# taz.de -- Radverkehr in Berlin: Voll neben der Spur | |
> Busspuren, die auch Radler nutzen, sollte es laut Mobilitätsgesetz nicht | |
> mehr geben. Doch die Verwaltung zweifelt an der Umsetzung. | |
Bild: Bus- und Radfahrer teilen sich derzeit häufig die Spur – und sind gene… | |
Gerade noch ist es fast ein Vergnügen, als Radler entlang einer | |
sechsspurigen Hauptstraße in Berlin zu fahren: Der Weg ist frei, die Spur | |
breit genug, dass zwei Räder nebeneinander locker Platz haben, die Autos | |
halten schön Abstand beim Vorbeifahren. Dann brettert von hinten ein Taxi | |
heran und quetscht sich beim Überholen vorbei; kurz darauf spürt man | |
förmlich, dass der BVG-Bus sich nur sehr ungern der langsameren | |
Geschwindigkeit des Radfahrers anpasst. So sieht Alltag aus auf Berlins | |
Busspuren: Als Radler ist man dort bestenfalls geduldet. | |
Das hat natürlich seine Gründe: Eingerichtet wurden diese | |
Bussonderfahrstreifen für den ÖPNV. Und auch Taxen dürfen sie meist nutzen | |
– und die sind dort oft noch häufiger anzutreffen als Busse. | |
Doch die Situation soll sich für Radler durch das rot-rot-grüne | |
Mobilitätsgesetz deutlich verbessern. Es sieht vor, dass „auf oder an allen | |
Hauptverkehrsstraßen Radverkehrsanlagen mit gut befahrbarem Belag in | |
sicherem Abstand zu parkenden Kraftfahrzeugen und ausreichender Breite | |
eingerichtet werden“. Die Radstrecken sollen zudem „so gestaltet werden, | |
dass unzulässiges Befahren und Halten durch Kraftfahrzeuge unterbleibt“, | |
heißt es in dem Gesetz. Danach müsste es zusätzlich zu den | |
Bussonderstreifen künftig auch Radspuren geben. | |
## Platz zum Überholen | |
Die Position der Radverbände dazu ist klar: Teilen sich Radfahrende und | |
Busse weiterhin einen Fahrstreifen, müsse dieser künftig ausreichend Platz | |
zum Überholen bieten. „Damit das Miteinander stressfrei und sicher | |
funktioniert, muss die Busspur mindestens sechs Meter breit sein“, sagt | |
Nikolas Linck, Sprecher des Berliner ADFC. Schmalere gemeinsame Spuren | |
dürfte es „nur in absoluten Ausnahmen“ geben. Wobei bei sechs Metern Breite | |
meist beide Spuren auch getrennt geführt werden könnten, so Linck. | |
Die Initiative Volksentscheid Fahrrad, die 2016 durch ihre erfolgreiche | |
Unterschriftensammlung den Paradigmenwechsel in der Berliner | |
Verkehrspolitik eingeleitet hatte, sieht das ähnlich. „Würden Sie da | |
derzeit Ihre Kinder oder Großmutter fahren lassen?“, fragt deren Sprecherin | |
Ragnhild Sørensen rhetorisch. Besonders gefährlich werde es, wenn Busse an | |
Haltestellen stoppen. „Die Spur reicht meist nicht zum Überholen aus, die | |
Radler müssen deshalb auf die Autospur ausweichen. Das ist eine | |
Gefahrensituation, die wir vermeiden müssen“, sagt die Sprecherin. | |
Platz machen dafür müsse der motorisierte Individualverkehr, fordern die | |
Radlobbyisten. In der Praxis würde also in der Regel jeweils eine Autospur | |
entfallen. Denn Linck wie Sörrendsen betonen, dass Radverkehr und Busse | |
nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften und Verbündete bei der | |
Verkehrswende seien. „Wir brauchen die Busspuren auf jeden Fall“, sagt | |
Sørensen. | |
Doch sind jeweils eigene Spuren für Bus und Radler in der Praxis überhaupt | |
umsetzbar? Ist dafür genügend Raum auf den Hauptstraßen vorhanden, so dass | |
auch weiterhin Autos dort fahren können? Die zuständige Verkehrsverwaltung | |
von Senatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen) hat sich zwar mit | |
dem anstehenden Konflikt noch nicht intensiv befasst, äußert aber ihre | |
Zweifel. „Es wird immer wieder zu Zielkonflikten mit Plänen für neue | |
geschützte Radstreifen mit ihrem besonderen Platzbedarf kommen“, teilt ihr | |
Sprecher mit. Dies müsse dann „bestmöglich am Ort gelöst werden“. | |
Grundsätze dazu stünden noch nicht fest. | |
Überhaupt sind die Busspuren eine der vielen Großbaustellen der | |
Verkehrsverwaltung. Seit Jahren ist das rund 100 Kilometer lange Netz nicht | |
mehr erweitert worden. Seit Amtsantritt von Rot-Rot-Grün vor zwei Jahren | |
hat die BVG bei der Verwaltung beantragt, rund 100 weitere Kilometer | |
Busspuren auszuweisen, etwa, damit der „Expressbus“ nach Tegel weniger im | |
Stau steht. Genehmigt wurde davon von der Verkehrslenkung Berlin (VLB) | |
bisher – nichts. Dies geschähe „nach Dringlichkeit“, teilt der Sprecher … | |
Verkehrsverwaltung mit, der auch die VLB unterstellt ist. | |
Diese Dringlichkeit ist laut der BVG aber durchaus vorhanden. „Für eine | |
Stadt wie Berlin sind 100 Kilometer Busspur nicht viel“, sagt Sprecherin | |
Petra Reetz. Und da Berlin bekanntlich eine wachsende Stadt sei, müsse auch | |
in dieser Hinsicht ausgebaut werden. „Busspuren sind eine | |
Grundvoraussetzung für einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr“, | |
betont sie, da Busse oft als Zubringer zu den U- und S-Bahnhöfen genutzt | |
werden. | |
Auch ein anderer Wunsch der BVG wird bisher nicht erfüllt. Bisher gibt es | |
keine einheitliche Regelung, wann eine Busspur eine Bus- und wann eine | |
Parkspur ist. Manche sind nur von 7 bis 18 Uhr für Busse vorbehalten, | |
andere ein bisschen früher und ein bisschen länger, wieder andere alle | |
Werktage rund um die Uhr, seltenst allerdings auch am Wochenende. Da es | |
keine einheitliche Regelung gibt, wissen Autofahrer oft nicht, woran sie | |
sind. „Wenn einer da mal parkt, stellen sich die anderen einfach dazu, ob | |
es zulässig ist oder nicht“, berichtet Reetz und fordert: „Busspur sollte | |
Busspur sein. Punkt. Das wäre eindeutig für alle.“ | |
## Rund um die Uhr | |
Die BVG hat auch diese zeitliche Ausweitung der Busspuren bei der | |
Verkehrsbehörde beantragt und kann dabei auf die Unterstützung der | |
Radlerverbände zählen. Die Spuren funktionierten für Radler nur dann, wenn | |
sie an allen Wochentagen und rund um die Uhr gelten, betont ADFC-Sprecher | |
Linck. Sonst drohe Radfahrenden, dass sie von der rechten Fahrspur in die | |
Restfläche der Busspur abgedrängt werden und in den Gefahrenbereich abrupt | |
geöffneter Fahrertüren von dort geparkten Autos geraten. „Dooring“ heißt | |
das im Radlerjargon. | |
Insgesamt wäre ein Komplettverbot für Individualverkehr auf Busspuren eine | |
einfache Maßnahme, um zumindest übergangsweise für mehr Sicherheit der | |
Radler zu sorgen, ohne gleich neue Radspuren anlegen oder ausweisen zu | |
müssen. BVG und Radler können sich dabei sogar auf den rot-rot-grünen | |
Koalitionsvertrag stützen. Darin heißt es: „Die zeitliche Beschränkung der | |
bestehenden Busspuren wird aufgehoben.“ | |
Geht so einfach aber nicht, schränkt der Sprecher der Verkehrsverwaltung | |
ein. Ein „Generalbeschluss“ und eine Vereinheitlichung seien nicht möglich, | |
weil man auch den Interessen der Autofahrer Rechnung tragen will. Auf | |
manchen Busspuren seien etwa nachts gar keine Busse unterwegs. Deswegen | |
bedürfe es „jeweils der Einzelprüfung, welche zeitliche Ausweitung wo | |
möglich ist“. Immerhin habe die VLB dazu „eigens neue Mitarbeiter“ | |
eingestellt. Trotzdem wirkt vor diesem Hintergrund die Existenz einer | |
„Task-Force Beschleunigung“, an der die Verkehrsverwaltung, die VLB und die | |
BVG beteiligt sind, wie ein Hohn. | |
BVG-Sprecherin Reetz wünscht sich angesichts des Stillstands „ein bisschen | |
mehr gegenseitige Rücksichtnahme“ auf den Busspuren. Und für die Zukunft | |
hält sie deren gemeinsame Nutzung auch weiterhin für sinnvoll und | |
realistisch – wenn man etwa an den Haltestellen entlang der Spuren „über | |
intelligente Lösungen“ für Radler wie sinnvolle Umfahrungen nachdenkt. | |
„Andere Städte und Länder können das auch“, sagt die Sprecherin mit Blick | |
auf Kopenhagen und Holland. „Wir müssen ja nicht alles selbst erfinden.“ | |
27 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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