| # taz.de -- Böhmermann-Weihnachten im ZDF: Die neuen „Hoppenstedts“ | |
| > „Single Bells“: Das ZDF zeigt mit „Böhmermanns perfekte Weihnachten“… | |
| > Heiligen Abend im untergehenden Spätkapitalismus. | |
| Bild: Subtil sieht anders aus: „Böhmermanns perfekte Weihnachten“ im ZDF | |
| Der Impuls ist verständlich: Es kann ja nicht jedes Jahr [1][„Weihnachten | |
| bei Hoppenstedts“] sein, mit Dickie und dem Atomkraftwerk und „Zicke, | |
| zacke, Hühnerkacke“ und „Es macht Puff und die Kühe fallen um und die | |
| kleinen Häuser und Bäume, da ist dann immer ein großes Hallo und viel Spaß�… | |
| und „Hach, ist das gemütlich“ und „Früher war mehr Lametta“ und ganz … | |
| Konsumkritik und – je länger man drüber nachdenkt, kann es natürlich doch | |
| jedes Jahr „Weihnachten bei Hoppenstedts“ sein. | |
| Aber muss es ja nicht – und so haben [2][Jan Böhmermann und seine | |
| Bildundtonfabrik] ein weiteres, kurzes, gesellschaftskritisches, moderneres | |
| Panoptikum unseres Heiligen Abends geschaffen: „Böhmermanns perfekte | |
| Weihnachten.“ | |
| Es ist der klassische Antagonismus: Die Kamera fliegt über eine ganz | |
| gewöhnliche Straße, spärlich beleuchtet, und der Erzähler Böhmermann | |
| spricht aus dem Off von Ruhe, Besinnlichkeit und Frieden und unten juckelt | |
| ein Paketlieferwagen die Straße entlang und Menschen brüllen „Wichser, du!�… | |
| und „Leck mich doch!“. | |
| Der Paketbote ist der Türöffner zu Hausnummer 24: Die alte | |
| Merkel-muss-weg-Frau Herold im Hochparterre, Bettina Rüstlinger ihr | |
| gegenüber (Single, Dalai Lama und Ai Weiwei an der Wand, Sinnsuche in | |
| Eckart-von-Hirschhausen-Büchern), darüber Familie Rencke und Ulthusen (sie | |
| schwanger und genervt, er erfolgloser Start-up-Gründer, wandert gern, | |
| Tochter mit eigenem YouTube-Channel), auf dem selben Stockwerk Familie | |
| Topcu (kein Weihnachten, dafür aber sogar die Schuhlöffel in Reih und | |
| Glied), noch eine Treppe höher Marcel Pothoven (Online-Gamer, | |
| Online-Pokerspieler und Online-Wichser) und Orth („Wer das ist, hab ich | |
| keine Ahnung, wohnt erst seit Oktober hier, glaube ich“, sagt der | |
| Erzähler), und unterm Dach Gunnesch/Falkenstein und zu viele | |
| LED-Lichterketten, zu viel Plastik, zu viel Media Markt, zu viele Energy | |
| Drinks, der ewige Kampf mit der Technik, „Connect the system, Crystal!“ – | |
| und das an Heiligabend! | |
| ## Verzweifelte „Single Bells“ | |
| Zurück ins Hochparterre: In Bettina Rüstlingers (Valerie Niehaus) Wohnung | |
| steht der puristischste Weihnachtsbaum aller Zeiten: lila Kugeln an einem | |
| Metallgerippe. Hier feiern vier Alleinstehende zusammen. „Freunde, das ist | |
| wie Familie, die man sich selber aussuchen kann.“ Sie hat sogar ein | |
| Programm für den Abend entworfen und ausgedruckt. Titel: „Single Bells.“ | |
| Alles wirkt so verzweifelt. | |
| Wie beispielsweise der von Ralf Kabelka gespielte Proll Sven die Bettina | |
| immer wieder betatscht, wie die von Sophie Passmann gespielte Sarah immer | |
| wieder an ihrem am Band um ihren Körper baumelnden Handy spielt. Überhaupt | |
| haben Menschen, die ihr Handy an einer Kette um den Hals tragen, ihr Leben | |
| nicht im Griff. Und Menschen, die für eine Vier-Personen-Weihnachtsfeier | |
| ein Programm ausdrucken, haben sonst nicht genug zu tun im Leben. Egal. | |
| „Wir rocken das!“, ruft Sarah trotzig. Wir. Rocken. Das. Frohe Weihnachten. | |
| Und so zieht es sich von Raum zu Raum: Überall lösen die kleinen und großen | |
| Gesten, Mimiken, Dialoge, Geräte, Fotos und so weiter Assoziationsketten | |
| aus. Wenn Tochter Lea (Juliette Madeleine Jozwiak) in ihrem YouTube-Video | |
| erzählt, dass Weihnachten für sie was ganz Besonderes sei, „voll | |
| megaschön“, weil „Family mal unter sich“ und so. Und wenn Jette Ulthusen | |
| (Jasmin Schwiers) meint, zu Weihnachten mal richtig tolle selbstgebrühte | |
| Bockwürste machen zu müssen und die Nachbarin Traudel Herold (Ilse | |
| Strambowski) – eingeladen, damit sie nicht alleine feiert – davon in den | |
| Kartoffelsalat kotzen muss. Und Lea mit jeder Faser ihres Körpers | |
| ausstrahlt, wie beschissen sie Weihnachten findet, weil Family unter sich | |
| und so. | |
| Die kotzende Frau Herold filmt sie dann aber doch, für ein bisschen | |
| Online-Aufmerksamkeit lässt sich das Fest ja dann doch ganz gut gebrauchen. | |
| Hashtag Nazikotze. | |
| Das einzige Problem: In 30 Minuten lassen sich vier Handlungsstränge in | |
| fünf Wohnungen, dazu der Paketbote im Flur, kaum zu Ende erzählen. Viele | |
| Anspielungen müssen mit dem Vorschlaghammer ins Bewusstsein gerammt werden. | |
| Wir haben schließlich keine Zeit. Subtil ist anders. Aber das waren und | |
| sind die „Hoppenstedts“ ja auch nicht. | |
| 13 Dec 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jürn Kruse | |
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