten worden, weil sie | |
| nicht mehr als gefährlich eingestuft wurde. Aber die | |
| Verfassungsfeindlichkeit ist ihr eindrucksvoll attestiert worden. Das | |
| Verfassungsgericht hat damit die rote Linie, über die eine Partei nicht | |
| gehen darf, ohne verfassungsfeindlich zu werden, definiert. Das ist eine | |
| Blaupause für den Umgang mit der AfD. Ich bin mir sicher, dass die rote | |
| Linie an einigen Punkten überschritten ist. | |
| Bitte schön … | |
| Björn Höcke am 17. Juni 2017: „Der Verwesungsgeruch einer absterbenden | |
| Demokratie wabert durch’s Land. In dieser Lage, liebe Freunde, und das sage | |
| ich als staatstreuer Bürger, in dieser Lage ist nicht Ruhe, in dieser Lage | |
| ist Mut und Wut und Renitenz und ziviler Ungehorsam die erste | |
| Bürgerpflicht. Holen wir uns unser Land zurück.“ Gegenüberstellt, | |
| historischer Vergleich, Alfred Hugenberg, Vorsitzender der | |
| Deutschnationalen Volkspartei 1929: „In dem verlogenen und sozialistisch | |
| korrumpierten neuen deutschen Parlamentarismus und Parteisystem sehen wir | |
| einen Feind unseres Vaterlandes“. | |
| Oder … | |
| Andreas Kalbitz, Vorsitzender der AfD-Fraktion in Brandenburg, 23. | |
| Juni.2017: „Die Blockparteien haben sich den Staat zur Beute gemacht und | |
| die Regierung unser Land und Volk zum Schlachtfeld ideologischer | |
| Experimente überall. Die AfD ist die letzte evolutionäre Chance für dieses | |
| Land. Danach kommt nur noch Helm auf.“ | |
| Es klingt alles sehr martialisch, fast schon lächerlich. Glauben Sie | |
| wirklich, dass die AfD die Demokratie abschaffen will? | |
| Nicht von jedem führenden Parteimitglied, aber schon von einigen. Die | |
| Äußerungen von Alexander Gauland zur Überwindung des Systems sind | |
| eindeutig; auch wenn er versucht hat, sich rauszureden, er habe das System | |
| Merkel gemeint, was immer das sein soll. Nachgeschobene Relativierungen | |
| sind Teil der Rhetorik. Außerdem gibt es die belegten Aussichten für Ihren | |
| Berufsstand, frei nach dem Motto: „Wartet erst ab, wenn wir was zu sagen | |
| haben, kommen wir in eure Redaktionsstuben.“ Das kennen wir alles aus den | |
| 30ern. Die Parallelen kann man nicht leugnen. | |
| Nützt es denn mit Blick auf das, was wir am Anfang diskutiert haben, die | |
| AfD zu beobachten? | |
| Ja natürlich. Möglicherweise in Teilen der Partei, oder als Ganzes. Das | |
| wäre ein klares Signal dieser Demokratie, dass sie wachsam ist. Mit einer | |
| Beobachtung kann der Teil der Öffentlichkeit, der sich der AfD zugewandt | |
| hat, nicht mehr so tun, als sei das eine ganz normale Partei. Die möglichen | |
| Bestrebungen wären dann offengelegt. Davor hat die AfD übrigens Angst. Denn | |
| die Beobachtung hätte auch in begründeten Einzelfällen vielleicht sogar | |
| persönliche Konsequenzen für deren Mitglieder. | |
| Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass in zehn Jahren ein AfD-Mitglied | |
| Ihren Job als Innenminister macht? | |
| Was für eine Frage! Ich halte es für unwahrscheinlich. Als | |
| leidenschaftlicher Demokrat und Liebhaber des Grundgesetzes glaube ich | |
| immer noch daran, dass wir stark genug sind, das zu verhindern. | |
| 30 Dec 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Eine-ostdeutsche-Grossstadt-in-Aufruhr/!5532080 | |
| [2] /Nach-Chemnitz/!5534202 | |
| [3] /Rechtsextreme-Umtriebe-bei-der-AfD/!5557283 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Junge | |
| Andrea Maestro | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Bundesamt für Verfassungsschutz | |
| Weimarer Republik | |
| Christine Lambrecht | |
| AfD Niedersachsen | |
| AfD Niedersachsen | |
| Verteilungsgerechtigkeit | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt AfD | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Pistorius neuer Verteidigungsminister: „Will die Bundeswehr stark machen“ | |
| Boris Pistorius, künftiger Bundesverteidigungsminister, will die Bundeswehr | |
| bei Modernisierungen „ganz eng“ mitnehmen. Am Donnerstag soll er vereidigt | |
| werden. | |
| Polizei lässt AfD abblitzen: „Wir lassen uns nicht vorladen“ | |
| Niedersachsens Landtags-AfD sucht das Gespräch mit hohen Polizist*innen, | |
| weil sie sich falsch verstanden fühlt – und bekommt lauter Absagen. | |
| BeamtInnen in der AfD: Dienstrecht ist geduldig | |
| Niedersachsens Innenminister will bei BeamtInnen, die in | |
| rechtsextremistischen AfD-Strukturen sind, genau hinsehen. Überprüfen darf | |
| er niemand. | |
| Kommentar Strafen für Raser: Bußgelder rauf! | |
| Reiche Raser sollten höhere Bußgelder zahlen, findet der niedersächsische | |
| Innenminister Pistorius. Für eine gerechte Gesellschaft ist das wichtig. | |
| Neuer Verfassungsschutzchef Haldenwang: Mehr Personal gegen Rechts | |
| Im Rechtsextremismus gebe es eine neue Dynamik, sagt der neue | |
| Verfassungsschutzchef. Er will im kommenden Jahr die Zahl der Agenten im | |
| Bereich stark aufstocken. | |
| AfD Thüringen gegen Verfassungsschutz: Landesverband will klagen | |
| Für den Thüringer Verfassungsschutz ist die Partei ein „Prüffall“. Nun | |
| klagt die AfD gegen Behördenchef Stephan Kramer und Innenminister Georg | |
| Maier. | |
| Rechtsextreme Umtriebe bei der AfD: Neuer VS-Chef will AfD beobachten | |
| Der neue Chef des Verfassungsschutzes setzt sich dafür ein, dass die AfD | |
| künftig beobachtet wird. Demnächst soll darüber entschieden werden. |