# taz.de -- Verfassungsklage fürs Klima: Es geht um Leben, Eigentum, Umwelt | |
> Umweltschützer rufen das Bundesverfassungsgericht an, damit Deutschland | |
> beim Klimaschutz endlich ernstmacht. Es gibt erfolgreiche Vorbilder. | |
Bild: Folgen der globalen Erwärmung: In diesem Sommer vertrocknete der Mais au… | |
Karlsruhe taz | Umweltverbände wollen Deutschland mit einer | |
Verfassungsklage zu einer konsequenten Klimapolitik zwingen. Der BUND und | |
der Solarenergie-Förderverein (SFV) haben gemeinsam mit elf Einzelpersonen | |
eine Verfassungsbeschwerde eingelegt, die der taz vorliegt. Sie wollen, | |
dass die Bundesrepublik verpflichtet wird, „zwingend notwendige Maßnahmen | |
zur Bekämpfung des Klimawandels“ zu erlassen. Es ist in Deutschland die | |
erste Klage dieser Art. | |
Die Kläger orientieren sich am Pariser Abkommen für Klimaschutz, das 2015 | |
beschlossen wurde. Danach müssen die beteiligten Staaten versuchen, die | |
globale Erwärmung auf „deutlich unter 2 Grad Celsius“, möglichst auf 1,5 | |
Grad Celsius zu begrenzen. | |
Innerhalb der EU habe sich Deutschland verpflichtet, in wichtigen Bereichen | |
eine Minderung der Treibhausgas-Emissionen um mindestens 14 Prozent | |
gegenüber 2005 zu erreichen. Doch die Bilanz der bisherigen deutschen | |
Klimapolitik sei mehr als dürftig, so die Kläger. „Es muss davon | |
ausgegangen werden, dass Deutschland ganz sicher die eigenen Klimaziele für | |
2020 verfehlen wird“. | |
## An 1,5 Grad denkt niemand in Berlin | |
Die Kläger prüfen die Bereiche Energie, Gebäude, Mobilität, Industrie, | |
Landwirtschaft und Fortstwirtschaft und kommen stets zum Schluss, dass in | |
Deutschland keine kurzfristig wirksamen Maßnahmen geplant sind und auch | |
bezifferbare langfristige Minderungen nicht sicher erbracht werden können. | |
Das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens verfolge die Bundesregierung nicht | |
einmal. | |
Die Verfassungsbeschwerde wirft dem Gesetzgeber ein „Unterlassen“ vor. Er | |
habe damit seine „Schutzpflicht“ für die Grundrechte auf Leben, Gesundheit | |
und Eigentum verletzt. Ergänzend stützt sich die Klage auch auf das | |
Staatsziel Umweltschutz, das 2002 im Grundgesetz verankert wurde. | |
Die Klage umfasst 157 Seiten. Der Großteil der juristischen Ausführungen | |
versucht, die Verfassungsrichter von der Zulässigkeit der Klage zu | |
überzeugen. | |
Nach ständiger Karlsruher Rechtsprechung hat der Staat bei der Erfüllung | |
von Schutzpflichten und der Umsetzung von Staatszielen einen weiten | |
Spielraum. Die Verfassungsrichter wollen sich nicht an die Stelle des | |
Gesetzgebers setzen. In der Klimapolitik könne dies aber nicht gelten, | |
argumentieren die Verfasser der Klageschrift, die Rechtsanwältin Franziska | |
Heß und der Rechtsprofessor Felix Ekardt. Hier müsse das Verfassungsgericht | |
korrigierend eingreifen, denn staatliches Handeln sei „zwingend notwendig“ | |
und die bisher ergriffenen Maßnahmen „völlig unzureichend“. | |
Das Verfassungsgericht solle dem Staat die Maßnahmen auch nicht im Detail | |
vorschreiben, es müsse ihn aber zur Einhaltung der völker- und | |
europarechtlich verbindlichen Ziele verpflichten. Immerhin habe Deutschland | |
mit der Ratifizierung des Pariser Abkommens selbst anerkannt, dass eine | |
wirksame Begrenzung der Erderwärmung dringend notwendig ist. | |
## Versorgung gefährdet | |
Der gesetzgeberische Entscheidungsspielraum müsse jedenfalls dort enden, wo | |
ein Unterlassen „das freiheitlich-demokratische System als solches zu | |
gefährden beginnt“, heißt es in der Klage. Die drohende Erderwärmung um 3 | |
bis 6 Grad werde die Nahrungs- und Wasserversorgung in Teilen der Welt | |
gefährden und zu „Migrationsbewegungen größeren Ausmaßes“ führen. All … | |
mache „gewaltsame Auseinandersetzungen“ wahrscheinlicher. | |
Zwar könne Deutschland den Klimawandel nicht allein aufhalten, da es sich | |
um ein globales Problem handele. Eine Lösung werde aber nicht gelingen, | |
wenn „alle Staaten wechselseitig darauf warten, dass jeweils andere | |
zunächst tätig werden“, so die Kläger. | |
Für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde ist auch erforderlich, | |
dass die Kläger geltend machen, „selbst, gegenwärtig und unmittelbar“ in | |
ihren Grundrechten verletzt zu sein. Beim Klimaschutz ist das ein Problem, | |
denn die schwerwiegenden Folgen drohen erst viel später. Heß und Ekardt | |
argumentieren jedoch: Wenn Folgen, die erst in Jahrzehnten eintreten, nur | |
durch sofortige Maßnahmen verhindert werden können, dann seien die Kläger | |
auch „gegenwärtig“ in ihren Grundrechten verletzt. | |
Sicherheitshalber machen die Kläger aber auch mögliche kurzfristige | |
Belastungen durch den Klimawandel geltend. Einige Beschwerdeführer gehören | |
„besonders verletzlichen Bevölkerungsgruppen“ an, etwa ein Dialysepatient, | |
ein 83jähriger alter Mann und ein einjähriges Kleinkind. Die zu erwartenden | |
Hitzewellen könnten ihre Gesundheit schädigen. Während es in den | |
1950er-Jahren im Schnitt nur drei mal jährlich Temperaturen über 30 Grad | |
Celsius gab, seien es heute schon acht Tage pro Jahr. | |
Außerdem verweisen die Kläger auf Gefahren für ihr Eigentum. Soweit sie in | |
der Nähe von Flüssen gebaut haben, drohten Überschwemmungen. Ein Haus in | |
Hanglage könnte von Erdrutschen bedroht sein. Und die Dachwohnung eines | |
Hauses im besonders sonnigen Freiburg sei wegen der Hitze nur noch sehr | |
eingeschränkt nutzbar. Der Verband BUND, der keine persönlichen Grundrechte | |
geltend machen kann, will zudem als „Anwalt für die Umwelt“ klagen. | |
Wann Karlsruhe über die Verfassungsbeschwerde entscheidet, liegt ganz im | |
Belieben der dortigen Richter. | |
BUND und SFV sind Teil einer globalen Bewegung, die versucht, die | |
Regierungen mit Hilfe von Gerichten in der Klimapolitik zum entschlossenen | |
Handeln zu zwingen. Im Oktober hat ein Gericht in Den Haag die | |
niederländische Regierung verpflichtet, die selbst aufgestellten Klimaziele | |
auch einzuhalten. Erfolg hatte dabei die Klima-Initiative [1][Urgenda.] | |
Im Oktober hat Greenpeace mit der Umwelt-Anwältin Roda Verheyen eine Klage | |
beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht. Das Gericht soll die | |
Bundesregierung verpflichten, das nationale Aktionsprogramm „Klimaschutz | |
2020“ um geeignete Maßnahmen zu ergänzen, damit die internationalen | |
Klimaziele erreicht werden können. | |
23 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.urgenda.nl/ | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Bundesverfassungsgericht | |
Grundrechte | |
Verfassungsklage | |
Wasser | |
Landwirtschaft | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Gender | |
USA | |
Dieselskandal | |
Kohleausstieg | |
Philippinen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berliner Trinkwasser: Berlin perlt | |
Die Wasserbetriebe haben das Angebot an Trinkbrunnen ausgebaut. Wer sie | |
nutzt, erspart der Umwelt Plastikflaschen und Kohlendioxid. | |
Julia Klöckners Klimaplan 2030: Rülpsen und furzen auf dem Index | |
Das Agrarministerium legt Klimaschutz-Vorschläge vor. Beim | |
Umweltministerium ist man nicht unzufrieden. Ein Hauptproblem aber bleibt. | |
UNEP-Bericht zum Klimawandel: UN fordert verdreifachten Klimaschutz | |
Das UN-Umweltprogramm UNEP berichtet von einem Rekord an Treibhausgasen. | |
Nun müssten die weltweiten Klimaschutzbemühungen verdreifacht werden. | |
Expertin über Gender und Klimawandel: „Bei Dürren sterben mehr Frauen“ | |
Die Opfer des Klimawandels sind überwiegend weiblich, Männer verursachen | |
ihn maßgeblich. Wieso das so ist, erklärt Linda Ederberg vom Verein | |
GenderCC. | |
Waldbrände in Kalifornien: Das Feuer, die Toten und die Schuld | |
Noch nie haben die Waldbrände soviel Zerstörung und Tod gebracht. Über die | |
Ursachen des Desasters und die Lehren daraus gibt es Streit. | |
Debatte Erfolg der Umweltbewegung: Kurz vorm Ökoparadies | |
Diesel-Skandal, Braunkohle-Zoff: Das sind Abwehrkämpfe der | |
Kohle-und-Benzin-Industrien. Tatsächlich stehen wir vor einer ökologischen | |
Zeitenwende. | |
Think Tank fordert schnellen Ausstieg: Raus aus der Kohle bis 2030! | |
Damit die Erde sich nur um 1,5 Grad erwärmt, muss Deutschland bis 2030 | |
aussteigen. Das zeigt eine Studie des Think Tanks „Climate Analytics“. | |
Klimafolgen auf den Philippinen: Miserable Stimmung in Malabang | |
Die Philippinen leiden unter der Erderwärmung – das führt zu Vertreibungen | |
von Millionen. Der Deichbau kreiert weitere Gefahren. |