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# taz.de -- „RTL Samstag Nacht“: Alle verarscht
> Vor 25 Jahren experimentierte „RTL Samstag Nacht“ mit neuen Formaten.
> Längst eingestellt, prägt die Sendung bis heute das
> Unterhaltungsfernsehen.
Bild: Bahnbrechend: das Team von „RTL Samstag Nacht“ 1994
Von Wehmut ist bei Hugo Egon Balder nichts zu spüren, angesichts des 25.
Jubiläums der Comedy-Show „RTL Samstag Nacht“. „Nee, ich denke da nicht
dran“, sagt Balder, der als Produzent seit der ersten Folge vom 6. November
1993 an der Sendung mitgearbeitet hat. „Ab und zu sagt mir das mal einer
und dann sage ich: ‚Ach ja, doch schon so lange?‘ Und dann habe ich es auch
schon wieder vergessen.“
Mit kontrovers-schlüpfrigen Spielshows wie „Alles Nichts Oder?!“ und „Tu…
Frutti“ auf RTL, Quiz- und Gaga-Eventshows wie „Genial daneben“ und
„Volltreffer! Schiffe versenken XXL“ in Sat.1 sowie der Promille-Talkshow
„Der Klügere kippt nach“ auf Tele 5 hat Moderator und Produzent Balder in
über 30 Jahren Privatfernsehen schon zu viel mitgemacht, um nostalgisch zu
werden anlässlich des Jahrestags von „RTL Samstag Nacht“.
Dabei markiert die Sendung, die Balder zusammen mit seinem Freund, dem
Autor und Songtexter Jacky Dreksler, für den Kölner Privatsender produziert
hat, einen Einschnitt in der Geschichte der deutschen TV-Comedy, dessen
Auswirkungen bis in die Gegenwart spürbar sind. Wer damals regelmäßig zu
fortgeschrittener Stunde zuschaute, erinnert sich bis heute an Gags und
Sketchreihen wie „Zwei Stühle – Eine Meinung“, „Märchen-Man“, „Ke…
schreit ficken“ oder die „Samstag-Nacht-News“.
Die Mitwirkenden wurden zu Stars. „Wir hatten uns von Anfang an
vorgenommen, dass die sechs festen Ensemblemitglieder in drei bis vier
Jahren jeder in Deutschland kennen soll“, sagt Balder über Wigald Boning,
Esther Schweins, Olli Dittrich, Stefan Jürgens, Tanja Schumann und Mirco
Nontschew.
## Team vor Prominenz
Das Vorbild, die 1975 erstmals ausgestrahlte Comedy-Show „Saturday Night
Live“ des Senders NBC, ist zu diesem Zeitpunkt längst eine Institution im
US-amerikanischen Fernsehen und machte James Belushi, Bill Murray, Eddie
Murphy und Julia Louis-Dreyfus zu Stars. Die deutsche Adaption orientiert
sich am Original: Liveaufzeichnung vor Studiopublikum am Tag zuvor, Opening
durch bekannte Gäste, die auch in Sketchen mitwirken plus Musikeinlagen.
„Jacky und ich waren schon seit ewigen Zeiten ‚Saturday Night Live‘-Fans.
Als vom damaligen Programmdirektor Marc Conrad die Idee aufkam, so etwas
auch in Deutschland zu machen, haben wir natürlich zugesagt“, sagt Balder.
Von der ursprünglichen Idee, bekannte Gesichter wie Hella von Sinnen und
Dirk Bach einzuspannen, rückt man ab, „weil wir ein Team wollten und keine
einzelnen Stars“, sagt Balder.
Fast zeitgleich startet das Stand-up-Format „Quatsch Comedy Club“ in
Hamburg, das zunächst beim Pay-TV-Sender Premiere läuft und ab 1997 auf
ProSieben. Hier entdeckt Dreksler die beiden Köpfe, die „RTL Samstag Nacht“
nicht nur am deutlichsten prägten, sondern bis heute am populärsten sind:
Wigald Boning und Olli Dittrich. Zusammen mit dem Berliner Mirko Nontschew,
den Balder auf der Geburtstagsparty von Entertainer Frank Zander
kennenlernt, gehören sie zu den ersten festen Mitgliedern.
Das Gesamtkonzept profitiert aber vom gemischten Cast: exzentrische
Comedians einerseits, ergänzt mit professionellen Schauspielern. „Da kam
Stefan Jürgens, der uns in einem fünfminütigen Vortrag erzählt hat, dass er
nicht komisch ist. Danach haben wir zu ihm gesagt: ‚Wenn du das so machst,
dann lachen wir uns tot.‘ Daraufhin ist er geblieben“, erinnert sich
Balder.
## Starthilfe von Rudi Carrell
Ansonsten beweisen Sender und der damalige RTL-Chef Helmut Thoma mit dem
ambitionierten Projekt längeren Atem. Die ersten Folgen der Sendung, die
samstags erst um 0 Uhr ausgestrahlt werden, erhalten wenig Aufmerksamkeit.
Trotzdem wird sie nicht abgesetzt. Dann mischt sich eine andere
TV-Unterhaltungslegende ein – und bewirkt das, was Balder als
Initialzündung für den Erfolg der Sendung bezeichnet: „Rudi Carrell hat an
Thoma einen Brief geschrieben, ob er wüsste, was er da für ein Juwel hätte.
Daraufhin hat sich RTL entschlossen, das Ganze eine Stunde früher zu
senden.“
Tatsächlich steigen die Quoten und binnen einem Jahr wird die Sendung zum
Massenphänomen und Pflichtprogramm auf den Schulhöfen. „Mitschüler, die
vorher kaum deutsche Comedy gemocht haben, guckten jede Folge, zitierten
ganze ‚Kentucky schreit ficken‘-Sketche und kauften sich die Platten von
den ‚Doofen‘. Da war klar: Das Ding ist für Deutschland ein Phänomen“,
erinnert sich ‚heute-Show‘-Autor Thomas Rogel.
„RTL Samstag Nacht“ sticht mit seinem bunten Anarchismus angestaubte
Polit-Kabarett-Programme aus und gewinnt in den folgenden Jahren zahlreiche
renommierte Auszeichnungen vom Bambi bis zum Grimme-Preis. „Wir haben in
der Sendung vieles gemacht, was vorher nicht gemacht wurde“, erklärt Balder
auf die Frage nach dem Erfolgskonzept. „Wir haben die Politik verarscht,
die Kirche verarscht – wir haben alles verarscht. Wir haben die Werbung
verarscht, wir haben den eigenen Laden verarscht.“ Doch den speziellen
Charakter der Sendung machen nicht nur die Respektlosigkeit und das
Chaos-Prinzip aus – die haben Hape Kerkeling in „Total Normal“ und Harald
Schmidt mit „Schmidteinander“ bereits zuvor zelebriert.
„RTL Samstag Nacht“ bietet vielmehr seinen Talenten im Ensemble die
Freiheit, sich zu entfalten und weiterzuentwickeln. Das wiederum stärkt das
gesamte Team. Inhaltlich schwankt die Show im Minutentakt zwischen
Slapstick, Dada, platten Gags und treffsicherer Satire – und wird so zur
unvorhersehbaren Wundertüte.
Zudem bekommen hier auch neue Comedians wie Rüdiger Hoffmann, Ingo Appelt
oder Hennes Bender als Gäste die Möglichkeit, sich vor einem
Millionenpublikum zu präsentieren. Damit legt der Sender die Grundlage
seiner Comedy-Strategie, die sich in der Zusammenarbeit mit Mario Barth,
Ilka Bessin, Chris Tall oder zuletzt noch Bülent Ceylan bis in die
Gegenwart fortsetzt.
## „Was gut ist, kommt weg“
Doch nach fünf Jahren ist Schluss. Im Gegensatz zum US-amerikanischen
Vorbild, das sich in 33 Sendejahren immer wieder mit neuen Talenten
erneuern kann und seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten eine
popkulturelle Renaissance erlebt, schaffte es RTL nicht, den Staffelstab an
eine neue Generation weiterzugeben. Die taucht stattdessen bei der
Konkurrenz auf – sei es in der „Wochenshow“ von Sat.1, die das
News-Anchor-Prinzip übernimmt, oder der fantasievoll-schrägen „Bullyparade�…
und den Medienparodien in „Switch“ bei ProSieben. 2005 wird die Kult-Show
unter dem Namen „RTL Comedy Nacht“ mit neuem Cast versucht – doch das
floppt bei den Zuschauern. Die Energie und Genialität des Originals werden
nicht mehr erreicht.
Heute fehlt eine regelmäßige anarchisch-frische Ensemble-Show in der
hiesigen Fernsehlandschaft. Erben wie die „heute-Show“ wirken dagegen zu
öffentlich-rechtlich und gesetzt – und das „Neo Magazin Royale“ steht und
fällt ausschließlich mit der Form ihres Stars Jan Böhmermann. Der
WDR-Produktion „Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von …“,
produziert von den „Neo Magazin Royale“-Machern der bildundtonfabrik
zwischen 2014 und 2016, hätte Balder eine solche Rolle zugetraut.
Doch die Reihe wurde eingestellt – worüber Balder sich ärgert: „Tja, das
ist WDR. Was gut ist, kommt weg. Das ist traurig, weil es so einen großen
Spaß mit denen gemacht hat und die Ideen so geil waren.“ Doch auch bei den
Privatsendern setzt man längst auf vermeintlich sichere Namen und Konzepte.
3 Nov 2018
## AUTOREN
Jens Mayer
## TAGS
RTL
öffentlich-rechtliches Fernsehen
Jan Böhmermann
ProSieben
Journalismus
Grimme-Preis
US-Serie
Schwerpunkt Rassismus
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