# taz.de -- Tag der Menschen mit Behinderung: Forderung nach Wahlrecht für alle | |
> Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung fordert, dass auch | |
> Menschen unter Vollbetreuung wählen dürfen. Die Regierung will handeln. | |
Bild: Jürgen Dusel: „Eine gute Demokratie kann nicht funktionieren, wenn sie… | |
BERLIN taz | 81.000 Menschen mit Behinderung dürfen in Deutschland nicht | |
wählen, weil sie unter einer dauerhaften Vollbetreuung stehen. Anlässlich | |
des Internationalen Tags der Menschen mit Behinderung am Montag fordert der | |
Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, eine Änderung des | |
Wahlrechts. Es zeige ein „völlig anachronistisches Menschenbild“, dass | |
diese Menschen ohne Einzelfallprüfung auf Bundesebene nicht wählen dürfen, | |
[1][sagte Dusel der Rheinischen Post.] | |
Vollbetreuung bedeutet, dass den Betroffenen „in allen Angelegenheiten“ ein | |
Betreuer zur Seite gestellt wird. Dies betrifft beispielsweise die Wahl den | |
Wohnsitzes sowie den Gang zu Arzt- und Behördenterminen. Der Großteil | |
dieser Menschen ist zwar geschäftsfähig, wird jedoch von der Teilnahme zur | |
Bundestags- und einigen Landtagswahlen ausgeschlossen. In sieben | |
Bundesländern wurde ihnen in den letzten Jahren das Wahlrecht zugestanden. | |
„Eine gute Demokratie kann nicht funktionieren, wenn sie nicht inklusiv | |
ist, wenn sie nicht Menschen in ihrer Vielfalt teilhaben lässt“, so Dusel | |
weiter. | |
Auch im zwischen CDU, SPD und CSU verhandelten Koalitionsvertrag heißt es: | |
„Unser Ziel ist ein inklusives Wahlrecht für alle.“ Der | |
Wahlrechtsausschluss von Menschen mit Vollbetreuung werde beendet. Aus dem | |
Büro des innenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard | |
Lischka, hieß es dazu gegenüber der taz, dass sich die Verhandlungen zu den | |
Details mit der Union dazu kurz vor dem Abschluss befänden. | |
Der Beauftragte für Menschen mit Behinderungen der Unionsfraktion, Wilfried | |
Oellers, teilte mit, dass an einer Aufhebung des Wahlrechtsausschlusses | |
gearbeitet wird: „Wir arbeiten zurzeit an einem Gesetzentwurf, der Anfang | |
2019 in den Bundestag eingebracht werden soll.“ Der Behindertenbeauftragte | |
Dusel fordert, dass das Gesetzesvorhaben noch vor der Europawahl im Mai | |
2019 umgesetzt wird. | |
## Gesetzentwürfe in Berlin und Thüringen | |
Die regierenden Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus, SPD, Linkspartei | |
und Grüne, wollen im kommenden Plenum einen Antrag zur Abschaffung der | |
Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderungen einreichen. „Die | |
inklusive Gesellschaft ist ein zentrales Leitbild der rot-rot-grünen | |
Koalition in Berlin. Dazu gehört auch die umfassende politische Teilhabe | |
von Menschen mit Behinderungen“, erklärten die behindertenpolitischen | |
Sprecher der Koalition, Lars Düsterhöft (SPD), Stefanie Fuchs (Linke) und | |
Fatoş Topaç (Grüne). | |
„Wir folgen damit dem Beispiel anderer Bundesländer und verbinden damit | |
auch einen klaren Handlungsauftrag an die Große Koalition im Bund, die | |
Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag zügig umzusetzen.“ | |
Auch im rot-rot-grün regierten Thüringen wollen die Landtagsfraktionen der | |
Linkspartei, SPD und Grünen in der kommenden Landtagssitzung einen | |
Gesetzentwurf einbringen, der Menschen mit Vollbetreuung ein Wahlrecht auf | |
Kommunal- und Landesebene zugestehen soll. „Auch Menschen in vollständiger | |
gesetzlicher Betreuung für alle ihre Angelegenheiten haben das | |
Menschenrecht, ihre politische Meinung durch ihre Wahlentscheidung zu | |
manifestieren“, teilte die behindertenpolitische Sprecherin der | |
Linksfraktion, Karola Stange, mit. | |
Wichtig sei zudem, „dass bei Vorbereitung der Wahl die | |
Informationsbedürfnisse gehandicapter Menschen berücksichtigt werden, z.B. | |
durch Materialien in Leichter Sprache, durch Hörangebote sowie durch die | |
Bereitstellung von Hilfsmitteln wie z. B. Wahlschablonen, um die | |
Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit der Wahlhandlung von behinderten | |
Menschen zu sichern.“ | |
## Forderung nicht neu | |
[2][Auch die UN-Behindertenrechtskonvention fordert,] „dass Menschen mit | |
Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am | |
politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, sei es unmittelbar | |
oder durch frei gewählte Vertreter oder Vertreterinnen, was auch das Recht | |
und die Möglichkeit einschließt, zu wählen und gewählt zu werden.“ Die | |
Monitoringstelle der UN-Behindertenrechtskonvention hatte auch Deutschland | |
wiederholt darauf hingewiesen, dass die Wahlrechtsausschlüsse aufzuheben | |
sind. | |
Die Forderung nach der Änderung des Wahlrechts ist nicht neu. Auch der | |
taz-Kolumnist und Vorstand der Berliner Lebenshilfe, Christian Specht, ist | |
von dem Ausschluss zur Bundestagswahl betroffen. „Ich wünsche mir, dass | |
noch mehr Behindertenverbände gegen das Gesetz klagen und sich mehr | |
Politiker dagegen einsetzen“, [3][forderte Specht bereits im April 2017 in | |
seiner Kolumne „Specht der Woche“.] „Diese diskriminierende Regelung muss | |
so schnell wie möglich abgeschafft werden!“ Specht ist seit Jahrzehnten | |
politisch aktiv und war Mitglied verschiedener Parteien. | |
Korrektur: In einer früheren Version dieses Beitrags war Christian Specht | |
als Mitglied der Bundesvereinigung Lebenshilfe bezeichnet worden. Er ist | |
jedoch Mitglied im Vorstand des Landesverbandes Berlin. | |
3 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://rp-online.de/politik/deutschland/behindertenbeauftragter-fordert-wa… | |
[2] https://www.behindertenrechtskonvention.info/teilhabe-am-politischen-und-oe… | |
[3] /!164213/ | |
## AUTOREN | |
Frederik Schindler | |
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