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# taz.de -- Antisemitismusvorwurf an Böhmermann: Ein Witz ohne Pointe
> Der Comedian Oliver Polak wirft Jan Böhmermann vor, ihn antisemitisch
> beleidigt zu haben. Dieser reagiert mit einem zynischen Tweet.
Bild: In seinem gerade erschienenen Buch „Gegen Judenhass“ schildert Oliver…
Oliver Polak kennt sich aus mit Judenhass. Er hat ihn oft gehört in seinem
Leben, er ist Jude. Witze und dumme Sprüche hat er immer wieder einstecken
müssen und zum Teil sogar selbst erzählt. Auf der Bühne und vor Kameras
wurde er berühmt damit, Judenwitze zu machen. „Ich darf das, ich bin Jude“,
heißt eine seiner Shows.
Gerade hat er ein Buch veröffentlicht. „Gegen Judenhass“ ist weniger
witzig, als es der Comedian sonst gern ist. Er beschreibt darin sein
Entsetzen darüber, dass Antisemitismus in Deutschland wieder hoffähig
geworden zu sein scheint. Das erzählt er an Situationen, die er selbst
erlebt hat. Namen nennt er nicht. Dafür hat nun ein anderer, der
Medienkritiker Stefan Niggemeier, recherchiert, wer hinter einer der
besonders brisanten Szenen steckt.
Die Sache passierte so: Polak wird nach einem Bühnenauftritt im Jahr 2010
von einem „kontroversen Kabarettisten“ und einem „Musikfernsehmoderator“
„ironisch“ von der Bühne gejagt. Ein „weiterer Fernsehmoderator“ holt …
Polaks Abgang Desinfektionsmittel hinter dem Sofa hervor und fragt die
anderen: „Habt ihr ihm die Hand gegeben?“ Dann desinfiziert er ihre Hände.
Diese Szene hat Polaks Verlag, Kiwi, dazu veranlasst, das Buch nicht zu
drucken. Auch Jan Böhmermann veröffentlicht bei Kiwi. Kiwi-Chef Helge
Malchow warf Polak in einem Zeitungsinterview öffentlich vor, die Szene sei
eine „Unterstellung“. Polaks Buch erschien schließlich bei Suhrkamp.
[1][Stefan Niggemeier hat die Szene recherchiert.] Es gibt sogar ein Video
von ihr, auf der DVD „Der Hassprediger: Hardcore Live!“ von Serdar Somuncu.
Somuncu ist der beschriebene kontroverse Kabarettist, der Musikjournalist
ist Klaas Heufer-Umlauf, Jan Böhermann der Mann mit dem Desinfektionsspray.
Niggemeier hat mehrmals versucht, mit Jan Böhmermann über diese Szene zu
sprechen. Aber Böhmermann blockte ab.
## Keine Erklärung, keine Entschuldigung
[2][Stattdessen twitterte er am Donnerstag, als der Text erschienen war]:
„Ich kann leider ohne eine angemessene Umsatzbeteiligung nicht an der
nachträglichen Umdeutung von ultrakrassen Ficki-Ficki-Comedykarrieren in
schillernde, sensible Intellektuellenbiografien mitwirken.“ Will heißen:
Oliver Polak hat früher selbst Juden-Witze gemacht, dann darf ich das auch.
Der Tweet unterstellt Polak, dass er die Szene und Böhmermanns Bekanntheit
nutze, um sein Buch zu verkaufen. Als sonne er sich in Böhmermanns Schein,
als brauche er einen großen Namen, um selbst ein Großer zu werden. Ist man
böswillig, kann man in den Tweet sogar das alte Klischee vom geldgierigen
Juden hineininterpretieren, aber geschenkt.
Böhmermann bestreitet die Szene also nicht, er erklärt sich aber auch
nicht, er entschuldigt sich nicht. Für einen Satiriker wie Jan Böhmermann,
der für progressives Fernsehen steht, ist das arm. Seine Reaktion ist fast
schlimmer als die Szene selbst. Es geht dabei gar nicht um die Frage, ob
Böhmermann ein Antisemit ist oder nicht. Wer Böhmermanns Arbeiten verfolgt,
der merkt, wie sehr ihn der Holocaust und der Zweite Weltkrieg umtreiben.
## „Ich darf das, ich bin Jude“
In seiner Fernsehshow hat er sich mehrmals und groß inszeniert damit
beschäftigt. In seinem Podcast „Fest und Flauschig“, den er mit Oliver
Schulz zusammen für Spotify macht, empfiehlt er seit Wochen die Biografie
des Eichmann-Anklägers Fritz Bauer. In der Sendung ist er es, der immer
wieder mit Rage darauf verweist, dass sich Ideologie und Selbstverständnis
der AfD gerade in Deutschland verbieten.
All das berechtigt ihn aber nicht zu antisemitischen Witzen. Man kann
darüber streiten, ob Oliver Polaks Comedy geschmackvoll ist. Ob es
angemessen und lustig ist, als Jude Judenwitze zu erzählen, und welches
Gefühl es einem Juden wohl vermitteln mag, wenn ein großes Publikum laut
über Judenwitze lacht.
Nur liegt in Polaks Showname „Ich darf das, ich bin Jude“ eben auch etwas
Wahres. Man muss gar nicht erst das Fass mit Deutschlands Geschichte
aufmachen, um das zu verstehen. Genauso wie es Weißen auch nicht zusteht,
Witze über Schwarzsein zu machen, Sehenden nicht, Witze über Blindsein zu
machen, Gesunden nicht, Witze über Spastiken zu machen.
Es ist ironisch, dass gerade Oliver Polak nun Anlass ist, das so
aufzuschreiben. [3][Er selbst moderierte eine Sendung unter dem Motto „Gast
oder Spast“], in der Polak entscheiden darf, ob einen Talkgast in der
Sendung bleibt, also „Gast“ wird, oder rausfliegt, also „Spast“ ist. Au…
Polak antwortet damals mit Zynismus auf die Kritik, seine Sendung sei
behindertenfeindlich.
Comedy muss neu definiert werden
Die australische Comedian Hannah Gadsby hat mit einem Auftritt, der bei
Netflix zu sehen ist, [4][vor einigen Wochen eine Diskussion über das Wesen
der Comedy losgetreten]. Unter Tränen erzählt sie darin, dass sie Schluss
mache mit Comedy. Weil sie realisiert habe, wie weh es tut, Applaus dafür
zu bekommen, Witze über sich selbst zu machen. Gadsbys Pointen bestanden
vor allem darin, sich als lesbische, dicke Frau selbst zu erniedrigen.
Darüber haben Tausende gelacht – nur Gadsby irgendwann nicht mehr.
Nach diesem Auftritt müsse Comedy neu definiert werden, schrieben viele
Kritiker. Weil dieses Nach-unten-treten, gegen Minderheiten austeilen, und
sich über Menschen lustig machen wegen Eigenschaften, für die sie nichts
können, nicht mehr zeitgemäß ist. Das weiß Böhmermann und gerade deswegen
wäre es an ihm gewesen, zu Polaks Anschuldigung zu stehen. Die
Verantwortung für sie zu übernehmen, sich zu erklären und zu entschuldigen.
Aus seinem Tweet spricht das Gegenteil. Niggemeier berichtet, wie Polak
sich im Vorfeld seines Auftritts in Böhmermanns Sendung „Neo Magazin Royal“
einmal darüber beschwert habe, dass er im Einspieler und der Anmoderation
auf sein Jüdisch-Sein reduziert werde. Böhmermann soll darauf geantwortet
haben: „Sorry, aber dein Judentum ist dein Unique Selling Point, da musst
du jetzt durch.“ Wenn das die Maxime ist, die bei Böhermann gilt, dann kann
jetzt nur feststellen: „Sorry, Böhmermann, deine intelligente Moralcomedy
ist dein Unique Selling Point, da musst du jetzt durch.“
26 Oct 2018
## LINKS
[1] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ein-gag-der-keiner-war
[2] https://twitter.com/janboehm/status/1055485992243810304
[3] /Brief-eines-Grimme-Jury-Mitglieds/!5387594
[4] /Comedy-Star-Hannah-Gadsby/!5517757
## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Antisemitismus
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Comedian
Comedy
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Karikatur
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